Es gibt wohl kaum ein schöneres Gefühl, als sich sicher zu sein, den Partner fürs Leben gefunden zu haben. Doch was, wenn dieser Partner sexuelle Vorlieben hat, die man selbst nicht teilt – oder gar als abnormal empfindet? Eine Sexual- und Paartherapeutin aus VS gibt Tipps.
Unterschiedliche sexuelle Vorlieben in einer Partnerschaft sind oft ein Tabu-Thema – auch innerhalb der Beziehung. Viele trauen sich nicht, gewisse Wünsche oder gar Fetische zu äußern, weil sie Angst davor haben, der Partner könnte schlecht darüber denken. Oft endet das in Frustration oder gar in einer Affäre. Manchmal bedeutet es auch das Ende der Beziehung.
Bevor es soweit kommt, sollte man sich gegenüber dem Partner öffnen. Kirstin Deter, Sexual- und Paartherapeutin aus Villingen-Schwenningen, hatte es schon öfter mit Paaren zu tun, die unterschiedliche sexuelle Vorlieben haben und weiß, dass es vielen Menschen schwerfällt, darüber zu sprechen: „Viele reden mit dem Partner gar nicht darüber, und je länger das der Fall ist, desto schwieriger wird es, so ein Thema anzusprechen.“
Meistens sei es am Anfang einer Beziehung so, dass ein Paar den kleinsten gemeinsamen Nenner davon findet, was beide mögen, erklärt die Therapeutin. „Irgendwann traut man sich dann nicht mehr zu sagen, dass man gerne etwas anderes ausprobieren möchte oder irgendetwas nicht mehr mag.“ Jeder Mensch habe eine eigene sexuelle Identität, die sich im Laufe der Jahre auch verändern könne, weiß die Expertin. Umso wichtiger sei es, offen über sexuelle Vorlieben und bestimmte Wünsche zu sprechen.
So kann das Gespräch einfacher sein
Dass das vielen Leuten jedoch schwerfällt, weiß Deter von der Arbeit mit einigen ihrer Klienten: „Manche brauchen da Übung. In der Situation muss man sich überlegen, was es so schwer macht, das Thema anzusprechen. Weil man es generell nicht gewohnt ist, über Sex zu sprechen? Weil man Angst davor hat, was der Partner denken könnte? Oder weil man sogar selbst Schuldgefühle wegen seiner sexuellen Vorlieben hat?“
In ihrer Praxis überlasst sie es den Paaren, ob sie während der Sitzung über ihre Vorlieben sprechen möchten oder wenn sie alleine sind. „Liebe und Sexualität sind etwas sehr intimes. Es muss nicht alles bei uns auf den Tisch. Das geht uns gar nichts an.“ Um das Gespräch einfacher zu machen, hat die Sexualtherapeutin einen Tipp: „Jeder schreibt auf, welche Fantasien er oder sie hat. Dann kann sich das Paar aussuchen, ob es sich diese Fantasien vorlesen will, oder der andere es leise für sich lesen darf oder ob sie es lieber für sich behalten wollen.“ Das Aufschreiben sei trotzdem sinnvoll, um sich selbst bewusst zu machen, was man will.
Grenzen müssen respektiert werden
Ist erstmal ausgesprochen und klar, dass ein Paar unterschiedliche sexuelle Vorlieben hat, muss es sich überlegen, ob es einen Kompromiss finden kann oder ob es Alternativen gibt. „Manchmal kann man sich unter bestimmten Voraussetzungen vielleicht doch vorstellen, auf den Wunsch des Partners einzugehen“, weiß die Paartherapeutin.
Wichtig sei jedoch: „Wenn sich der Partner gar nicht vorstellen kann, so einen Wunsch zu erfüllen, dann ist das schon gesetzt. Ich sage immer: Für ein Ja braucht es zwei, für ein Nein reicht schon einer.“ Grenzen müssten immer respektiert werden. „In der Regel gibt es immer Gründe, warum man etwas nicht mag. Auch wenn man die im ersten Moment selbst nicht kennt.“
Manche Fetische können auch alleine gelebt werden
Gibt es für ein Paar bei diesem Thema keinen Kompromiss, müsse es sich überlegen, wie Sexualität stattdessen aussehen kann, rät die Expertin: „Dann muss man sich fragen, was Sexualität jeweils für beide bedeutet. Für den einen ist es vielleicht Lebensenergie. Dem anderen tut es für das Selbstwertgefühl vielleicht gut, begehrt zu werden. Da gibt es viele Bedeutungsebenen und dann muss man sich fragen: Was kann mir dieses Gefühl noch geben?“ Oft überlege Deter auch gemeinsam mit ihren Klienten, wie beispielsweise ein Fetisch, den ein Partner nicht annehmen möchte, trotzdem alleine für sich gelebt werden kann.
Gibt es jedoch gar keinen Kompromiss, müsse das Paar über eine Trennung nachdenken, sagt Deter: „Wenn beide darunter leiden und merken, dass sie da nicht zueinander finden, muss man sich etwas anderes suchen. Aber das ist der letzte Ausweg. Vorher versuchen wir alles andere.“
Weitere Informationen
Kirstin Deter ist seit 2012 Paar- und seit 2014 Sexualtherapeutin. Ihre Praxis in Villingen führt sie seit 2022. Die Diplom-Sozialpädagogin therapiert auch Kinder und Jugendliche und bietet auch systemische Familientherapien an. Außerdem hat sie langjährige Erfahrung in der Arbeit mit Betroffen von sexualisierter Gewalt und in der aufsuchenden Familientherapie. Mehr Informationen über sie, ihren Kollegen Henning Zippel und ihre Arbeit gibt es auf der Homepage der Therapeutin.