Kulinarischer Direktor Thomas Frebel Aus dem Schwarzwald ins Noma

Anja Wasserbäch
Das Noma gehört mit seiner herausragenden Küche zu den bekanntesten Restaurants der Welt. Foto: KI/Midjourney/Montage: Sebastian Ruckaberle

Die Gastronomie schreibt wunderbare Geschichten. Eine davon ist die von Thomas Frebel: Vom Jungkoch im Bareiss in Baiersbronn zum kulinarischen Direktor des weltberühmten Noma in Kopenhagen.

Thomas Frebels Bescheidenheit ziert ihn, nie würde er sich selbst loben. Doch René Redzepi, sein Chef und Noma-Mitgründer sagt über ihn: „Sein Einfluss auf das Noma ist überall zu spüren - von den kleinsten Details in einem Gericht bis hin zu großen ästhetischen Entscheidungen und unserer langfristigen Vision. Ohne ihn wäre das Noma einfach nicht dasselbe.“

 

Thomas Frebel, 41 Jahre alt, ist jemand, der sein Licht gerne unter den Scheffel stellt. Er sagt auch „Kneipe“ – und meint damit das Noma, eines der bekanntesten Restaurants der Welt, das sogar in der aktuellen Staffel der Serie „The Bear“ als Setting taugt, für das Gäste viele Monate im Voraus reservieren und für das 16-Gänge-Menü gut 600 Euro zahlen.

Das Noma spielt in der oberen Liga mit. Ganz oben. Das lässt sich mit Zahlen belegen: mit drei Michelinsternen (und einem grünen), viermal als „bestes Restaurant der Welt“ gekürt. Wenn das Reservierungsfenster für die kommende Saison öffnet, sind die Tische innerhalb von sechs, sieben Minuten vergeben. „Das ist natürlich der größte planerische Luxus, dass man weiß, dass deine Kneipe für die nächsten Monate ausgebucht ist“, sagt Frebel an einem sonnigen Februarmorgen im Labor von Noma Projects, unweit des Feinschmecker-Mekkas hinter den Gewächshäusern im Kopenhagener Stadtteil Refshaleøen.

Wie das Noma wurde, was es ist

Blick zurück zu den Anfängen des Restaurants und einer neuen kulinarischen Bewegung: Vor mehr als zwanzig Jahren hat René Redzepi, der Kopf hinter dem Noma, eine ganze Küchenrichtung geprägt. Bezeichnet wird sie fortan als die New Nordic Cuisine. Kurz gesagt meint das Regionalität, nur Zutaten zu verwenden, die in der Nähe verfügbar sind – und eben keine Mango, wenn sie dafür um den halben Globus fliegen muss. Auch das Thema Fermentation wäre ohne dieses Restaurant in Kopenhagen vermutlich kein weltweiter Trend geworden. Der Einfluss des Nomas auf die internationale Gastronomie ist immens, und wer als Gast hier einmal essen war, wird es nie wieder vergessen.

Wie Frebel wurde, was er ist

Kulinarischer Direktor im Noma ist Thomas Frebel, einer der von Magdeburg auszog, die Welt zu erschmecken. Als junger Bursche träumt Frebel, wie so viele andere davon, Profifußballer zu werden. Er besucht das Sportgymnasium des SC Magdeburg. Zur Profikarriere reicht es nicht. Was aber aus dem Sport kommt: sein Ehrgeiz, immer einer der Besten sein zu wollen. Und er will von den Besten lernen – wie etwa von Claus-Peter Lumpp, dem Küchenchef aus dem Bareiss in Baiersbronn.

Frebel beginnt 2005 in der Küche in Mitteltal, kocht sich von einem Posten zum anderen. „Es war eine super interessante Zeit, ich habe super viel gelernt von Claus-Peter Lumpp“, so Frebel. An oberster Stelle steht immer die Qualität. Und die lässt keine Kompromisse zu. „Jetzt im Nachhinein verstehe ich das“, sagt Thomas Frebel. Und erinnert sich: Für ein Gericht hatte er eine Zutat von Sonntag auf den Mittwoch aufgehoben, er war kurz davor, das zu servieren. Claus-Peter Lumpp probiert, erkennt sofort, dass es nicht vom selben Tag ist. Für Frebel scheint es noch gut, er muss das Gericht aber dennoch neu machen. Nach dem Servieren aber bietet sich die Möglichkeit, alt und neu direkt zu vergleichen – und Frebel erkennt: „Es macht einen Unterschied.“ Nach diesem Fauxpas wird er vom Küchenchef Lumpp ins Büro zitiert: „Wenn du das nochmal machst, kannst du gehen.“

Thomas Frebel ist kulinarischer Direktor im Noma. Foto: Fritz Buziek

Heute weiß Frebel, dass es gar nicht unbedingt um die nicht ganz taufrische Zutat ging, sondern um das Vertrauen, das ein Chef seinen Mitarbeitern entgegenbringt. „Im Nachhinein habe ich erkannt, dass in der Situation nicht der Fehler das Problem war, sondern vielmehr der Vertrauensbruch.“ Dieser Moment war „ein Realitycheck für mich.“ Denn: „Wenn du bei einem der Besten arbeiten willst, musst du das Beste von dir abverlangen.“

Das Aufwachsen in Magdeburg

Es ist das Jahr 2000, in Sachsen-Anhalt liegt die Arbeitslosenquote bei 20 Prozent. Da die Eltern von Thomas Frebel zwei Biergärten führen, handelt er ganz nach der alten Binse „wer nichts wird, wird Wirt“ – und beginnt eine Ausbildung im Ratskeller in Magdeburg. Er bekommt den Job, weil er beim Probekochen am schnellsten die Tomaten geschnitten hatte.

Im zweiten Lehrjahr liegen zwei wegweisende Kochbücher unterm Weihnachtsbaum: Dieter Müllers „Geheimnisse aus meiner Drei-Sterne-Küche“ und Eckart Witzigmanns „Sechs Jahrzehnte Eckart Witzigmann“. Zwei Werke, die auf den Jungkoch eine große Wirkung haben. Vor allem beim Nachblättern des Lebens von Witzigmann, der dank seines Berufs alles von der Welt sehen kann. „Mir war klar, dass ich nie finanziell frei sein werde“, sagt Frebel. „Aber wenn ich besser bin als 90 Prozent der anderen Köche, kann ich durch meinen Beruf frei sein.“

Immer der Beste sein

Frebel ist ehrgeizig, sein Antrieb ist, immer der Beste zu sein, der, der am schnellsten Zwiebeln und Kartoffeln schält, der am schönsten anrichtet. Egal ob im Landhaus Scherrer in Hamburg, seiner ersten Station nach der Ausbildung oder im Bareiss im Schwarzwald. Frebel schaut nach links und rechts, aber vor allem auf den Koch über ihm: Wie macht der die Saucen? Was macht der genau? Wie kann ich besser werden? Das ist der Sportler in ihm.

Nach dem Bareiss geht er zu Joachim Wissler nach Bergisch Gladbach, damals hat das Vendôme noch drei Sterne: „Das war die Zeit, in der ich angefangen habe, Haare zu verlieren.“ Ob es da einen kausalen Zusammenhang gibt? Der Vater schickt ihm einmal im Monat einen Nachschub von Spreewälder Senfgurken.

Pilgerstätte aller Foodies

2009 ist Frebel zum ersten Mal im Noma essen – und so begeistert, dass er dort anfangen möchte. „Ich war zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort“, sagt Frebel bescheiden.

Das Noma, das Redzepi als den „perfect storm“ bezeichnet hat, ist ein Restaurant mit Hochs und Tiefs, man erinnert sich noch dunkel, als sich einige Gäste den Magen verdorben haben. Ein Supergau auf allen Ebenen! Und als Frebel anfängt, hat das Restaurant auch mal „null Gäste zu Mittag“. 2010 dann wird das Restaurant Nummer 1 bei den „50 Best Restaurants“ – und fortan zur Pilgerstätte aller Foodies.

Und was macht Frebel? Nach zehn Jahren als ausgelernter Koch kündigt er und will die Welt bereisen, hat 10 000 Euro auf der hohen Kante und startet den Versuch, von 25 Euro am Tag zu leben. Als das Konto nach mehr als einem Jahr auf Null ist – erreicht ihn eine E-Mail von Redzepi: „Wir brauchen einen neuen Souschef in der Testküche.“ Ein Traumjob für Frebel, der kreativer arbeiten und Gerichte von Grund auf entwickeln möchte.

Wie das Noma wurde, was es ist

Heute betreut er als Direktor alles Kulinarische, was im Noma passiert. Das Team geht auf Recherchereisen nach Japan oder Mexiko, eröffnet Restaurants auf Zeit. „Es ist eines der größten Privilegien, dass ich dort hinfahren kann, um Produkte zu erleben, die dort zu dem Zeitpunkt am besten sind“, schwärmt Frebel, der etwa in der Arktis Schwertmuscheln und Seeigel frisch aus dem eiskalten Wasser gegessen hat. Seine Formel für das Essen, das er auf den Teller bringen möchte: das Produkt im perfekten Moment zu servieren.

Seine Aufgabe ist es heute, den ultimativen Geschmack zu finden, die Gewerke in der Testküche zusammenzubringen. Insgesamt gibt es hier knapp 120 Mitarbeitende, dazu kommen noch Praktikanten, die seit ein paar Jahren voll entlohnt werden, dafür aber mindestens ein halbes Jahr dableiben müssen.

Es gibt drei Saisons im Restaurant, gerade ist es die des Fischs und der Meeresfrüchte. „René und ich sind ein sehr gutes Team, aber manchmal stimmt man eben nicht überein“, so Frebel. „Am Ende des Tages ist es seine Kneipe.“ Und Frebel ist keiner, der gerne im Mittelpunkt steht. So kommt er auch nicht in „The Bear“ vor, das sei nicht sein Ding.

Die Zukunft des Nomas

Wie aber wird es mit dem Noma weitergehen, nachdem überall von der „New York Times“ bis zur „Welt“ darüber berichtet wurde, dass es schließen würde? „Das Restaurant an sich macht nicht zu, wir werden den Fokus verändern“, sagt Frebel. Die Coronapandemie hat den Gastronomen gezeigt, wie fragil ihr Businessmodell ist. Sie konzentrieren sich mehr auf Noma Projects, auf die Produkte für die Küchen zuhause, etwa auf Pilzgarum und Kürbiskernaufstrich. Ob sie nie wieder gastgeben? Man kann es sich nicht vorstellen.

Abends 20.30 Uhr. Es herrscht Hochbetrieb im Restaurant, das vom Innenarchitekten David Thulstrup mit einem unfassbar nordisch schönen Interieur versehen wurde, in dem 45 Köchinnen und Köche sowie rund zwanzig Menschen im Service herum wuseln. In Wassertanks schwimmen Krabben und Jakobsmuscheln, die später serviert werden. Frebel steht am Pass, er muss los. Eine Sporteinheit wartet. Er trainiert für einen Triathlon. Da ist er wieder, der Ehrgeiz.