Ingeborg Schäuble (Mitte), flankiert von ihrer Tochter Christine Strobl und ihrem Schwiegersohn Thomas Strobl auf dem Weg zur Trauerfeier in der Offenburger Stadtkirche. Foto: dpa/Uwe Anspach

Fünf Jahrzehnte hat Wolfgang Schäuble Offenburg im Bundestag vertreten. Jetzt gaben Größen der Politik, aber auch viele Bürger dem Politiker sein letztes Geleit. Vor dem Tod hatte er keine Angst.

Durch die evangelische Stadtkirche in Offenburg schallt „O du fröhliche“. Tapfer singt die große Trauergemeinde in dem voll besetzten Gotteshaus das berühmte Weihnachtslied, das die gesamte Christenheit zur Freude ermahnt. Wolfgang Schäuble wollte es so. „Seit Weihnachten steht der Himmel offen“, sagt die evangelische Landesbischöfin von Baden, Heike Springhart. Dies sei auch Schäubles tiefste Überzeugung gewesen, der sich zeitlebens als gläubiger Protestant verstanden hatte.

 

Am zweiten Weihnachtsfeiertag ist der CDU-Politiker nach langer schwerer Krankheit im Alter von 81 Jahren gestorben. Noch an Heiligabend hatte er in seiner Stadtkirche gesessen, gleich vorne links, und mitgesungen. Mit seiner Familie besuchte er das Krippenspiel – so wie jedes Jahr. Dass es sein letztes Mal sein würde, war ihm bewusst.

Schäuble war mit sich im Reinen

Doch Schäuble, so erzählte es seine Tochter Christine Strobl, ARD-Programmdirektorin und Frau des baden-württembergischen Innenministers Thomas Strobl, in einer bewegenden Ansprache, sei mit sich und dem bevorstehenden Tod im Reinen gewesen. „Er hat uns noch ein Weihnachtsfest geschenkt.“ Am 25. Dezember ging es sogar zum gemeinsamen Rehrückenessen. Am Abend habe er sich dann verabschiedet. Er habe keine Angst vor dem Sterben. Es sei nur ein „merkwürdiger Gedanke“, nicht mehr da zu sein.

An diesen merkwürdigen Gedanken müssen sich auch die Offenburger gewöhnen. 51 Jahre lang, länger als jeder andere Parlamentarier in der Republik, war er ihr direkt gewählter Abgeordneter. 1972, als Schäuble als junger Rechtsanwalt zum ersten Mal antrat, war Florian Vetter kurz zuvor zum Vorsitzenden des CDU-Stadtverbandes gewählt worden. „Ich fand damals, er hätte noch ein paar Jahr warten können“, sagte Vetter und lachte. Der 93-Jährige stand gestützt auf einen Stock in der Reihe derjenigen, die noch auf einen Platz in der Kirche hofften. „Es ist unwahrscheinlich, welch hohes Ansehen er in Offenburg hat“, sagte Vetter.

Viel Prominenz reist an

Derweil schritten vorne die geladenen Gäste durch das Portal: der CDU-Chef Friedrich Merz war gekommen, die Bundestagspräsidentin Bärbel Bas und Innenministerin Nancy Faeser (beide SPD), der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Stephan Harbarth und der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) kamen, ebenso seine Vorgänger Günter Oettinger und Erwin Teufel (beide CDU). Ihn habe mit dem „leider zu früh Verstorbenen eine enge Freundschaft und politische Zusammenarbeit verbunden“, sagte Teufel. Nicht gekommen war die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel, der Schäuble als Finanz- und Innenminister so loyal gedient hatte. Sie wird zum Staatsakt erwartet, der am 22. Januar in Berlin folgen soll.

„Papa, du warst ein Gesamtkunstwerk“, sagte Tochter Christine Strobl. Ihr Vater habe niemals aufgegeben. Sie erinnerte an seinen starken Durchhaltewillen und an das Attentat 1990, infolgedessen Schäuble auf einen Rollstuhl angewiesen war. Ihr Vater habe viele gesundheitliche Probleme gehabt, die nie in der Öffentlichkeit bekannt gewesen seien. Gleichwohl habe er gesagt, zu behaupten, die vergangenen 33 Jahre, in denen er im Rollstuhl gesessen hatte, „seien weniger glücklich gewesen, wäre falsch“. Man müsse immer das Beste aus einer Situation zu machen, sei seine Überzeugung gewesen.

Kretschmann lobt Schäuble als aufrechten Demokraten

Schäuble habe tiefe Spuren hinterlassen, sagte der CDU-Chef Friedrich Merz. Schäuble habe ihn und viele andere Mitglieder der CDU-Fraktion geprägt. Er gehöre zur ersten Reihe deutscher Nachkriegspolitiker. „Er liebte die Kontroverse, nicht das Klatschen“, sagte der Chef der Landes-CDU, Manuel Hagel.

Dass Schäubles Tod einen Einschnitt für die Berliner Republik bedeute, machte Ministerpräsident Kretschmann deutlich. Er habe Schäubles Ausdauer, Überzeugungskraft und Urteilsfähigkeit immer bewundert. Vor allem aber: „Schäuble machte Kompromisse“ – nicht aus Schwachheit, sondern weil er sie für die Kardinaltugend der parlamentarischen Demokratie gehalten habe. „Wir leben in Zeiten, in denen wir erkennen müssen, wie verletzlich Demokratie ist.“ Schäuble werde fehlen. „Wir blicken auf ihn mit großem Respekt, mit Dankbarkeit und Zuneigung“, sagte Kretschmann und legte zum Abschied sanft seine Hand auf den Sarg.

Hunderte kommen zum Grab

Vor der Tür zeigten derweil viele Offenburger ihre Verbundenheit. Mehr als 2000 säumten den Weg, auf dem die Trauergemeinde, angeführt von einem militärischen Ehrengeleit, zum Alten Waldbachfriedhof schritt. Dort konnte sich jeder, dem es wichtig war, von dem Verstorbenen verabschieden. Viele machten davon Gebrauch.

Schäuble, der seine Arbeit im Berlin immer als Dienst an den Menschen verstanden hatte, hatte sich eine öffentliche Trauerfeier gewünscht. Dem konnten sich auch Lennart Max Kempf und Aaron Rubi nicht entziehen. Die beiden 16-Jährigen standen ebenfalls an der Wegstrecke. „Es ist schön, dass das öffentlich gemacht wird“, sagte Kempf. Allerdings habe sich Schäuble zu Lebzeiten nicht versteckt. Man habe ihn immer wieder gesehen, wenn er mit seinem Hand-Bike durch die Stadt radelte. Auch dies ist nun Vergangenheit. Merkwürdig – und traurig.