Kein einziges Restaurant mit behindertengerechtem WC, kaum Rampen oder barrierefreier Wohnraum. Beim Treffen mit der Landesbehindertenbeauftragten Simone Fischer berichteten Betroffene von ihrer Realität.
Burladingen/Stuttgart - Es war die Grünen-Landtagsabgeordnete Cindy Holmberg, gerade auf Sommertour durch ihren Wahlkreis, die Fischer in die Stadthalle nach Burladingen gebracht hatte. Thema war "Barrierefreiheit im ländlichen Raum" und eingeladen waren vor allem Selbsthilfegruppen und Betroffene.
Denen stellte Simone Fischer, die ein knappes Jahr im Amt ist, nicht nur ihre Arbeit und verschiedene Ansprechpartner in unterschiedlichen Organisationen und Arbeitskreisen im Land vor, sondern hörte sich auch detailliert die Sorgen und Nöten der Behinderten an.
Schon beim Planen gibt es Fehler
"Es geht ganz schön auf die Psyche, wenn man nirgends reinkommt und nicht überall hinkommt", stellte ein Betroffener klar. Gemeinderat Manfred Knobloch kritisierte, dass bei kommunalen Vorhaben, die immer gleichen Planungsbüros dieselben Fehler machen. Fischer wies auf den Dachverband für integratives Planen und Bauen hin, an den man sich wenden könne.
Die Mutter einer behinderten Tochter erzählte vom Bürokratie-Wahnsinn, der alljährlich die gleichen Formulare und Anträge forderte, obwohl sich rein gar nichts geändert habe und regte Vereinfachung an.
Vorschlag: Eine hauptamtliche Stelle im Landratsamt
Ute Tatzel-Nowel, Sprecherin der Gruppe Barrierefrei on Tour, beklagte nicht nur das Fehlen der Behinderten-WCs in Burladinger Gastronomiebetrieben, sondern wies auch auf die Situation bei Festen hin, wo Kabel oft eine Hürde darstellen. "Wir wollen doch dabei sein", führte sie aus. Sie regte auch an, beim Landratsamt eine hauptamtliche Stelle für diese Anliegen zu schaffen.
Der grüne Kommunalpolitiker Konrad Flegr schließlich wies darauf hin, dass in der Jugendarbeit die Inklusion quasi verankert und schon immer gepflegt worden sei. Er bedauerte, dass sich so wenige für das Gesetz der Kinder-und Jugendhilfe SGB 8 stark machen wollen.
Zehn Prozent sind behindert
Eine kleine Minderheit, so stellte die Landesbehindertenbeauftragte Fischer klar, ist die Gruppe der Behinderten nicht. Rund zehn Prozent der Bevölkerung sind betroffen, haben eine anerkannte Schwerbehinderung. Die Wenigsten kommen mit einer Behinderung auf die Welt, sondern werden im Laufe des Lebens und Älterwerdens mit eingeschränkter Mobilität konfrontiert, stellte Fischer klar.
Und: Behinderung ist auch nicht nur die eingeschränkte Mobilität. Da gehe es um Blinde und Gehörlose und auch um leichtere Sprache für Menschen, die nicht Deutsch sprechen. Gerade im ländlichen Raum lasse die Barrierefreiheit viele Wünsche offen. Die Bausubstanz öffentlicher Gebäude ist oft alt und nur mit hohen Kosten umzurüsten, die Mobilität und Teilhabe wegen eines schwachen ÖPNV nicht gewährleistet und Bebauungspläne sehen oft mehrgeschossige barrierefreie Gebäude nicht vor.
Land erfüllt die Quote selber nicht
Aber: Barrierefreiheit sei kein Akt der Barmherzigkeit oder ein "nice to have", betonte Fischer mit Blick auf die Behindertenkonvention der UN, die auch Deutschland unterschrieben habe.
Da mag es für Simone Fischer eine bittere Pille sein, dass ausgerechnet das Land Baden-Württemberg bei seiner Einstellungspolitik die Quote von fünf Prozent Arbeitsplätzen für Behinderte nicht erfüllt, sondern lieber die Abgabe zahlt. So wie es viele andere Betriebe tun. Aber: Die Expertise und Präsenz, der spezielle Blick dieser Behinderten fehle dann eben an den Arbeitsplätzen und in den Verwaltungen.
Weiterhin Krach machen
"Wir brauchen nicht noch mehr Bedenkenträger sondern Menschen, die den Weg frei machen", sagte Fischer und lobte all jene, die da vor ihr saßen, die sich als Einzelne oder Gruppen engagieren. "Inklusion ist ein Gemeinschaftswerk und ihre Stimmen sind stärker, wenn sie sich in Gruppen zusammenschließen". Den Behinderten gab Cindy Holmberg mit auf den Weg, auch weiterhin "Krach zu machen" und ihre Interessen mit Nachdruck zu vertreten.