Es ist ein bekannter Rottweiler, der fest im Leben steht. So schnell macht ihm keiner was vor. Und dann das: Ein "Schockanruf" reißt ihm den Boden unter den Füßen weg. Er glaubt alles, packt Geld in Tüten. Uns schildert er, wie krass die Betrüger tatsächlich vorgehen.
Rottweil - Man liest es oft. Betrüger sind mit "Schockanrufen" erfolgreich, bekommen Tausende Euro ausgehändigt, täuschen einen Notfall vor. Wie kann man nur auf so was reinfallen? Das mag sich mancher denken. Doch wer er es nicht erlebt hat, kann es sich nicht vorstellen. Der "Schock" am Hörer hebelt das logische Denken aus. Eindringlich schildert der Mann aus Rottweil alle Details.
Es war ein Tag wie jeder andere: "Mittagessen mit Spinat und Spiegelei. Meine Frau und ich sitzen am Mittagstisch. Alles wie immer. Das Telefon klingelt. Ich hebe ab. Eine schluchzende weibliche, nicht klar verständliche Stimme am anderen Ende der Leitung: ›Papi, ich habe einen schweren Autounfall verursacht. Ich habe eine Frau, Mutter von zwei Kindern, totgefahren. Habe die Vorfahrt nicht beachtet.‹"
Mentaler Zusammenbruch
Seine Reaktion: "Ich gehe in die Knie. Breche mental ein. Bin im Schockzustand. Die Gedankenwelt verengt sich. Ich signalisiere meiner Frau etwas von dem schrecklichen Ereignis. Ein andere weibliche Stimme übernimmt den Hörer. Staatsanwaltschaft: "Ihre Tochter ist in Gewahrsam. Sitzt in U-Haft. Sie ist im Schockzustand, wird psychologisch betreut. Ist unverletzt."
Das Leben zerstört
Der Rottweiler schildert: "Keine klaren Gedanken bei mir. Meine Frau wird kalkweiß. Tränen. Gedankenfetzen bei mir: Leben unserer Tochter zerstört, Prozess, alles durcheinander."
Handel mit der Staatsanwaltschaft
Eine andere weibliche Stimme am Telefon folgt: "Beruhigen Sie sich, für ihre Tochter wird gesorgt. Sie kann schon heute aus dem Gewahrsam entlassen werden, wenn Sie eine Kaution hinterlegen: 98.000 Euro. Ihre Tochter hat allerdings eine Verschwiegenheitserklärung unterschrieben. Nur wenn Sie keinem erzählen, kann dieser Handel vonstatten gehen."
Alles erscheint unwirklich
Der Senior aus Rottweil erfüllt alle Anweisungen. Dabei ist er nicht gerade als einer bekannt, der sich alles sagen lässt. Er ist selbstbewusst. Bestimmend. Eigentlich. Doch unter Schock ist alles anders. "Alles erscheint mir unwirklich. Ich erfülle alle Aufträge. Bin ein willenloses Geschöpf in der Hand einer anderen Macht."
Unter Schock werden die Anweisungen erfüllt
Wieder die weibliche Stimme: "Das Geld bekommen Sie am Freitag wieder. Da ihre Tochter einen festen Wohnsitz hat, kann man ausnahmsweise einen solchen Handel machen. Haben Sie ein Konto bei der Bank. Haben Sie die Summe?" Der Rottweiler geht auf alle Vorschläge ein. "Ich hole das Geld aus dem Tresor, zähle laut meine Goldmünzen. Ich bin in meiner Welt gefangen." Dann wieder die weibliche Stimme: "Gerade haben wir erfahren, dass die tote Frau im vierten Monat schwanger war, so dass die Kaution erhöht werden muss. Wie viel Geld haben Sie dann noch bar?"
Er packt das Geld in Tüten
Der Rottweiler wird weiter nicht stutzig: "Ich zähle laut die Summen vor, packe es in Tüten ab, so wie gefordert. Sitze die ganze Zeit an den Telefonen in Schockstarre. Meine Frau zählt das Geld." Die weibliche Stimme: "Wie viel ist es dann jetzt genau.?"
Kontrollanruf bei der Tochter
Dann kommen ihm kurz Zweifel: "Ich rufe vom anderen Anschluss die Nummer meiner Tochter an. Es meldet sich die verzweifelte Stimme des ersten Anrufes mit Schluchzen und Weinen. Also doch kein Betrug. Mittlerweile haben wir uns auf eine Summe von 120.000 Euro geeinigt. Das Gespräch dauert schon über eine Stunde."
Das Geld wird abgeholt
Die weibliche Stimme: "Das Geld kann bei der Gerichtskasse in ihrer Heimatstadt hinterlegt werden. Allerdings sind die Schalterstunden schon beendet, so dass das Geld von einer Frau gegen Quittung bei Ihnen zu Hause abgeholt wird. Packen Sie alles in einen Beutel, gehen Sie allein vor die Tür."
Der Rottweiler: "Da meldete sich doch aus den Tiefen des Verstandes eine Stimme, die mich innehalten ließ. Bis jetzt war ich von der Geschichte überzeugt, besonders nach dem Anruf auf das Handy meiner Tochter. Ich rief ihren Freund an. Er sagte, das Auto sei da, unsere Tochter wollte sich mit einer Freundin in der Stadt treffen. Langsam erwachte ich aus meiner Welt und nahm portionsweise wahr, dass wir einem Betrugsversuch ausgesetzt waren."
Betrüger machen weiter Druck
Die weibliche Stimme am Telefon: "Der Handel ist geplatzt, ihre Tochter kommt nicht frei, es wird alles nur noch schlimmer." Noch zehn oder mehr Anrufe dieser Art kommen. "Dann können wir diesem Albtraum entfliehen. Leider hat sich diese Geschichte genau so ereignet."
Wie konnte ich nur?
Der unserer Redaktion gut bekannte Mann aus Rottweil , der uns bittet, seinen Namen herauszuhalten, fragt sich: "Wie konnte ich mich so verführen lassen? Dieser ganze Zinnober mit Staatsanwaltschaft. Die Verschwiegenheitserklärung! Ich habe mich benommen wie ein Depp, ein debiler alter Mann."
Warum sein "Kontrollanruf" an die Tochter bei den Betrügern rauskam, weiß er bis heute nicht. Er will andere warnen: "Unter Stress reagiert man nicht rational." Das zeigt sein Fall eindrucksvoll. Und der Schock wirkt noch lange nach.