Er ist wieder da. Und das macht dem ein oder anderen Sorgen. (Symbolbild) Foto: pixabay/WikiImages

Der Wolf ist zurück. Mit den Medienberichten über das in Baden-Württemberg wieder heimische Tier häufen sich auch die Diskussionen rund um das Thema. Woher kommt die gesellschaftliche Ablehnung gegenüber diesem Wildtier. Und sind die Sorgen berechtigt? 

Oberndorf - Der Wolf ist mehr als eine Legende. Das mag vor dem Jahr 2000 so gewesen sein. Inzwischen gibt es wieder so viele Wölfe in Deutschland, dass von keinem Gebiet sicher gesagt werden kann, er komme sicher nicht dort hin. In Baden-Württemberg ist der vierbeinige Jäger seit 2015 wieder daheim. Laut Umweltministerium Baden-Württemberg sind es in diesem Bundesland vier, drei davon im Schwarzwald. Womöglich sei noch ein vierter Grauwolf im Schwarzwald unterwegs. In Schramberg sei er im Mai 2021 erstmals nachgewiesen worden, das letzte Mal im August 2021, so Sprecher Matthias Schmid auf Nachfrage. Als sesshaft gelte ein Wolf jedoch erst ab sechs Monaten in einem Gebiet. Beim vierten Wolf m Schwarzwald gibt es also noch keinen Beweis dafür, dass er sich diesen als dauerhaften Wohnort ausgesucht hat. Vielleicht ist er auch weitergezogen. Alle dieser Wölfe im Landesgebiet sind Männchen. Kämen noch Weibchen hinzu, könnten sich wieder echte Rudel bilden.

Und das, nachdem das Wildtier 150 Jahre lang in Deutschland ausgerottet war. Zumindest einmalig nachgewiesen wurden insgesamt 13 Wölfe in Baden-Württemberg laut Naturschutzbund (NABU), seit sie wieder da sind. Doch ebenso wie die Zahl der Wölfe wächst, häufen sich auch die Stimmen, die gegen ihn laut werden. Besonders online scheinen die Kommentare, die die Rückkehr des Wolfs negativ oder zumindest mit Sorge betrachten, deutlich in der Überzahl zu sein. 

Menschen gegenüber zurückhaltend

Teils sind die Sorgen berechtigt, teils weniger. Die Tollwut gibt es in Deutschland seit 2008 nicht mehr und es gehe von gesunden, sich normal verhaltenden Tieren in der Regel keine Gefahr für den Menschen aus. "Seit es Wölfe wieder in Deutschland gibt, hat es keine Situation gegeben, bei der sich freilebende Wölfe aggressiv gegenüber Menschen verhalten haben", so Biologin Felicitas Rechtenwald von NABU. Was Weidetiere angeht, sieht es natürlich anders aus. Ebenso können Wölfe Konkurrenten für Jäger sein. "Wölfe sind auf das Jagen von wilden Huftieren wie Rehen, Hirschen und Wildschweinen spezialisiert." Das erfreuliche aber: "Der Mensch gehört nicht in ihr Beutespektrum." 

Begegnen sich Wolf und Mensch, reagieren Wölfe mit Vorsicht und Zurückhaltung und in der Regel nicht aggressiv. "Als scheu würden wir Wölfe aber nicht bezeichnen, sondern eher als neugierig und zurückhaltend. Ein Wolf hört und riecht den Menschen schon weit im Voraus. Bei Jungtieren kann es vorkommen, dass diese erst mal neugierig in der Nähe bleiben, um den Menschen zu beobachten. Das ist aber ein für Jungtiere normales Verhalten und kann auch bei Füchsen beobachtet werden", erklärt Rechtenwald. 

Rotkäppchen im Kopf

Woher also rührt das Image-Problem des Wolfs? "In unseren Köpfen stecken noch die alten Märchen und Schauergeschichten von Rotkäppchen und dem bösen Wolf", da sieht die Biologin den Ursprung des Problems. "Diese Märchen sind aber in einem ganz anderen sozialen und kulturellen Kontext entstanden als wir ihn heute haben. Hinzu kommen Berichte in der Presse aus anderen Ländern. Diese werden nun eins zu eins auf unsere Wölfe und die heutige Zeit übertragen." Es werde wohl noch Jahre dauern, bis das „Rotkäppchen-Syndrom“ aus den Köpfen der Menschen verschwunden sei. Bisherige Erfahrungen und auch Studien aus anderen Ländern haben aber gezeigt, dass die Angst vor dem Wolf in der Regel unbegründet sei.

Es gibt eine, die sich besonders gut mit dem Thema auskennt: Marlis Heyer. Sie schreibt zusammen mit ihrer Forschungskollegin Irina Arnold am Lehrstuhl für Europäische Ethnologie der Universität Würzburg gerade ihre Doktorarbeit über das Thema "Die Rückkehr der Wölfe. Kulturanthropologische Studien zum Prozess des Wolfsmanagements in der Bundesrepublik Deutschland." Das zugehörige Forschungsprojekt läuft bereits seit 2017. Es wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert und hat schon Erkenntnisse hervorgebracht.

Eins möchte sie vorweg nehmen: Dass viele Stimmen gegen den Wolf laut werden, bedeute nicht, dass auch viele Menschen gegen den Wolf seien. "Es gibt diverse Studien dazu, wer sich in Online-Kommentaren äußert." Und das seien in der Regel die Unzufriedenen. Wer für etwas sei, kommentiere seltener. "Für 50 Prozent aller Kommentare sind laut Studien zehn Prozent der Nutzer verantwortlich", erklärt sie. "Ich würde sagen, die große Mehrheit interessiert sich also gar nicht unbedingt für den Wolf."

Und diese zehn Prozent sind Jäger und Schäfer? Darauf könne man nicht schließen, betont Heyer. Zumal ihr viele Jäger bekannt seien, die dem Wolf interessiert und offen gegenüberstehen, wenn er das Jagen auch erschwere. "Das Problem ist viel eher, dass der Wolf in der Gesellschaft zu einer Symbolfigur, einer Metapher, geworden ist. Gleichzeitig ist er aber auch wieder ein realer, handelnder Akteur." Diese Ebenen überlagern sich. Die Menschen projezieren viel in das Tier hinein. "Das fängt dabei an, was wir aus Geschichten und Märchen kennen. Wenn die Medien über Wolfrisse berichten, werden sofort Sorgen um die Kinder laut. Weil wir da an Rotkäppchen denken." Dabei sei in Deutschland noch kein Fall dieser Art dokumentiert worden.

Wolf im Vorgarten?

Zur Kultur gehöre aber mehr als nur Geschichten. Sie sei die Lebenswelt des Menschen. Dass mit dem Wolf eine Art zurückkomme, bedeute für viele Hoffnung auf die Erholung der Natur und das Gleichgewicht. Gegenstimmen sagen jedoch: Wir wollen nicht in der Wildnis leben, das ist Kulturlandschaft. "Da stellt sich die Frage: Was macht der Wolf mit unserer Vorstellung von Kultur? Warum ist es in Ordnung, dass ein Reh im Garten steht, aber nicht ein Wolf?" Das liege daran, dass dem Mensch die Praxis im der Umgang mit dem Wolf fehle. 

Das mache auch den Boden für Veränderungen frei. "Die Diskussionen gehen aber eher in Richtung Grenzen, anstatt Offenheit", so Heyer. "Sogenanntes Wolfserwartungsland ist abgeschriebenes Gebiet. Düstere Orte, an denen man übelegt, ob man die letzte Buslinie auch noch einstellt. Dabei könnte man das auch positiv sehen, überlegen, wo man Schutzzonen einrichtet und sich freuen, dass der Wald sich wieder erholen kann. Wenn der Wolf da ist, kann das Wild auch nicht mehr so ungestört an den Bäumen knabbern." Die Perspektive, mit der Politik, Medien und Gesellschaft das Thema angehen, mache also viel aus.

"Auch das politische Wort 'Wolfsmanagement' gibt vor, dass der Wolf etwas ist, das wir managen müssen und wo der Mensch seine Hand drauf haben muss", sagt Heyer. "Wenn wir vom Wolf reden, geht es um viel mehr als um ein Tier. Es geht darum, wie ländliche Gebiete sich entwickeln, es geht darum, was Natur ist und wo sie noch ihren Platz haben darf. Und nicht zuletzt geht es auch um Kontrolle", erklärt die Wissenschaftlerin. "Wir sind auch Tiere, das vergessen wir oft. Wir Menschen leben in der Illusion, dass nur wir aktiv handeln und alles andere bestimmen und lenken können. Der Wolf bringt diese Sichtweise durcheinander." Er bestimmt selbst, welches Beutetier er reißt und wohin er geht, und hält sich bei Streifgebieten von 250 Quadratkilometern nicht einmal an Landesgrenzen. Auch scheiden sich die Theorien über die Domestizierung des Hundes. Es gebe Überlieferungen, nach denen sich Wölfe dem Menschen freiwillig angenähert und angeschlossen haben, nicht andersherum. Tiere treffen also durchaus ihre eigenen Entscheidungen.

Kommt ein Image-Wandel?

"Natürlich müssen wir Weidetierhalter schützen", betont sie. "Missstände, die es in der Weidetierhaltung schon lange gibt, werden durch den Wolf nun in den Fokus gerückt. Wolfsübergriffe sind furchtbar, da gibt es nichts schön zu reden. Aber er verhilft den Tierhaltern auch zu einer Lobby. Die stellen nämlich seit den 60er-Jahren die gleichen Forderungen an die Politik und wurden lange nicht gehört." Ein wenig habe sich die Lage schon gebessert, es sei aber noch ein weiter Weg. "Zum Beispiel bekommen die Schäfer die Wolfschutzzäune in einigen Bundesländern zwar, sind mit dem Aufbauen und Betreiben aber allein. Auch das ist großer Aufwand."

Bei allen Schutzmaßnahmen bleibe die Unbekannte aber trotzdem. "Wir hängen an der Illusion, dass wir alles kontrollieren und steuern können. Der Wolf kann uns zum Beispiel dabei helfen, uns zu verändern und zum Beispiel vernetzter zu denken. Schließlich ist alles miteinander verknüpft wie der Wolf mit Natur, Kutlur, Politik, Gesellschaft und vielem anderem." Veränderte Sichtweisen seien bereits erkennbar, zum Beispiel bei Zeitgenössischer Kinderliteratur. "In heutigen Büchern wird Rotkäppchen nicht mehr gefressen, sondern verbündet sich mit dem Wolf. Da gibt es heute ganz andere Erzählungen." 

Ob sich da sein Image-Wandel des Wolfs ankündige? Wird er etwa bald salonfähig? "Mit solchen Vorhersagen sollte man vorsichtig sein", sagt Heyer. "Es passiert permanent unheimlich viel in alle Richtungen. Es gibt also keine eindeutige Tendenz." Das betreffe alle Gebiete, zu denen es unterschiedliche Meinungen gebe. Es gehe niemals nur um das Thema. Niemals nur um den Wolf. Es komme immer darauf an, was die Gesellschaft und jeder Einzelne letztendlich daraus macht.