Sorgenvoller Blick: VfB-Trainer Sebastian Hoeneß Foto: Baumann

Der Trainer zeigt sich angesichts des erneuten Qualitätsverlusts von einer ungewohnten Seite. Er sieht die Mannschaft noch nicht ausreichend verstärkt.

Der Fußball spielt mal wieder verrückt – und der VfB Stuttgart steckt mittendrin. Weil in England ein Stürmer streikt, um seinen Wechsel zu erzwingen, hat der Fußball-Bundesligist für Nick Woltemade ein so außergewöhnlich hohes Ablöseangebot erhalten, dass er es nicht mehr ablehnen konnte. Das ist im Grunde die Kurzform des abschließenden Kapitels in der Transfersaga des Sommers. Bis zu 90 Millionen Euro zahlt Newcastle United für den deutschen Nationalspieler, um einen prompten Ersatz für Alexander Isak zu verpflichten. Den Ex-Dortmunder zieht es zum FC Liverpool.

 

Diese Auszüge des Geschehens verdeutlichen die Absurdität des Geschäfts, die in Stuttgart nun Realität geworden ist. Woltemade befindet sich mittlerweile in England. Der VfB hat ihn für Verhandlungen freigestellt, der Medizincheck ist absolviert und der 23-Jährige soll einen Vertrag bis 2031 unterschreiben. Eine offizielle Bestätigung steht allerdings noch aus. Dennoch wird der Angreifer an diesem Samstag (15.30 Uhr) gegen Borussia Mönchengladbach nicht mehr im Team des Pokalsiegers stehen. Die Personalakte ist geschlossen. Endgültig.

„Das ist aus sportlicher Sicht ein herber Verlust für uns“, sagt Sebastian Hoeneß. Auch der Trainer ist von der Dynamik des Prozesses überrascht worden und steht nun vor einer neuen Situation, die einen anderen Hoeneß erkennen lässt. Der 43-Jährige lässt Unzufriedenheit mit der Kaderplanung erkennen. „Wir hatten uns vorgenommen, die Substanz in der Mannschaft zu erhalten und darauf weiter aufzubauen“, sagt Hoeneß.

Erfüllt sieht der Chefcoach dieses Vorhaben nicht: „Ich muss ganz deutlich sagen, dass es auch, bevor Nick jetzt transferiert wurde, noch nicht ganz gelungen ist, diese Dinge umzusetzen. Jetzt hat sich die Lage verschärft.“ Mehr Qualität für das Team spricht Hoeneß an, mehr Erfahrung und mehr Führung. Alles Aspekte, die sich aus der Saisonanalyse ergeben haben. Hoeneß vermeidet dann zwar, Verstärkungen direkt einzufordern, aber seine Aussagen erhöhen den Druck auf Fabian Wohlgemuth. Der Sportvorstand muss bis zum Ende der Transferzeit am Montag Lösungen präsentieren.

Im Gespräch sind Brajan Gruda (Brighton & Hove Albion) und Alexis Claude-Maurice (FC Augsburg), aber auch Georges Mikautadse (Olympique Lyon) und Bilal El Khannous (Leicester City). Ein Stürmer mit Woltemades speziellem Profil ist jedoch nur schwer zu finden, denn trotz seiner 1,98 Meter an Körpergröße kann er ja besser dribbeln als den Ball mit dem Kopf spielen. Wucht und Torgefährlichkeit hat er dazu entwickelt.

Doch nur ein Jahr trug der ehemalige Bremer das Trikot mit dem Brustring und lediglich ein halbes Jahr spielte er auf höchstem Niveau. Insgesamt 70 Bundesliga-Einsätze mit 14 Toren (zwölf für den VfB) stehen in Woltemades Biografie, keine Minute hat er in einem europäischen Wettbewerb gespielt und nur zwei Länderspiele absolviert – doch diese Zahlen genügten, um ihn zum weiß-roten Rekordtransfer zu katapultieren.

Woltemade bringt dem VfB mehr als doppelt so viel an Einnahmen wie 2019 Benjamin Pavard (35 Millionen Euro/FC Bayern) sowie bis zu dreimal so viel wie 2009 Mario Gomez (30 Millionen Euro/FC Bayern) und aktuell Enzo Millot (Al-Ahli). Dass der hoch aufgeschossene Stürmer nicht auch in München gelandet ist wie der französische Weltmeister Pavard und der deutsche Ausnahmetorjäger Gomez, gehört zu den Besonderheiten dieses Wechsels, da der Rekordmeister lange um ihn buhlte und der Profi zu den Bayern wollte. Nur lehnte der Stuttgarter Vorstand um den AG-Boss Alexander Wehrle jede Offerte aus der Säbener Straße ab.

Doch jetzt kam Newcastle United. Hinter dem Premier-League-Club steckt mächtig Geld aus Saudi-Arabien. Ein Konsortium übernahm 2021 die Führung, seither macht es ein staatlicher Investmentfonds (Public Investment Fund/PIF) möglich, immense Summen in den Champions-League-Teilnehmer zu pumpen. Das Transferminus soll 500 Millionen Euro betragen.

Passend zum Scheich-Reichtum wurde der neueste Megadeal im mondänen Monaco perfekt gemacht. Im Fürstentum trafen sich die Herren aus Stuttgart und Newcastle im Rahmen der Europapokal-Auslosungen. Am Ende der Verhandlungen stand die Einigung. Wobei sich der Woltemade-Wirbel in England in Grenzen hält. Eine Ablösesumme dieser Größenordnung gehört auf der Insel zur Normalität, in Deutschland bildet sie noch die Ausnahme und in Stuttgart sprengt sie gar den Rahmen. Was zu der Frage führt, was der VfB nun auf die Schnelle mit dem vielen Geld anstellt. Denn eines ist sicher in dem verrückten Fußballgeschäft: Bei jeglichem Interesse, das der VfB an einem neuen Spieler bekundet, wird der Preis steigen.