Die Verdächtige des Gewaltverbrechens in Potsdam wurde in eine Psychiatrie eingewiesen. Foto: dpa/Soeren Stache

Eine tödliche Gewalttat gegen Heimbewohner löst in Potsdam Schock und Entsetzen aus. Unter dringendem Tatverdacht steht eine langjährige Bedienstete der Einrichtung. Es gibt zunächst keine Antwort auf das „Warum?“.

Potsdam - Fassungslose Stille herrscht um das Wohnheim für Menschen mit Behinderung in Potsdam: Vier Bewohner sind getötet worden, eine Bewohnerin ist schwer verletzt. Immer wieder kommen am Donnerstag Menschen am Thusnelda-von-Saldern-Haus vorbei und legen in stiller Andacht Blumen vor dem Haus nieder. Polizisten suchen an einer Bushaltestelle, in Papierkörben und Gullys nach Spuren. Die Eingänge zu dem Komplex mit Klinik, Schule und Wohnheimen sind abgeriegelt.

Eine langjährige Bedienstete aus dem Pflegebereich, die als dringend tatverdächtig vorläufig festgenommen wurde, kommt am Donnerstag in die Psychiatrie. Eine Haftrichterin weist die 51-jährige Frau in den Maßregelvollzug in Brandenburg/Havel ein. Der Leitende Oberstaatsanwalt Wilfried Lehmann sagt, nach Einschätzung der Richterin lägen Gründe für eine eingeschränkte oder vollständige Schuldunfähigkeit vor. Die Frau schweigt laut Staatsanwaltschaft in den Vernehmungen zu der unfassbaren Tat.

Obduktionen noch nicht abgeschlossen

Die Ermittler äußern sich während der laufenden Untersuchungen zunächst nicht zum Tathergang und zum möglichen Motiv für die Gewalttat. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur wiesen die getöteten Bewohner schwere Schnittverletzungen an der Kehle auf. Ob dies ursächlich für den Tod war, ist am Donnerstag allerdings zunächst offen - die Obduktionen sind noch nicht abgeschlossen. Die Spurensuche und die Ermittlungen zur genauen Tatbegehung liefen auf Hochtouren und dauerten an, teilen Polizei und Staatsanwaltschaft am Donnerstagabend mit.

Die Todesopfer waren langjährige Bewohner des Wohnheims für Körper- und Mehrfachbehinderungen, das zur diakonischen Einrichtung Oberlinhaus gehört. Zwei von ihnen hätten seit ihrer Kindheit dort gelebt, sagt Tina Mäueler, Bereichsleiterin Wohnen in den Oberlin Lebenswelten. Es sei eine so große Erschütterung, „das hat uns schon die Beine weggehauen“, so der Theologische Vorstand der Einrichtung, Matthias Fichtmüller. „Wir können uns noch gar nicht auf das Trauern konzentrieren.“

Mehr als 60 Behinderte leben in Wohnheim

„Gott, warum?“, steht auf einer improvisierten Gedenktafel inmitten der Blumen, die Mitarbeiter des Oberlinhauses dort aufgestellt haben. „Warum dürft ihr nicht mehr mit uns lachen, mit uns weinen, mit uns leben? (...) Die Welt ist über uns zusammengebrochen. Wir können das nicht begreifen.“ In dem Wohnheim leben mehr als 60 Behinderte ganz oder zeitweise mit intensiver Betreuung. Darunter sind auch Menschen, die nach Unfällen schwerbehindert oder nach Erkrankungen, wie etwa Hirnblutungen, auf Unterstützung angewiesen sind.

Sie nehmen gut sichtbar am öffentlichen Leben im beschaulichen Potsdamer Stadtteil Babelsberg teil. Mit ihren Betreuern sind sie häufig im nahe gelegenen Babelsberger Park zu sehen oder selbstständig mit Rollstühlen im Supermarkt. Die behinderten Bewohner des Oberlinhauses sind in dem Stadtteil gut integriert - umso größer ist der Schock in der Bevölkerung über die unbegreifliche Gewalttat.

Der Verein Oberlinhaus trauerte am Donnerstagabend mit einer Andacht um die vier Bewohner. Daran teilgenommen haben auch Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne), Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) und der Landesbischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Christian Stäblein. Zuvor legten sie vor dem Thusnelda-von-Saldern-Haus Blumen nieder und verharrten dort in einer Schweigeminute, bis sie zur Oberlinkirche gingen. Woidke sagte im Privatsender BB Radio: „Es ist ein schwerer Tag für Brandenburg.“