"Temporäre Bewohner" auf dem Festplatz: In den sozialen Netzwerken gibt es deshalb Diskussionen. Foto: Lück

Stadt fordert zu Toleranz gegenüber "temporären Bewohnern" auf dem Festplatz auf.

Seit 19. Oktober befinden sich "temporäre Bewohner" auf dem Festplatz. Es handelt sich um einen Romani-Familienverbund aus Frankreich. In den sozialen Netzwerken führt das zu Diskussionen. Doch Stadt und Polizei haben bisher wenig bis gar nichts zu beanstanden.

 

Horb - Der Volksmund nennt sie oft "fahrendes Volk", auch die Stadtverwaltung wählt diesen Begriff für die Gäste aus Frankreich (in Anführungszeichen) - obwohl dieser Begriff vom Verband der Sinti und Roma kritisch gesehen wird. Denn die meisten Sinti und Roma seien mittlerweile sesshaft. Der Verband spricht von 98 Prozent. Die "temporären Bewohner" des Festplatzes sind also eher eine Ausnahme, die aber von einigen Menschen argwöhnisch beäugt werden. Aus konkreten Gründen vor Ort oder wegen antiziganistischer Denkweise (siehe Info zu "Antiziganismus")?

Diskussion in sozialen Netzwerken

Anfeindungen und Ressentiments sind in den sozialen Netzwerken immer wieder herauszulesen - auch im konkreten Horber Fall. Seit dem 19. Oktober haben sich die Menschen mit Romani-Hintergrund aus Frankreich auf dem Festplatz niedergelassen - nicht zum ersten Mal. Einfach so, ohne Anmeldung und Anfrage. Die Stadt spricht von einer Duldung. Das führt zu Unverständnis in Teilen der Horber Bevölkerung. "Dann kann ich demnächst einfach so auf dem Festplatz meine Zelte aufschlagen. Gleiches Recht für alle. Wer’s glaubt. Ich hätte noch keinen Hering im Boden, da würde schon die Polizei auf der Matte stehen", schreibt ein Facebook-Nutzer beispielsweise auf der Seite der Stadtverwaltung und wählt dabei noch im Gegensatz zu anderen eine "harmlosere" Wortwahl.

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In der Gruppe "Blaulicht News Horb a. N.ckar" teilen die User noch deutlicher aus. Ein User schreibt: "Diese Leute haben Sonderstatus, die dürfen alles und die eigenen Bürger werden einfach abgezockt." Andere gehen sogar soweit, zur Eigeninitiative aufzufordern und die "temporären Bewohner" zu verscheuchen. Die Reaktion eines anderen auf diesen Kommentar: "ekelhaft".

Vor allem Stein des Anstoßes: die vorübergehend großen Müllberge und angeblichen Verunreinigungen im Umfeld des Festplatzes. Andere berichten in den sozialen Medien von zum Teil penetranten Angeboten von Haustürgeschäften und Dienstleistungen.

Familienverbun bleibt bis Ende des Monats

Die Polizei zeichnet allerdings ein anderes Bild. "Bei uns liegen keine Kenntnisse über strafrechtlich relevante Sachverhalte im Hinblick auf den von Ihnen geschilderten Zusammenhang vor", schreibt Frank Weber, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Pforzheim. Es habe nur vereinzelte Hinweise auf "verdächtiges Verhalten sowie auf Störung der sonntäglichen Ruhe erhalten, die möglicherweise im Sachzusammenhang stehen und denen wir nachgegangen sind". Allerdings: "Auch hier wurden jedoch keine Straftaten bekannt, die entsprechende Ermittlungen nach sich gezogen hätten."

Die Stadt schreibt: "Die Informationen von einigen Bürgerinnen und Bürgern, es komme unter anderem zu Verschmutzungen im Bereich des Festplatzes, haben wir entgegengenommen und bearbeitet. Müllcontainer und Dixi-Toiletten wurden am Mittwoch aufgestellt, die Kosten werden den Verursachern natürlich in Rechnung gestellt. Bisher wurde auch alles bezahlt." Mittlerweile sei zudem seit vergangenen Freitag aufgrund von Frostgefahr das Wasser auf dem Festplatz abgestellt worden. "Natürlich gelten auch hier die allgemeinen Corona-Regeln, so wie im geschützten familiären Umfeld einer geschlossenen Wohnung."

Bis vermutlich Ende des Monats werde der Familienverbund auf dem Festplatz bleiben. Die Stadtverwaltung fordert die Horber zu Toleranz auf: "Auch wenn das ›fahrende Volk‹ anders lebt als die Norm, so sollten wir ihnen einen Platz in der Gesellschaft nicht verwehren."

"Bitte akzeptiert, was ist, und gut ist’s"

Man werde weiterhin versuchen, in Zusammenarbeit mit der Polizei die Situation im Blick zu behalten und "niemanden vorzuverurteilen und dennoch die Ängste der Bürgerinnen und Bürger in Horb ernstnehmen". Abschließend schreibt die Stadt: "Es stellt sich immer wieder die Frage, welches Handeln verhältnismäßig ist. Deshalb werden wir situationsbedingt die Lage immer wieder neu bewerten und sind aktuell mit Kontrollen vor Ort und stehen auch mit der Polizei in Kontakt."

Für ihre Stellungnahme auf Facebook bekommt die Stadtverwaltung auch viel Lob. "Vielen Dank an die Stadt, dass sie mit diesem Post den unzähligen und teilweise wirklich absolut hanebüchenen Vorurteilen entgegen tritt. Ich finde das sehr gut geschrieben", lautet ein Kommentar. Ein anderer: "Seid froh, dass ihr ein Dach über dem Kopf habt. Für das fahrende Volk ist es auch nicht einfach wenn man nicht willkommen ist und Anfeindungen gegenübersteht. Und sie sind ein Teil unserer Gesellschaft! Also bitte akzeptiert, was ist, und gut ist’s."

Der Verband der Sinti und Roma hat auf seiner Homepage eine Definition von "Antiziganismus" veröffentlicht. Dort heißt es: "Der Begriff Antiziganismus bezeichnet sowohl jene Bilder und Vorurteile, die sich Menschen von vermeintlichen ›Zigeunern‹ machen, als auch die daraufhin folgende Diskriminierung, Ausgrenzung und Verfolgung. Antiziganismus ist ein Parallelbegriff zu Antisemitismus." Weiter schreibt der Verband: "Die Wirkungsweise von Antiziganismus liegt in einer Homogenisierung, Stigmatisierung und Reduzierung der betroffenen Individuen auf die Mitgliedschaft in einer so konstruierten Gruppe der ›Zigeuner‹, der etwa deviante, vormoderne oder archaische Eigenschaften zugeschrieben werden."

Studien zur Einstellung gegenüber dieser Menschen

Zu den Folgen zählen laut Verband gesellschaftliche, staatliche und institutionelle Diskriminierung in Bereichen wie Bildung, Arbeit, Gesundheit und Wohnen bis hin zu physischer Gewaltanwendung. "Als Begriff ist Antiziganismus in der deutschen Bürgerrechtsbewegung erst 20 Jahre, als Erscheinung mehr als 500 Jahre alt. Aktuell wird in den Sinti und Roma Communities dieser Begriff auch kritisch diskutiert, da dieser ›Ziganismus‹ im Wort enthält."

Doch wie weit ist Antiziganismus in der Bevölkerung verbreitet? Darüber gibt die Leipziger Autoritarismus-Studie der Heinrich-Böll-Stiftung Aufschluss. Auf die Aussage "Ich hätte Probleme, wenn sich Sinti und Roma in meiner Gegend aufhalten" antworten im Westen Deutschlands in der Befragung aus diesem Jahr 41,2 Prozent mit Ja. Im Osten sind es 44,5 Prozent. 2014 waren die Zahlen noch höher (West: 53,7/ Ost 58).

Die Aussage "Sinti und Roma sollten aus den Innenstädten verbannt werden" beantworten 2020 immerhin noch 33,8 Prozent mit Ja (Ost: 41,3). Das Vorurteil, dass Sinti und Roma zur Kriminalität neigen, bejahen sogar 52,5 Prozent (Ost: 54,1).