Sahra Wagenknecht tritt bei der Wahl nicht an – und ist im Wahlkampf doch omnipräsent. Foto: Hannes P. Albert/dpa/Hannes P Albert

AfD als stärkste Kraft und das BSW bald an der Regierung? Kurz vor der Landtagswahl in Thüringen scheint vor allem eines klar: Es wird kompliziert.

Eigentlich kann Sahra Wagenknecht nicht mehr. Sie hat eine Rede gehalten, sie hat mit ihren Fans für Fotos posiert, sie hat gelächelt. Einmal hat sie dezent einen Arm weggeschoben, der sich dabei um ihre Hüfte legen wollte. Jetzt steht sie hinter der Bühne auf einem Platz in Lobeda, einem Plattenbauviertel im Süden Jenas und müsste eigentlich weiter. Es ist Montagabend und es ist noch immer heiß.

 

Wagenknecht, Bundesvorsitzende des von ihr gegründeten Bündnis’ Sahra Wagenknecht (BSW), sieht erschöpft aus. Aber dann nimmt sie sich doch ein paar Minuten für die Journalisten, die mit ihr hinter der Bühne stehen. „Ein Neuanfang für Thüringen heißt auch, sich in die bundespolitische Debatte einzubringen“, sagt Wagenknecht in die Mikrofone, während ihr ein Glas Wasser gereicht wird. Und: „Andere Parteien haben Menschen immer wieder enttäuscht. Das werden wir nicht machen.“ So klingt er, der Endspurt im Thüringen-Wahlkampf. Wie hitzig er werden kann, wird man ein paar Tage später sehen. Am Donnerstagabend wird Wagenknecht bei einem Auftritt in Erfurt mit roter Farbe besprüht werden. Verletzt wird sie nicht. Ein Übergriff ist es trotzdem.

Nur eines ist klar

Am Sonntag stimmen die Thüringer über ihren neuen Landtag ab. Die Regierungsbildung dürfte schwieriger werden denn je. In jedem Fall wird es kompliziert. Geht man nach den Umfragen, steht allerdings schon fest, wer gewinnt. Die AfD kann auf knapp ein Drittel aller Stimmen hoffen – eine in weiten Teilen rechtsextremistische Partei.

An zweiter Stelle – wenn auch deutlich abgeschlagen – liegt die CDU bei etwas mehr als 20 Prozent. Kurz danach folgt das BSW. Die Linke, die aktuell mit Bodo Ramelow den Ministerpräsidenten stellt, schwankt um die 14 Prozent. Die drei Ampelparteien werden weit unter zehn Prozent bleiben, Grüne und FDP es voraussichtlich nicht mal ins Parlament schaffen.

Wichtigstes Thema: Migration

Überschattet wird die letzte Woche des Wahlkampfs von dem Attentat in Solingen. Doch der Vorfall verändert die Stimmung in Thüringen weniger, als man meinen könnte. Migration ist hier ohnehin das bestimmende Thema der Wahl. Zwar leben in Thüringen nur halb so viele ausländische Menschen wie im bundesweiten Durchschnitt. Aber natürlich waren auch hier die Kommunen überlastet, als sie im vergangenen Jahr plötzlich wieder deutlich mehr Geflüchtete versorgen mussten. Auch der Ukrainekrieg prägt den Wahlkampf. Das merkt man ganz besonders, wenn man mit Menschen spricht, die zu Wagenknechts Auftritt nach Lobeda gekommen sind. „Ich habe Jena 1946 gesehen“, sagt ein älterer Besucher, Jahrgang 1939. „Das möchte ich nicht wieder erleben.“ Dass über Außenpolitik eigentlich nicht in Landtagen entschieden wird, ist für ihn nicht so wichtig. Auf landespolitischer Ebene sind vor allem die Schulen im Land das relevante Thema.

Polarisierung gegen die AfD

Bei der Regierungsbildung dürfte es besonders auf die CDU ankommen. Ihr Spitzenkandidat Mario Voigt führt einerseits einen Wahlkampf gegen die amtierende Minderheitsregierung aus Linkspartei, SPD und Grünen – möglichst weit weg von allem, was links aussehen könnte. Andererseits setzt die CDU gerade in den letzten Tagen voll auf die Polarisierung gegen die AfD. „Höcke stoppen“, ist auf vielen CDU-Plakaten zu lesen. Voigt als Stabilitätsgarantie, das ist die Botschaft auf den letzten Metern dieses Wahlkampfes.

Für die AfD ist Thüringen ein Heimspiel, nirgendwo ist die Partei erfolgreicher als hier. Sie hofft sogar darauf, 33 Prozent des Landtags zu erobern. Dann hätte die Partei die Sperrminorität, womit sie Grundsatzentscheidungen blockieren könnte. Trotzdem steht ihr Spitzenkandidat und Landeschef Björn Höcke unter Druck. Sollte er weniger als 30 Prozent der Stimmen holen, könnte seine Macht wackeln. In der Partei gilt er als angezählt, unter anderem wegen seines Führungsstils.

Kaum Koalitionsoptionen

Mit der AfD zu koalieren haben alle Parteien ausgeschlossen. Eine Minderheitsregierung will niemand mehr. Doch kommt alles so, wie es die derzeitigen Umfragen vorhersagen, bleiben nicht viele Optionen. CDU und BSW müssten sich zusammenschließen – und noch auf einen dritten Koalitionspartner einigen. Das könnte die SPD sein, die es aber nur gerade so über die Fünfprozenthürde schafft. Falls es für sie doch nicht reicht, stellt sich die Frage, ob die CDU nicht doch mit der Linken zusammenarbeiten würde – gegen die Parteilinie.

Das BSW ist die große Unbekannte in dieser Wahl. Wagenknecht, die auf fast allen Plakaten der Partei zu sehen ist, tritt in Thüringen nicht an. Spitzenkandidatin Katja Wolf war bis vor Kurzem Oberbürgermeisterin von Eisenach, als Linken-Politikerin. Zwölf Jahre regierte sie, galt als pragmatisch und erfolgreich. Ein Fan von Wagenknecht war sie nie. Dem BSW hat sie sich angeschlossen, weil sie glaubt, dass es die einzige Partei sei, die den Aufstieg der AfD bremsen kann. So erzählt sie es selbst, aber auch Leute, die sie schon länger kennen. Wolf betont oft, dass ihr Landesverband autonom arbeiten dürfe. Allerdings will Wagenknecht bei einer möglichen Regierungsbildung mitmischen. Die Zusammenarbeit mit der CDU dürfte das nicht leichter machen.

In Jena-Lobeda bleibt es am Montagabend friedlich – obwohl es auch da zu Protesten kommt. Während sich Wagenknecht beklatschen lässt, drängen sich mehrere Frauen vor und halten Ukraine-Flaggen hoch, Sicherheitsleute halten die Protestierenden von der Bühne fern. Später aber stehen sich die Ukrainerinnen und einige der Zuschauer gegenüber. Solange Russland ihr Land angreife, sei Frieden nicht möglich, sagt eine der Frauen. „Alle Ukrainer raus!“, brüllt ein Mann im Vorbeigehen. Ein paar Menschen aber hören den Frauen zumindest zu. Wagenknecht ist nicht dabei. Sie macht gerade Fotos mit ihren Fans.