Nach dem Tod des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi sucht das Teheraner Regime nach einem neuen Hardliner als Nachfolger. Wie es nun weitergeht.
Noch bevor der Tod des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi offiziell bestätigt war, wurde der 63-jährige schon für verzichtbar erklärt. Das iranische Volk solle sich keine Sorgen machen, teilte Revolutionsführer Ali Chamenei nach dem Absturz von Raisis Hubschrauber mit: „Es wird keine Störung für das Land geben.“ Das geistliche Oberhaupt des Landes übertrug dem Vize-Präsidenten Mohammed Mochber vorübergehend die Staatsführung. Gemäß der Verfassung sei „Mochber mit der Leitung der Exekutive betraut“, erklärte Ayatollah Ali Chamenei am Montag. Als Interims-Präsident müsse Mochber mit Legislative und Judikative zusammenarbeiten, um „innerhalb einer Frist von maximal 50 Tagen“ Präsidentschaftswahlen zu organisieren.
Dennoch ist Raisis Tod ist ein Rückschlag für das Teheraner Regime, das sich auf die Nachfolge für den 85-jährigen Chamenei vorbereitet; aber der Präsident hinterlässt keine Lücke, die nicht rasch gefüllt werden könnte.
Der Präsidenten-Hubschrauber mit Raisi, Außenminister Hossein Amirabdollahian und sieben weiteren Menschen an Bord flog im dichten Nebel gegen einen Berg im Nordwesten Irans nahe der Grenzen zur Türkei und Aserbaidschan. Als das ausgebrannte Wrack des Hubschraubers nach einer nächtlichen Suchaktion gefunden wurde, erklärten die iranischen Behörden, niemand an Bord habe überlebt.
Der politische Aufstieg von Raisi
Raisi, der seine Abstammung auf den Propheten Mohammed zurückführte und deshalb einen schwarzen Turban trug, stammte aus einer konservativen Familie und wurde seit langem von Chamenei gefördert. Als Staatsanwalt war Raisi 1988 an Massenhinrichtungen angeblicher Regimegegner beteiligt; damals wurden rund 5000 Menschen getötet. Seit 2007 war er Mitglied im so genannten Expertenrat, der den neuen Revolutionsführer wählt. Im Jahr 2017 unterlag Raisi bei der Präsidentenwahl dem Reformer und damaligen Amtsinhaber Hassan Ruhani. Zwei Jahre später ernannte Chameini ihn zum Chef der Justiz.
Seit Raisis Wahl zum Präsidenten im Juni 2021 beherrschen die iranischen Hardliner alle wichtigen Staatsinstitutionen. Trotzdem versagte Raisi aus Sicht vieler Iraner in seinem Amt: Er bekam weder die Wirtschaftskrise noch die Korruption in den Griff. Als nach dem Tod der jungen Mahsa Amini im Gewahrsam der Religionspolizei im September 2022 landesweite Proteste ausbrachen, ließ Raisi den Aufstand niederschlagen. Außenpolitisch führte er den Iran näher an Russland und China voran. Der Dauerkonflikt mit Israel eskalierte unter seiner Präsidentschaft: Im April griff der Iran den jüdischen Staat erstmals mit Raketen an.
Auch bei der Modernisierung der iranischen Infrastruktur blieb Raisi schwach, wie sich bei seinem Tod zeigte: Der Präsident war in einem amerikanischen Hubschrauber aus der Zeit vor der Islamischen Revolution von 1979 unterwegs. Das Wrack wurde nicht von iranischen Suchtrupps entdeckt, sondern von einer türkischen Aufklärungsdrohne, die Ankara auf Bitten Teherans entsandt hatte.
Iranische Verfassung schreibt Neuwahl vor
Als Präsident setzte Raisi nur die Vorgaben von Chamenei um, der als Revolutionsführer der mächtigste Mann der Islamischen Republik ist. Raisi galt als möglicher neuer Revolutionsführer nach Chameinis Tod – darin liegt die politische Bedeutung seines Todes für das Regime. Seit der jüngsten Parlamentswahl im März, bei der die Hardliner ihre Machtposition festigten, richtete sich die Führung auf eine geordnete Nachfolgeregelung für Chamenei ein.
Daraus wird jetzt nichts. Die iranische Verfassung schreibt beim Tod des Präsidenten eine Neuwahl innerhalb von 50 Tagen vor – regulär hätte die nächste Präsidentenwahl erst im kommenden Jahr stattgefunden. Chamenei, die mächtige Revolutionsgarde und andere Mitglieder der Elite müssen nun nicht nur schnell einen Präsidentschaftskandidaten finden. Sie wollen auch verhindern, dass die Neuwahl zu einem neuen Misstrauensvotum gegen die Islamische Republik wird: Bei der Parlamentswahl im März waren nur 41 Prozent der Iraner zur Urne gegangen.
Sinkt die Beteiligung bei der nun bevorstehenden Wahl in knapp zwei Monaten noch weiter, wird sich die Legitimitätskrise der Islamischen Republik weiter verschärfen. Manche Iraner feierten die Nachricht von Raisis Hubschrauber-Unfall in der Nacht zum Montag mit Feuerwerken, wie iranische Oppositionelle berichteten. Um diese Abneigung gegen das Regime zu mildern, könnte sich Chamenei entschließen, einen Kandidaten des Reformlagers zur Neuwahl des Präsidenten zuzulassen; in den vergangenen Jahren hatte Chamenei alle aussichtsreichen Bewerber, die nicht zu den Hardlinern gehörten, von den Wahlen ausgeschlossen.
Machtkampf droht zu eskalieren
Zudem könnte nach Raisis Tod der Machtkampf zwischen rivalisierenden Gruppen der Hardliner eskalieren, meint Arash Azizi von der Clemons-Universität in den USA. Raisi habe radikale Kräfte unterstützt, die relativ gemäßigte Politiker wie den Parlamentspräsidenten Baker Kalibaf an den Rand gedrängt hätten, sagte Azizi unserer Zeitung. Nun könnten Politiker wie Kalibaf wieder an Einfluss gewinnen. Kalibaf hatte sich bereits mehrmals um das Präsidentenamt beworben; ob er auch diesmal antreten wird, ist noch offen.
Am weitreichendsten könnten die Folgen von Raisis Tod bei der Suche nach einem Nachfolger für Chamenei werden. Weil Raisi als aussichtsreichster Kandidat für den Posten des künftigen Revolutionsführers galt, könnte der geplante geordnete Übergang aus dem Ruder laufen. Schon die Auswahl eines neuen Präsidentschaftskandidaten wird die Spekulationen über die Kandidatenfrage neu anfachen – genau eine solche Diskussion will Chamenei eigentlich verhindern. Neben Raisi galt bisher Chameneis Sohn Mojtaba als chancenreicher Bewerber. Eine dynastische Nachfolgeregelung würde jedoch den Prinzipien der Islamischen Republik widersprechen. Chamenei muss nun einen neuen Plan machen.