Draußen alles Grau in Grau - wie soll man da die gute Laune wiederfinden? Foto: LGieger/ Shutterstock

Der Winter ist nicht nur die Zeit von Besinnlichkeit, Schlittenfahrten und Glühwein, sondern auch die Zeit der Dunkelheit, Kälte und Stimmungstiefs. Viele Menschen haben da mit dem sogenannten Novemberblues zu kämpfen. Wie sich dagegen angehen lässt und was die Stimmung trotz fehlenden Lichts aufhellen kann? Unsere Experten geben Tipps.

Oberndorf - Der Winterblues. Was ist dran an dem Phänomen? "Es ist auf jeden Fall so, dass im Herbst und Winter mehr Menschen unter Stimmungsschwankungen leiden", sagt Uwe Glatz aus Rottweil. Er ist als Arzt und Experte für Persönlichkeitsentwicklung tätig. "Das liegt daran, dass es da einfach dunkler ist. Das Glückshormon Serotonin wird besonders gebildet, wenn man sich Licht aussetzt." Bei Dunkelheit werde dagegen das schlaffördernde Hormon Melatonin gebildet. Deswegen fühle sich der Mensch im Winter öfter müde und erschöpft. "Und damit einher geht wiederum, dass eher belastende Gedanken zum Vorschein kommen."

Wenn sich dann Heißhunger auf zum Beispiel Schokolade, Nüsse oder Bananen bemerkbar mache, sei das ein Zeichen, dass sich der Körper zurückholen will, was er wegen des fehlenden Lichts nicht bekomme. "Durch diese Lebensmittel kann auch Serotonin aufgebaut werden", erklärt der Arzt. Der Novemberblues habe also einen ganz physischen Hintergrund. 

Es sei wichtig, sich bewusst zu machen, dass es diese Phase gebe, in der man nicht so leistungsfähig und positiv gestimmt sei wie sonst, betont Glatz. "Das darf auch mal sein." In früheren Zeiten, als der Mensch noch Selbstversorger war, sei der Winter eine Ruhephase gewesen. "Heute haben wir das ganze Jahr Licht und Arbeit." Diese Zeit zur Regeneration fehle also, während dem Menschen die Winterträgheit geblieben sei.

Und was hilft nun gegen die trübe Stimmung? "Sich grundsätzlich etwas Gutes tun. Etwas, das einem Spaß macht", antwortet Glatz. "Ich zum Beispiel koche gerne und höre dabei laut Musik. Da kommt man auch in Bewegung." Und die sei grundsätzlich auch immer hilfreich. Da bestehe die Herausforderung meist darin, den inneren Schweinehund zu überwinden. Spazieren gehen trotz Kälte und trübem Wetter kostet Überwindung. Doch wer sich dazu aufrafft, merke schnell den positiven Effekt.

Sich 60 Tage in Dankbarkeit üben

Eine weitere Möglichkeit, die unproduktive Phase als Chance zu sehen: sich Zeit für sich selbst nehmen. "Da kommen Dinge hervor, die schon lange unter der Oberfläche schwelen", erklärt der Experte für Persönlichkeitsentwicklung. "Man tendiert dazu, unangenehmes wegzudrängen. Sei es ein alter Streit, oder ein Gespräch mit einem Freund, das man schon lange einmal führen wollte." Wer sich dann überwinde, die Probleme aus dem Weg zu schaffen, fühle sich hinterher gleich besser und vor allem erleichtert und stolz darauf, die Hürde genommen zu haben. "Das bringt in solchen Zeiten neuen Mut."

Ein weiterer Tipp von ihm: sich in Dankbarkeit üben. "Wir sollten uns öfter auf das fokussieren, was wir haben", erklärt er. "Und nicht zu sehr auf das, was uns fehlt." Das brauche tatsächlich Übung. Sich nur einmal zu sagen, dass man zufrieden ist, reiche nicht. "Es ist erwiesen, dass man etwas 60 bis 70 Tage konsequent machen muss, bis es eine Chance hat, sich im Kopf zu verankern. Eine dauerhafte Veränderung im Denken herbeizuführen, braucht Zeit." Er schlägt vor, sich jeden Tag einen Punkt herauszusuchen, für den man dankbar ist. "Zum Beispiel für die Familie oder auch dafür, dass wir noch aufstehen und uns selbst etwas kochen können. Dann wird einem klar, dass Dinge, die selbstverständlich erscheinen, es in Wirklichkeit gar nicht sind."

Die Schattenseiten annehmen

Eine positive Einstellung sei aber nicht in jedem Fall hilfreich, ist die Meinung von Psychologe Dietrich Wagner aus Neuenbürg. "Wir haben in der Gesellschaft einen hohen Leistungsdruck und denken, wir müssen dabei auch noch immer gut drauf sein. Aber der Mensch hat auch das Recht, mal dazu zu stehen, dass es ihm nicht gut geht und dass er leidet." Das bedeute nicht, dass man gleich krank sei. Im Gegenteil, wer immer versuche, den hohen Ansprüchen der Gesellschaft gerecht zu werden, werde eher krank. "Wir müssen annehmen, dass wir nicht immer auf der Sonnenseite des Lebens stehen können."

Man müsse aber grundlegend zwischen Verstimmungen und Depressionen unterscheiden. Die Verstimmung, die viele Menschen im Winter haben, zeige sich durch schlechte Laune und Unzufriedenheit. Eine Depression im medizinischen Sinne beschreibe eher ein andauerndes "Gefühl, dass ich nichts fühle. Es beschreibt eine innere Leere", formuliert der Psychologe. Damit sollte man zum Arzt gehen, während eine allwinterliche Verstimmung von alleine wieder vergehe.

Die Weihnachtszeit könne sehr belastend sein, meint er. Familien gehen sie oft mit großen Erwartungen an, denen manche Mitglieder nicht gerecht werden können. Anderen, die keine Familie haben, werde ihre Einsamkeit in dieser Zeit wiederum besonders bewusst. Neben dem fehlenden Licht und den eingeschränkten Freizeitmöglichkeiten spiele auch das eine Rolle bei der oftmals gedrückten Stimmung zum Jahresende. 

Kleine Rituale helfen durch den Alltag

Alltagsroutinen stellen einen Schutzfaktor dar, so der Psychologe, weil sie dem Tag seine Struktur verleihen. Kleine Rituale können ebenfalls aus der Lethargie helfen. "Kleine Gesten wie das Anzünden einer Kerze im Advent sollten daher nicht geringgeschätzt werden. Einfache Dinge, die es einem zu Hause schön machen wie das Plätzchenbacken, können die Stimmung auch gleich verbessern."

Gerade in der Corona-Zeit seien die wegfallenden Alltagsroutinen ein Problem. Das führe oft zu Krisen. "Es ist damit zu rechnen, dass die Zahl der Patienten ansteigt, wenn die Pandemie irgendwann vorbei ist", so Wagners Einschätzung. Im Moment sei es noch so, dass alle im gleichen Boot sitzen und Verständnis füreinander haben. "Wenn die Gesellschaft aber wieder leistungsorientierter funktioniert, werden sich die Folgen davon zeigen, dass wir so lange aus dem Alltag herausgerissen waren. Dann machen sich Ängste bemerkbar." Er habe Studenten sagen hören, sie machen sich Sorgen, wie es wird, wenn die Präsenz-Veranstaltungen wieder anfangen. "Sie sagen: Wir wissen gar nicht mehr, wie das geht." 

Gegen den Novemberblues helfe außerdem, sich zu engagieren und sich für Dinge zu interessieren. Gerade in der Zeit der Trägheit und Lustlosigkeit. "Es wird immer gesagt: Wir müssen im Gleichgewicht sein. Das stimmt aber nicht. Der Mensch strebt häufig Spannungszustände an. Liebe zum Beispiel ist ein solcher." Ebenfalls wichtig sei, einen Ausgleich zum Alltag zu haben. Und ein gutes soziales Netzwerk. "Es reichen ein oder zwei Freunde oder Familienmitglieder, bei denen man sein kann wie man ist. Bei denen man nicht immer funktionieren muss wie im Arbeitsleben."

Lebensfreude durch Kreativität

"Für Lebensfreude in der dunklen Jahreszeit gibt es natürlich kein Patentrezept", sagt Birgitt Karin Merkel, Naturheilpraktikerin aus Villingen-Schwenningen. Auch ihre Praxis trägt den Namen "Lebensfreude". Das sei eine Energie, die jeder Mensch ganz individuell erlebe, sagt sie. "Und während manche sich sogar auf die dunkle Jahreszeit freuen, weil es so gemütlich ist, heim zu kommen in die warme Stube, Tee oder Glühwein zu trinken, ist für andere die Dunkelheit der Auslöser für Gefühle von Einsamkeit und Isolation." Komme dann noch eine drohende Kontaktbeschränkung in den Bereich des Möglichen, dann können Ängste, Kümmernisse und Sorgen deutlich zunehmen.

Deswegen sei es auf jeden Fall hilfreich, wenn sich jeder mit der Frage konfrontiere: "Was tut mir gut?", "Was brauche ich, um Lebensfreude spüren zu können?" oder auch "Welche Wünsche und Bedürfnisse möchte ich mir erfüllen?". "Und besonders für Ältere können die Fragen lauten: 'Habe ich Lust auf das Alter – oder plagt mich eher der Frust?' oder auch 'Habe ich Angst vor dem Älterwerden, vor Krankheiten, vor dem Tod?'" Diese Selbstreflexion könne in Gedanken, schriftlich oder mit kreativen Methoden wie zum Beispiel Malen, Töpfern oder einem Mindmap stattfinden.

"Je nachdem, ob die Berufstätigkeit noch im Vordergrund steht oder ob bereits das Rentenalter erreicht ist, gilt es immer, den Tag so zu strukturieren, dass die Lebensfreude Raum und Zeit bekommt", erklärt Merkel. "Work-Life-Balance ist heute in aller Munde. Dabei geht es darum, neben den täglichen Alltagspflichten noch ausreichend Zeit zu finden, damit ein seelisch-geistig-körperliches Wohlbefinden und damit Lebensfreude möglich wird."

Wer den körperlichen Ausgleich sucht, nehme Lebensfreude durch Bewegung in einem Sportverein oder Fitness Studio wahr. Wem die geistige Auseinandersetzung fehle, der könne sich für Weiterbildungen interessieren. Und wenn die Seele hungrig sei, dann genießt der Mensch vielleicht Musik, Konzerte, Theateraufführungen, Beschäftigung mit Spiritualität, Religion oder die Natur. "Und auch in diesem Zusammenhang ist die erste Voraussetzung, sich mit den eigenen Sehnsüchten, Visionen und Zielen auseinanderzusetzen." 

Die innere Einstellung stelle eine wichtige Basis dar. Bis zu einem gewissen Grad lasse sich Lebensfreude trainieren. "Wobei sich der Mensch bei aller Selbstoptimierung immer wieder mit den eigenen Grenzen anfreunden darf."

Spazieren gehen, kochen, lachen

Auch die AOK Schwarzwald-Baar-Heuberg hat Ratschläge parat, wie sich die Stimmung im Winter hoch halten lässt. Angelika Sönnichsen, Kommunikationsbeauftragte der Krankenkasse, hat die Tipps zusammengetragen. "Auf ausgewogene und gesunde Ernährung achten: Die Wintergemüse enthalten viel Vitamine, die für das Immunsystem und den Stoffwechsel wichtig sind", rät sie. "Vor allem wärmende Gerichte sind in dieser Jahreszeit sehr wohltuend. Dazu gehören Porridge, Curry, Eintöpfe und wärmende Gewürze wie Zimt, Kurkuma oder Ingwer." 

Die Mittagspause lasse sich gut für Spaziergänge nutzen und an den Wochenenden könne man Tagesausflüge in die Natur machen. So viel Tageslicht wie möglich helfe gegen die Müdigkeit. Vitamin D tue dem Immunsystem und der Psyche gut.

Sportliche Aktivität, egal ob Joggen, Fitnessstudio, Yoga, Spazierengehen: nach einer erfolgreichen Sporteinheit werden Glückshormone ausgeschüttet, man fühle sich ausgeglichener und glücklicher. Auch hier reichen kürzere Einheiten schon aus, teilt die Sprecherin mit.

Was ebenfalls gute Laune mache: viel Lachen. Lachen schütte Endorphine aus, die die Stimmung aufhellen. Ein Spieleabend mit Freunden sei da ein guter Anfang.

Die Winterzeit lasse sich auch für lange Aufgeschobenes nutzen und so lassen Erfolgsmomente schaffen. Als Beispiele nennt die AOK Kleiderschrank ausmisten oder Möbel umstellen.