Er könnte jedem alles verkaufen: Leonardo DiCaprio als charismatischer Broker. Foto: Universal

Leonardo DiCaprio brilliert in der Komödie/Drama „The Wolf of Wall Street“ als Broker, doch Martin Scorsese findet keine Haltung zum Thema.

Filmkritik und Trailer zum Kinofilm "The Wolf of Wall Street"

Stuttgart - Er ist ein Manipulator, der den Menschen alles verkaufen kann. Geblendet vom Erfolg, will er bald mehr, als ein Mensch verkraftet: Jordan Belfort, unorthodoxer Aktienzocker und Lebemann, ergaunert Millionen von nichtsahnenden Anlegern, pumpt sich mit Drogen voll und schläft mit jeder Frau, die nicht laut genug Nein sagt. Das kann nicht gutgehen, vor allem, wenn man die Staatsmacht im Nacken hat und wie Jordan den Zeitpunkt zum Ausstieg verpasst. Doch wer Geld hat, kommt oft ungeschoren davon.

Das ist auch schon die ganze Geschichte, die Martin Scorsese zu erzählen hat, basierend auf der Autobiografie des realen Jordan Belfort, der all das in den 1990er Jahren erlebte. Wie in „Gangs of New York“, „Aviator“, „Shutter Island“ und „Departed“ hat Scorsese mit Leonardo DiCaprio gedreht, und der wirft sich mit Wucht in die Rolle: Er umschmeichelt Kleinanleger am Telefon nach allen Regeln der Kunst, er betört seine Broker-Mannschaft mit brillanten Ansprachen und kriecht im Delirium eine Treppe hinunter – zu seinem Ferrari. Anders als Michael Douglas’ Broker-Reptil Gordon Gekko in „Wall Street“ (1987) ist Belfort ein Außenseiter, aber genauso skrupellos.

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Es wird gesoffen, gehurt und betrogen, Jonah Hill gibt eine Nervensäge und Jean Dujardin das Abziehbild eines skrupellosen Schweizer Bankiers. Alle benehmen sich wie die Barbaren, und spätestens nach zwei Stunden, der dritten Ansprache und dem vierten Absturz drängt sich der Verdacht auf, dass dieser Film nirgends hinführen könnte als in immer neue Ausschweifungen.

Dabei gäbe es ein großes Thema, dem Scorsese konsequent ausweicht: Die geschädigten Anleger bleiben anonyme Opfer, die Risiken des Zockens für Weltwirtschaft und Allgemeinheit streift Belfort nur nebenbei – als er aufzählt, dass ihn an der Wall Street nun 2008 untergangene Kasinos wie Lehmann auf der Rechnung haben. J. C Chandor hat in „Margin Call“ (2011) tief ausgeleuchtet, was Broker an- und umtreibt außer Gier, hier bleibt es im Dunkeln.

Den rasanten Aufstieg skrupelloser Kerle hat Scorsese schon einmal ganz ähnlich erzählt, in „Goodfellas“ (1990). Da allerdings ging es um Machtkämpfe innerhalb der Mafia, die Figuren waren eindeutig definiert als Gewaltverbrecher in einer ethikfreien Zone. Zu den Brokern in „The Wolf of Wall Street“ findet Scorsese keine Haltung. Er schaut ihnen zu, als wäre ihr Tun nur ein Spiel, allenfalls ein Kavaliersdelikt.

Das kann nicht einmal ein DiCaprio überspielen. So unterhaltsam dieser Film streckenweise sein mag: Er greift zu kurz – besonders in dieser Länge.

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