Die Polizei zapft meist Telefondaten an, um hilflose oder suizidgefährdete Menschen zu finden.

Stuttgart - Die Polizei hat 2010 seltener Telefondaten zur Gefahren- und Verbrechensabwehr gespeichert als noch im Jahr zuvor: 826-mal zapfte sie die Nummern ohne Wissen der Betroffenen an. Doch meist ging es darum, vermisste, hilflose oder suizidgefährdete Menschen zu finden.

Telefonüberwachung ist ein empfindlicher Eingriff in die Privatsphäre: Der Staat darf zu diesem Schwert deshalb nur in wenigen begründeten Fällen greifen. Dazu gehört zum Beispiel die Strafverfolgung bei schweren Verbrechen. Aber auch zur Abwehr von Gefahren und schwerwiegenden Straftaten kann die Polizei solche Daten erheben - darüber lässt sich der Landtag regelmäßig berichten.

In insgesamt 826 Fällen hat die baden-württembergische Polizei im vergangenen Jahr die Telefondaten ermittelt, heißt es dazu in der jüngsten Übersicht der Landesregierung. Für das Jahr 2009 weist die Statistik 857 Fälle aus.

Ein Mann drohte, eine Schule in die Luft zu sprengen

"Polizeiliche Maßnahmen mit Bezug zur Telekommunikation" nennt sich dieses Instrument offiziell in Paragraf 23a des baden-württembergischen Polizeigesetzes. Dabei geht es nicht darum, Telefone abzuhören, sondern Verkehrsdaten zu ermitteln - also etwa Nummern, Verbindungszeiten, Netze oder geografische Angaben.

Nur in einem der 826 Fälle (2009: sieben Fälle) ging es jedoch um eine vorbeugende Abwehr von schwerwiegenden Straftaten: In Freiburg hatte ein Mann einer Lehrerin damit gedroht, die Schule "in die Luft zu sprengen". Die Ermittler besorgten sich daraufhin beim zuständigen Amtsrichter die Genehmigung, den Anrufer ausfindig zu machen - was ihnen auch rasch gelang. Der Mann wurde gefasst.

In allen anderen 825 Fällen schritten die Beamten ein, weil sie eine unmittelbar bevorstehende Gefahr für das Leben von Menschen abwehren wollten. Hierbei ging es vorwiegend um die Ortung von Mobiltelefonen "von vermissten, hilflosen oder suizidgefährdeten Personen", wie es in der Übersicht heißt.

Ohne richterliche Anordnung darf die Polizei allerdings nicht zur Tat schreiten

Dabei besorgte sich die Polizei bei den Netzbetreibern die Informationen, in welcher Funkzelle sich ein bestimmtes Mobiltelefon befand - das sind eng abgegrenzte Gebiete, die mal wenige Meter, aber auch einige Kilometer betragen können. Wie so etwas abläuft, lässt sich der Landtag ebenfalls berichten. Das liest sich dann so:

"Ein 20-jähriger körperlich und geistig behinderter, größtenteils orientierungsloser Mann verließ seine Arbeitsstelle. Seit diesem Zeitpunkt war nur eine einmalige Kontaktaufnahme mittels Mobiltelefon möglich, bei welcher er angab, sich in einem Zug zu befinden. Die Person war nicht in der Lage, sich darüber hinaus sprachlich zu artikulieren, und machte keine Angaben zur Fahrtstrecke. Das Mobiltelefon konnte mit Zeitverzug geortet werden. Die Person konnte festgestellt und den Eltern wohlbehalten zugeführt werden."

Auch die Geschichte eines 47-jährigen Mountainbikers wird erwähnt, der mehrere Stunden lang vermisst war. Nachdem man sein Handy geortet hatte, fand man ihn schließlich schwer verletzt auf.

Telefondaten ohne Anfangsverdacht zu registrieren ist verboten

Ohne richterliche Anordnung darf die Polizei allerdings nicht zur Tat schreiten. Nur wenn Gefahr im Verzug ist, kann diese Erlaubnis nachträglich eingeholt werden. Auch darüber wird penibel Buch geführt: Danach hat die Polizei im vergangenen Jahr 142-mal (2009: 159-mal) einen richterlichen Beschluss zur Ortung eines Handys beantragt. In allen Fällen haben die Richter der Maßnahme zugestimmt.

676-mal (2009: 654-mal) haben die Beamten die Genehmigung erst nachträglich eingeholt, weil sie Gefahr im Verzug gesehen haben. Bei 654 Fällen haben die Amtsrichter dies bestätigt. In sechs Fällen stehe eine solche Bestätigung noch aus, heißt es in dem Bericht der Landesregierung. In 16 Fällen fehlt diese Bestätigung jedoch - unter anderem auch deshalb, weil die Richter meinten, bei einer reinen Handy-Ortung und Gefahr im Verzug sei eine solche Bestätigung gar nicht notwendig.

Nicht mehr erlaubt ist es derzeit, Telefondaten ohne jeglichen Anfangsverdacht oder ohne Gefahr zu registrieren. Dieser sogenannte Vorratsdatenspeicherung hat das Bundesverfassungsgericht im März 2010 einen Riegel vorgeschoben. Wollen die Ermittler dieses Instrument weiter nutzen, muss der Bundestag ein neues Gesetz machen.