Igel haben es nicht leicht. Viele fallen ihrer Umgebung zum Opfer. Was man tun sollte, wenn man einen verletzten oder ausgehungerten Igel findet und wie man dem kleinen Tier helfen kann, das haben wir herausgefunden.
In der Dämmerung und nachts kann man sie von Zeit zu Zeit gut hören. Dann kommen Igel aus ihren Nestern und Verstecken, um nach Nahrung zu suchen, in erster Linie Insekten und Würmer. Oft sieht man die kleinen, stacheligen Säuger nicht. Wenn man aber einen findet, lohnt es sich vermutlich genauer hinzuschauen.
Auch unser Redakteur machte die Erfahrung einen verletzten Igel zu finden. Wie er versucht hat, dem Tier zu helfen und wie es weiterging, beschreibt er in diesem Text.
Sein Name war Günther. So habe ich ihn genannt. Er sah für mich einfach aus wie ein Günther. Günther war ein junges Igel-Männchen. Als ich ihn an einem frühen Abend fand, war ich gerade mit unserem Hund spazieren. Zuerst dachte ich, Günther wäre schon tot. Regungslos lag er im Gras. Doch nach einem Moment bewegte er sich, versuchte von mir und meinem Hund wegzukommen. Das fiel ihm aber nicht leicht. Was sofort auffiel war, dass Günther sein rechtes Hinterbein hinter sich herzog. Ich wusste, ohne Hilfe würde der kleine Igel sicher bald sterben.
Gerade wenn es noch hell ist, kommen gesunde Igel gewöhnlich nicht aus ihren Verstecken. Denn „Igel", erklärt die Igelfreundin Ira Heise-Krachenfels, „sind eigentlich nachtaktiv." Eine Ausnahme bilden Muttertiere, die für die Versorgung ihres Nachwuchses deutlich mehr Nahrung benötigen und deshalb manchmal auch tagsüber aus ihren Nestern kommen. Ansonsten ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ein Igel, den man am Tag findet, entweder verletzt oder ausgehungert ist. Doch was soll man tun, wenn man einen solchen Igel findet? Wie kann man dem kleinen Insektenfresser helfen?
Wie hilft man Igeln?
Auch diese Fragen kann Ira Heise-Krachenfels beantworten. Sie ist die erste Vorsitzende des Vereins Igelherz in Villingen-Schwenningen. Gemeinsam mit anderen ehrenamtlichen Igelfreunden setzt Heise-Krachenfels sich für die kleinen Tiere ein, informierend und im Falle von verletzten oder ausgehungerten Tieren, pflegend.
„Das erste, was man tun sollte“, so Heise-Krachenfels, „ist immer erstmal jemanden anzurufen, entweder die nächstgelegene Igelstation, den Tierschutz oder auch den Tierarzt oder die Tierklinik, zumindest um herauszufinden, wen man kontaktieren sollte.“ Viele Igelstationen oder ähnliche Einrichtungen haben Notfalltelefone.
Ich bin schnell nach Hause gegangen, habe eine Kiste und ein Handtuch geholt, habe mir Handschuhe angezogen und bin zurückgekehrt. Günther, der Igel, war mittlerweile weitergekrochen und ich musste kurz suchen, um ihn wiederzufinden. Als ich ihn aufgespürt hatte, griff ich Günther vorsichtig und setzte ihn in die Kiste, wo ich ihm zu dem alten Handtuch noch einige trockene Blätter legte, dass er sich verkriechen konnte. Dann brachte ich ihn zu uns nach Hause. Doch wie sollte es jetzt weitergehen?
„Grundsätzlich ist der Eigenschutz erstmal wichtig“, erklärt Heise Krachenfels, „das bedeutet, Handschuhe anziehen, wenn man Igeln helfen will.“ Grund dafür seien nicht nur die spitzen Stacheln auf dem Rücken der Tiere, sondern auch, dass Igel, beißen können, wenn sie sich unsicher fühlen.
Igel sind wahre Ausbruchskünstler
„Man nimmt den Igel vorsichtig hoch und setzt ihn zum Beispiel in einen Karton, dessen Ränder mindestens 50 Zentimeter hoch sind“, führt Heise-Krachenfels weiter aus. Das habe den Grund, dass Igel wahre Ausbruchskünstler sind. Dann könnte man sich den Igel genauer ansehen. „Als erstes, unbedingt, sollte man Fliegeneier entfernen.“
Ein verletzter oder anderweitig geschwächter Igel ist gefundenes Fressen, nicht nur für größere Räuber, sondern auch für kleine Parasiten. Fliegen kommen schnell und legen ihre Eier auf den kleinen Tieren ab. „Wenn die Fliegenlarven schlüpfen, fressen sie den Igel langsam bei lebendigem Leib. Daher muss man etwaige Eier schnellstmöglich mit einer weichen Bürste entfernen“, erklärt Heise-Krachenfels. Auch Zecken sollten, wenn möglich, gezogen werden. Bei alledem sei es wichtig, den persönlichen Schutz nicht zu vernachlässigen. „Daher immer an die Handschuhe denken.“
Weibchen oder Männchen – und gibt es Jungtiere?
Hilfreich ist es, das Geschlecht des Igels zu bestimmen. Gerade im Sommer ist das wichtig. „Wenn es sich um ein Weibchen handelt und die Zitzen angeschwollen sind, dann heißt das, dass es sich um ein Muttertier handelt und dass irgendwo ein Nest mit ihren Jungtieren ist“, erklärt die Igelfreundin Heise-Krachenfels. In dem Fall ist es nötig, idealerweise mithilfe von jemanden aus einer Igelstation, zum Fundort zurückzukehren und die Jungtiere zu suchen, da diese sonst kläglich verhungern würden.
Meine Frau und ich gaben Günther eine Schale Wasser und etwas glibberiges Rührei. Von seinem Bein abgesehen schien es ihm auf den ersten Blick gutzugehen, er hatte zumindest keine offenen Wunden. Allerdings war er etwas abgemagert. Er fraß ein wenig und trank eifrig. Dann verkroch Günther sich unter dem alten Handtuch. Da es bereits spät wurde, beschlossen wir, ihm etwas Ruhe zu gönnen und ihn am nächsten Tag zu einer Auffangstation für Igel zu bringen, deren Kontakt ich auf Anfrage von unserem Tierarzt erhalten hatte.
Einen abgemagerten Igel erkennt man, laut Ira Heise-Krachenfels vom Igelherz e. V., an dem sogenannten Hungerknick, einer sichtbaren Einkerbung zwischen Kopf und Torso. „Ein gut genährter Igel hat das nicht, da er im Hals und Nacken gut Speck ansetzt“, führt Heise-Krachenfels aus.
Vorsicht vor dem Refeeding-Syndrom
Sollte ein Igel stark ausgehungert sein, sollte man ihn besser nicht füttern oder nur sehr wenig Essen anreichen. Zu viel Nahrung kann sonst zum sogenannten Refeeding-Syndrom führen, bei dem der Igel zu viel auf einmal isst, während sein Stoffwechsel eigentlich in einen Notmodus heruntergefahren ist. Dann kann es passieren, dass durch die plötzliche, reichhaltige Zufuhr von Nahrung der Stoffwechsel des kleinen Tieres kollabiert – es droht Organversagen. Das Refeeding-Syndrom kann im Übrigen bei allen Säugetieren auftreten.
Tags darauf war Günther, wie ich zu meiner Beruhigung feststellen konnte, nicht nur noch am Leben, sondern wirkte sogar wieder etwas kräftiger und weniger apathisch als am Vorabend. Ich brachte den kleinen Igel zu einer Igelstation bei uns vor Ort. Günther würde der siebte Igel sein, um den sich die Igelfreunde vor Ort kümmerten. Sieben verletzte Igel, eine beunruhigend hohe Zahlen für die Jahreszeit. Durch Mähroboter werden Igel immer öfter verletzt und der Klimawandel, der mit einem Schwund des Insektenvorkommens einhergeht, führt dazu, dass die kleinen Stacheltiere nicht mehr genug Nahrung finden. In der Igelstation wurde Günther oberflächlich untersucht, erhielt ein warmes Nest und Katzenfutter. Günther, da war ich sicher, würde hier in guten Händen sein.
Zuletzt sollte man den Igel einer Igelstation oder anderen fachkundigen Personen übergeben. Tierärzte dürfen mittlerweile keine kostenlosen Leistungen mehr erbringen, daher kann es sein, dass man auf den Kosten sitzen bleibt. Besser ist es, den Igel zu einer Auffangstation zu bringen, in der ehrenamtliche Igelfreunde sich um die Tiere kümmern.
Im Zweifel nachfragen
„Am besten telefoniert man mit dem Tierarzt vorher, wenn man nicht weiß, was man tun soll, diese helfen einem meistens zumindest mit den richtigen Kontakten“, erläutert Heise-Krachenfels. Schwieriger ist es, wenn es schnell gehen muss und man keine Igelstation erreicht. Dann hilft vielleicht nichts mehr, als zur Tierklinik zu fahren, um dem Igel zu helfen.
Der Igel Günther ist tot. Einige Tage nach seiner Aufnahme in der Igelstation erhielt ich einen Anruf, dass das kleine Igel-Männchen eingeschläfert werden musste. Eine Röntgenaufnahme zeigte einen schweren Bruch des Steißbeins, von dem sich das Tier nie erholen würde. Nicht allen Igeln kann immer geholfen werden.