Im Vorfeld des 80. Jahrestags des Attentats auf Hitler am 20. Juli 1944 hat Spiegel-Bestsellerautor Tim Pröse im Lautlinger Schloss aus seinem Buch über die Kinder der Verschwörer gelesen.
„Vaterseelenallein“ waren sie 1944 zurückgeblieben, die Kinder der Widerstandskämpfer um Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Über sieben Jahrzehnte später hat Tim Pröse sie befragt und ihre Erinnerungen in einem Buch zusammengefasst, das vor kurzem unter dem Titel „Wir Kinder des 20. Juli“ im Heyne-Verlag erschienen ist – das Coverbild zeigt Stauffenberg mit dreien seiner Söhne.
Es waren mehr als nur einige wenige Angehörige der militärische Elite, die im Sommer 1944 am gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler beteiligt waren – diese Erkenntnis hat Pröse in zahlreichen Gesprächen mit Nachkommen der Widerständler gewonnen. Gleichwohl konzentriert er sich im Lautlinger Schloss zunächst auf Stauffenberg, der dort seine vielleicht schönsten Kindheitstage erlebt hat und 1943 mit seinem Bruder Berthold „Lautlinger Leitsätze“ für ein neues Deutschland verfasste.
Wo ist das Denkmal Stauffenbergs?
„Etwas ganz Großes hat sich an diesem Ort abgespielt,“ findet Tim Pröse und wundert sich, dass in Albstadt kein Denkmal Stauffenbergs zu finden ist und auf dem Lautlinger Bahnsteig kein Hinweis darauf, wie der geschichtlich Interessierte zum Schloss gelangt. „Wie viele würden wohl aussteigen, wenn sie wüssten, wer hier seine Sommerferien verbrachte!“ schreibt Pröse im Rückblick auf seinen ersten Besuch in Lautlingen, bei dem er sein Buch „Jahrhundertzeugen. Die Botschaft der letzten Zeugen gegen Hitler“ vorstellte.
Erinnern ist zu Pröses Lebensaufgabe geworden. Während seines Lautlinger Gastspiels beschränkt er sich nicht aufs pure Vorlesen, sondern er extemporiert und spricht frei, wobei er seine Worte mit Bedacht wählt – als „Expertinnen und Experten“ bezeichnet er jene Anwesenden, die noch mit den Kindern Stauffenbergs Fußball gespielt oder Ministrantendienste versehen haben.
„Im ersten Stock des Schlosses war ich noch nie“
Er ist froh um jeden „Experten“, der Wissen über den Widerstand bewahrt und weitergibt. „Wenn ich in Nord- oder Ostdeutschland den Namen Georg Elser erwähne, kommt keine Reaktion“, klagt er, und ein Raunen geht durch den Konzertsaal. Doch auch hier bekennt ein Besucher im Anschluss, dass er noch nie die Räume im ersten Stock besucht habe, die mit Original-Interieur aus dem Besitz der Stauffenbergs ausgestattet sind und neben Biografischem Informationen über den Widerstand bieten. Wie viele andere Albstädter haben die Gedenkstätte auch noch nicht besucht?
Am 8. September 1944 wurden Mitglieder des zivilen Widerstands gegen die Nazis exekutiert – an jedem 8. September treffen sich die noch lebenden „Kinder des 20. Juli“ in der Berliner Gedenkstätte Plötzensee – unter den Metzgerhaken, an denen ihre Väter erhängt wurden. Tim Pröse sieht es als „besonderes Geschenk“ an, dass er diesem sehr persönlichen und intimen Gedenken beiwohnen durfte.
„Ich war kein Akteur, ich war ein Betroffener“
Die meisten Kinder hatten von den Umsturzbestrebungen ihrer Eltern nichts geahnt und sich nach dem Attentat nicht zunächst die Frage gestellt, warum es gescheitert war, sondern eine andere: „Warum du, Vater?“ Alle 200 Familien der Widerständler wurden von den Nazis auseinandergerissen, die Ehefrauen interniert, die „Verräterkinder“ in Umerziehungsheime verbracht. „Ich war kein Akteur, ich war ein Betroffener“, sagt denn auch Berthold Schenk Graf von Stauffenberg, der älteste Sohn von Claus und Nina von Stauffenberg, der damals zehn Jahre alt war.
„Akteur“ – damit hat er Tim Pröse ein Stichwort gegeben. Sich für die Freiheit einsetzen, gegen das Vergessen angehen, Akteur werden, dazu will er motivieren, deshalb schreibt er seine Bücher und hält Lesungen. „Warum sollen wir verzagen? Wir können beherzt für die Demokratie einstehen! Wir brauchen Helden, Leuchtturmmenschen.“ Wobei der Preis dafür heute nicht annähernd so hoch sei wie vor 80 Jahren. „Stehen wir mit dafür ein, dass das so bleibt!“
Die Gedenkveranstaltung zum 80. Jahrestag des Attentats findet am Samstag, 20. Juli, in der Pfarrkirche St.Johannes in Lautlingen statt und beginnt um 18 Uhr. Die Gedenkstätte im Schloss ist mittwochs, samstags und sonntags ist von 14 bis 17 Uhr geöffnet.