Alfred Hitchcock mit seiner Ehefrau und wichtigsten Kollegin Alma Reville im Jahr 1954. Foto: imago/United Archives International/TopFoto.co.uk

Alfred Hitchock hat als Regisseur Filmgeschichte geschrieben. Ohne seine Ehefrau Alma Reville wäre ihm dies kaum gelungen. Der Autor Thilo Wydra würdigt dieses einzigartige Paar nun in einer Biografie.

Ein Foto in der reich bebilderten und schön gestalteten Biografie „Eine Liebe fürs Leben – Alma und Alfred Hitchcock“ sagt mehr als tausend Worte. Es zeigt eine blaue Plakette an dem Haus in der Londoner Cromwell Road, in der das junge Paar Alma und Alfred Hitchcock seine erste gemeinsame Wohnung hatte. Erwähnt wird auf der Plakette indes nur der Regisseur, der dort gelebt hat. Dabei hätte seine Ehefrau Alma es mindestens genauso verdient, genannt zu werden. Was viele heute nicht mehr wissen: In der mehr als ein halbes Jahrhundert währenden Karriere von Alfred Hitchcock war seine Ehefrau stetige Kollegin, Partnerin und Beraterin, die einen wesentlichen Einfluss auf des Werk eines der berühmtesten Regisseure der Filmgeschichte hatte.

 

Dass das heute kaum noch bekannt ist, hat zwei Gründe: Zum einen ließ sich Alma lange Zeit mit ihrem Mädchennamen Reville in den Vor- und Abspännen der Filme nennen und verzichtete später ganz darauf. Und zum anderen gab es in der von Männern dominierten Filmwelt natürlich niemanden, der darauf bestanden hätte, dass Alma Reville/Hitchcock die selbst gewählte Zurückhaltung aufgibt und den ihr zustehenden Platz im Hitchcock-Kosmos auch sichtbar einnimmt.

Alfred Hitchcock bei den Dreharbeiten zu „Shadow of a Doubt“. Foto: Life Magazine/J.R. Eyerman

Der deutsche Autor Thilo Wydra, der seit vielen Jahren Biografien rund um Hollywood und die Welt des Films veröffentlicht, widmet sich nun in seinem neuen Buch dieser höchst erfolgreichen Liebes- und Arbeitsbeziehung – in seiner akribischen, zurückhaltenden Art, die den Protagonisten Respekt und Wertschätzung entgegenbringt und die dunklen Seiten ihres Lebens allenfalls dezent ausleuchtet.

Hitchcocks Neurosen prägen sein Schaffen

In den Schatten des Lebens von Alfred Hitchcock gäbe es indes einiges zu entdecken, was aber auch schon hinlänglich aufgeschrieben worden ist, vor allem in der Hitchcock-Biografie von Donald Spoto: Hitch’s Besessenheit von göttlich aussehenden Blondinen als Hauptdarstellerinnen, bei denen er seine verklemmte Sexualität sublimierte, seine sichtbare Maßlosigkeit beim Essen und Trinken, sein schwarzer bis kruder Humor, den viele Menschen an den Filmsets aushalten mussten. Bekannt sind vor allem die Vorgänge rund um die Dreharbeiten zu „Die Vögel“, als Hitchcock der Hauptdarstellerin Tippi Hedren flügelschlagende Vögel ans Kleid binden ließ, und sich die ans Limit getriebene Schauspielerin nach den Dreharbeiten eine Woche lang aufs Krankenbett legen musste.

Die Performance von Tippi Hedren (Mitte) in „Die Vögel“ geriet wider Willen zum Method Acting. Foto: www.imago-images.de/Rights Managed via www.imago-images.de

Vor allem der Konflikt mit Tippi Hedren bekam noch einmal Auftrieb, als die betagte Schauspielerin 2016 in einer Autobiografie schilderte, dass Hitchcock sie mehrmals sexuell bedrängt und am Ende damit gedroht habe, ihre Karriere zu ruinieren. Wydra widmet dem Thema einige Seiten und verweist darauf, dass dies in mehreren Jahrzehnten filmischen Schaffens die einzigen Hinweise darauf seien, dass Hitchcock Grenzen in dieser Weise überschritten habe.

Für Voyeure hat Thilo Wydra also nichts zu bieten, dafür aber für die Liebhaber der allmählich in Vergessenheit geratenden Kunst des klassischen Hollywoodfilms. Die Leserinnen und Leser erfahren, dass Alma und Alfred Hitchock früh dabei waren, als die Bilder laufen lernten, und dass „Hitch“ viele Jahre brauchte, um seine Sujets zu finden und seine Filmkunst zu perfektionieren. In seiner Laufbahn hat er veritable Flops produziert, die heute als Klassiker gelten, seinerzeit aber bei Kritik und Publikum durchfielen.

Mehr als 50 Filme hat Hitchcock im Laufe der Zeit gedreht, viele davon sind, man muss es wohl auch mal feststellen, zu Recht in Vergessenheit geraten. Gleichwohl macht die Lektüre der jüngsten Biografie Lust darauf, viele der alten Klassiker, von „Eine Dame verschwindet“ bis „Über den Dächern von Nizza“ und „Psycho“ mal wieder anzuschauen.

Thilo Wydra: Eine Liebe fürs Leben – Alma und Alfred Hitchcock. Heyne Verlag München 2024. Gebunden mit Schutzumschlag, 494 Seiten, 24 Euro.