Eingang des Konzentrationslagers. Foto: Schwarzwälder Bote

Erinnerung: Neuntklässler des Schwarzwald-Gymnasiums lernen die Unmenschlichkeit im Elsass kennen

Triberg. Eine Triberger Schülerin berichtet über "ein Besuch der Gedenkstätte Natzweiler-Struthof, der Augen öffnet".

Als der Bus am Morgen um 7.45 Uhr losfuhr, dröhnte schon, wie bei fast jedem Schulausflug der 9. Klassen des Schwarzwald-Gymnasiums, Musik von den hintersten Plätzen. Die Schüler mit der Musikbox wurden sofort zum Abschalten des Geräts aufgefordert. Völlig zu Recht. Dies sollte kein schöner Sommerausflug ins Elsass werden.

Zugegebenermaßen hat man sich die Atmosphäre der Gedenkstätte Natzweiler-Struthof etwas anders vorgestellt. Es war schon seltsam, vor dem Eingang auf Holzbänken in der Sonne und umgeben von Natur und Vogelgezwitscher zu sitzen. Die Ausstrahlung dieses Ortes war komplett paradox. Als wir den steilen Weg zur Gaskammer hinunterstolperten, hörte ich Mitschüler sagen: "Stell dir vor, diesen Weg sind die früher auch gegangen." 

In die Gaskammer hineinzuspazieren, war ein ganz seltsames und unangenehmes Gefühl. Die Wärme und das Licht der Sonne kamen buchstäblich sowie metaphorisch nicht an diesen geistlosen Steinklotz heran. Auf Zetteln, die innen an der Wand angeheftet waren, wurde detailreich und in verschiedenen Sprachen von dem Vorgang des Vergasens unschuldiger Menschen erzählt und wie es die außenstehenden Nazis einfach komplett kalt ließ, dass sie soeben jemanden grausam ermordet hatten. 

Die Gaskammer lag etwas weiter entfernt von der eigentlichen Gedenkstätte. Hinter dem modernen Museum sah man schon das große Tor durch das hunderte von Menschen einem schrecklichen Schicksal entgegentreten mussten und zwar ohne Möglichkeit zur Umkehr. Uns wurden Zeichnungen eines Häftlings gezeigt. Eine davon zeigte eine Gruppe kahl geschorener Häftlinge, die von Nazis in eine der Baracken gedrängt wurde. Die Zeichnungen zeigten ganz deutlich wie diese Menschen ihrer Identität und ihrer Menschlichkeit beraubt wurden.

Briefe der Häftlinge

In der ersten Baracke konnte man verschiedenste Dokumente betrachten, die aus dieser Zeit stammten: Telegramme, Briefe und Erklärungen in welche Kategorien die Häftlinge eingeteilt wurden. Dass die Briefe, die die Häftlinge an ihre Verwandten schrieben, die schrecklichen Zustände im Lager mit keinem Wort erwähnten, lag an der heftigen Zensur.  Es war traurig, alte Briefe zu lesen und gleichzeitig zu wissen, wie es in Wirklichkeit dort zuging.

In der zweiten Baracke wurden Häftlinge damals mit verschiedenen Methoden aufs Übelste gefoltert und geprügelt, bis sie nicht einmal mehr richtig sitzen konnten,  was in den kalten, kleinen und engen Räumen, in die sie später gedrängt wurden, sehr ungeschickt war. Auf einem der Schilder vor dem Eingang beschrieb ein französischer Häftling, wie er selten etwas Gescheites zu Essen bekam und wie er seine Blase in der Suppenschüssel entleeren musste. In der kalten Baracke hing ein Geruch, den man nicht wirklich zuordnen konnte. Lange hielt ich es da drinnen  nicht aus, um darüber nachzudenken.

Ich glaube für die meisten in meiner Klasse war das Ganze schon viel zu weit in der Vergangenheit, um sich wirklich etwas darunter vorstellen zu können. Wahrscheinlich hat auch die widersprüchliche Umgebung dazu beigetragen. Auch wenn ich finde, dass es das noch schrecklicher macht. Wenn man an den grünen Tannen, Blumen, Vogelgezwitscher und schönem Sonnenschein vorbeischaute und sich mit den grausamen Schicksalen dieser Menschen befasste, konnte man die schmutzige, menschenverachtende Realität darunter erkennen. Selbst Menschen, die all das überlebt hatten, mussten den Rest ihres Lebens mit den Narben dieser Erinnerungen leben.

Dieser Ort wird niemals wieder in gutem Licht stehen. Niemals wird sich das Singen der Vögel schön und berechtigt anhören. Die schmierigen Spuren der Vergangenheit werden für immer bleiben. 

Ich bin dankbar, dass unser Land sich verändert hat. Ich bin dankbar dafür, dass hier niemand wegen seiner Religion, Hautfarbe, Geschlecht, Sexualität Angst haben muss, unter der Zustimmung eines Regimes grausam sterben zu müssen. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass wir oft vergessen, wie gut wir es haben.

Nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern drohen Gesellschaften in ein rechtes Loch abzurutschen. So ein systematisches Töten tausender Menschen darf es nicht mehr geben. Es darf uns so etwas nicht noch einmal passieren. Wir sollten alles in unserer Macht stehende tun, um so etwas zu verhindern.

Es sollte uns möglich sein, in die Augen der zukünftigen Generation zu blicken, um ihnen ehrlich sagen zu können, dass wir für Toleranz und für den Frieden stehen und dafür etwas getan haben. Und dass sie dasselbe auch und wenn nicht sogar noch besser machen können. Dass schöne Orte auch schöne Orte bleiben und nicht bis in alle Ewigkeit, von Unmenschlichkeit und Ungerechtigkeit beschmutzt, an Grausamkeiten der Vergangenheit erinnern.

Wir Menschen müssen unser Schubladendenken endlich begraben und unsere Nächsten besser kennenlernen. Das wäre ein Schritt in die richtige Richtung.