Das Theaterstück „Trau Dich“ gastierte am Mittwoch in Stuttgart Foto: Jörn Haufe

Das Theaterstück „Trau Dich“ will Schüler dazu motivieren, offen mit Gefühlen umzugehen – auch bei heiklen Themen geht. Ein Gespräch mit der Macherin.

Wofür braucht man eigentlich Gefühle? Die Theatermacher der Kompanie Kopfstand, die gestern im Theaterhaus Stuttgart vor 700 Grundschülern spielten, sammeln auf ihrer Internetseite die Antworten von Kindern auf diese Frage: „Um zu wissen, was man machen soll“, schreibt eines. „Um sich zu verständigen“, meint ein anderes. Genau dazu will das Theaterstück „Trau Dich“ ermutigen, das 2013 in Berlin uraufgeführt wurde und nun zehnmal im Land gespielt wird. Das interaktive Stück gehört zum Konzept der gleichnamigen bundesweiten Initiative zur Prävention des sexuellen Kindesmissbrauchs. Gemeinsam mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) wollen die Theaterleute über sexuellen Missbrauch aufklären. Ein Interview mit Julia Bihl (33), der künstlerischen Leiterin.

Sehr geehrte Frau Bihl, Sie kämpfen mit Ihrem Theaterstück „Trau Dich“ gegen sexuellen Kindesmissbrauch. Während der Proben waren ein Jahr lang Grundschulklassen anwesend. Warum?
Wir wollten ganz nah an die Lebenswelt der Kinder herankommen. Wir haben viele Interviews mit 8- bis 12-Jährigen geführt und in Schulen recherchiert. Zwar stand schon ein grobes Konzept der Geschichte fest, doch wir wollten so die Schwierigkeiten der Schüler im Umgang mit ihren Gefühlen und Körperlichkeit einfließen lassen.
Wie?
Viele haben davon gesprochen, dass sie es nicht mehr mögen, wenn ihre Oma sie andauernd küsst. Daraus ist dann die Figur des Wladimir geworden, sicher noch ein harmloser Fall. So entstanden aber vier Geschichten, vier Protagonisten, vier Probleme. Bis hin zu Alina, die sexuell missbraucht wird.
Hat die Figur Alina ein reales Vorbild?
Ich habe während der Recherche mit keinem konkreten Missbrauchsopfer ausführlich gesprochen. Wir sind den Kindern nahe gekommen, haben aber bewusst nicht bis ins Kleinste nachgefragt, da wir so ein Gespräch professionell nicht auffangen konnten. Oft haben Lehrer allerdings vermutet, dass es Fälle in ihrer Klasse gab.
Wie sind Sie vorgegangen?
Nach den Aufführungen kamen häufig Kinder auf uns zu und haben erstmals offen gesprochen. Ein Mädchen erzählte uns beispielsweise, dass es auf dem Weg nach Hause belästigt wurde. Der Lehrer selbst wusste nichts davon. Genau das ist das Ziel: Kinder dazu zu bringen, dass sie ohne Hemmungen über ihre Erlebnisse sprechen, auch über schwierige Situationen.
Und dazu regt ein Theaterstück an?
Ja. Wissen Sie, das Theater bietet gegenüber anderen Medien wie zum Beispiel dem Film viele Vorteile.
Welche Vorteile?
Die jungen Zuschauer können die Geschichten selber weiterentwickeln. Wir lassen Stellen offen, um zum Nachdenken anzuregen, und setzen damit Impulse. Nachdem der Vorhang gefallen ist, haben wir Gesprächsbedarf bei den Schülern geweckt. Und genau das gehört dann auch zum Konzept. Miteinander ins Gespräch zu kommen und zu diskutieren.
Wie geht es weiter im Land?
Nach den zweiten ersten Vorstellungen am gestrigen Tag planen wir noch acht weitere in Baden-Württemberg. Bis Ende des Jahres wollen wir hier im Land damit rund 5000 junge Zuschauer erreichen, es sind Aufführungen in zehn Landkreisen und kreisfreien Städten geplant.
Welche Erwartungen verbinden Sie persönlich mit dem Stück?
Wir hoffen, dass wir so einen Beitrag dazu leisten können, dass Kinder selbstbewusster mit ihren Gefühlen umgehen. Auf unsere Frage, warum man auch schlechte Gefühle braucht, hat ein Kind geantwortet: „Sauer sein, damit jemand weiß, dass man in Ruhe gelassen werden will.“ Das ist der richtige Weg.