Felix Klare, bekannt als Kommissar im Stuttgarter „Tatort“, kehrt nach fünf Jahren Abstinenz wieder auf die Bühne zurück: In den „Ehen in Philippsburg“ spielt er einen Arzt, der mit Frauen umzugehen weiß.
Stuttgart - Kameras können zaubern: Sie verändern und verwandeln die Menschen, die sie vor die Linse kriegen. Ein anderes Licht, eine andere Szenerie, ein anderer Blickwinkel – und schon ist der Abgelichtete nicht mehr der, der er war. Auch er ist jetzt ein anderer, sei’s auf einer Leinwand oder eben einem Bildschirm, wo Felix Klare regelmäßig sein markantes Kinn vor die Kamera schiebt und skeptische Sätze ins Mikro knurrt. Im Stuttgarter „Tatort“ spielt er den Ermittler Sebastian Bootz – und obwohl er in dieser Rolle nicht ganz so männlich, hart und entschlossen auftritt wie Richy Müller als sein Kollege Thorsten Lannert, wirkt er noch immer männlich, hart und entschlossen genug. Umso größer die Verblüffung, wenn man dem 38-jährigen Schauspieler leibhaftig begegnet: Schmal und schmächtig ist er, mit weichen Zügen, zarten Gliedern und bedächtiger Stimme, eher ein Blatt im Wind als der Wind selbst. Nur die schwarz verwuschelte Haarmähne ist die gleiche wie im Fernsehen.
Es ist aber nicht der „Tatort“, der Felix Klare jetzt nach Stuttgart führt. Es ist das Theater. Zuletzt stand er vor fünf Jahren auf der Bühne, im Resi in München. Nun gibt er sein Comeback: An diesem Samstag werden im Schauspielhaus von Armin Petras die „Ehen in Philippsburg“ uraufgeführt, ein Stück nach dem gleichnamigen Roman von Martin Walser – und Klare verkörpert Dr. Benrath, einen angesehenen Gynäkologen, der in der Philippsburger Gesellschaft bis nach oben gestiegen ist. „Eine geleckte Männerfigur“, sagt Klare, „ein Herr, der die Frauen mit desinfizierten Händen dorthin kriegt, wo er sie hinkriegen will: ins Bett“. Dass der in Heuchelei geübte Womanizer, in einer trostlosen Ehe feststeckend, eine Geliebte hat, wundert deshalb nicht: „Er geistert zwischen den Welten, der offiziellen und der inoffiziellen, hin und her“, erklärt Klare.
Panik hinter der Fassade
Um sich auf die Inszenierung vorzubereiten, hat der 1978 in Heidelberg geborene, in München lebende Theater-Rückkehrer auch den Roman gelesen, der jetzt auf die Bühne kommt. Das ist unter Schauspielern keineswegs selbstverständlich. Oft begnügen sie sich mit dem Studium ihrer eigenen kleinen Rolle. Klare nicht. Gestützt auf eine aufmerksame Buchlektüre breitet er das gesamte, von Martin Walser 1957 in seinem Debütroman entworfene Stadt- und Figurenpanorama aus. „Man muss sich klar machen, woher Walsers Männer und Frauen kommen: Sie sind alle vor dem Zweiten Weltkrieg geboren worden. Und jetzt, in der Wirtschaftswunderzeit, sind sie damit beschäftigt, die Schrecken der Kriegsvergangenheit zu übertünchen.“ Daher also die Hyperaktivität und Hypernervosität der aus „Trümmerlandschaften“ hervortretenden Bürger von Philippsburg, die ihre Karrieren vorantreiben und doch das Rumoren der Seelen nicht ganz unterdrücken können. Was Walser mit satirischer Scharfsicht beschreibt, will Klare sechzig Jahre danach auch auf den Brettern, die ihm viel bedeuten, zeigen: das Kriseln unter der Oberfläche, die Panik hinter der Fassade des Dr. Benrath, der von seiner Geliebten rückhaltlos aus dem Lebenskonzept katapultiert wird.
Benrath ist nicht die Hauptfigur in Stephan Kimmigs Inszenierung, die Hauptfigur wird der von Matti Krause gespielte Hans Beumann sein, der als Jungjournalist nach Philippsburg kommt – genau so wie Walser, der Anfang der fünfziger Jahre seine Arbeit als Jungredakteur beim Süddeutschen Rundfunk aufgenommen und nebenbei Material für sein böses Stadtporträt gesammelt hat. Was er Philippsburg nannte, war in Wahrheit Stuttgart, verschlüsselt zwar, doch für die Stützen der Gesellschaft wiedererkennbar. Walser hat sich damals in der Halbhöhen-Society umgeschaut, umgehört und rumgetrieben, er hat recherchiert und ermittelt und die Verfasstheit der streng in Klassen geschiedenen Bürgerschaft erkundet. Und weil diese Schnüffelei, entliterarisiert, auch zum Job eines Kommissars gehört, hat es natürlich einen gewissen Charme, dass sich nun ausgerechnet der Fernsehkriminaler Felix Klare in den Dienst der auf der Bühne neu aufgerollten Ermittlungen stellt: Tatort Schauspiel Stuttgart. Walser als ferner Verwandter von Bootz, beide der Wahrheitsfindung verpflichtet – ergäbe das nicht eine hübsche Querverbindung, eine reizvolle Überlappung, ein reiches Assoziationsfeld?
Keine Lust auf Kommissarssätze
Das ergibt es zwar, versichert Klare, aber das Zweitleben als Kommissar habe bei seinem aktuellen Engagement keinerlei Rolle gespielt. Es sei alles sehr banal gewesen. Nach den Fernseharbeiten, den „Tatorten“ für den SWR und den Filmen hier und da, wollte er schlicht wieder dorthin zurück, wo er als Absolvent der Berliner Ernst-Busch-Schule vor fünfzehn Jahren angefangen hat, eben ins Theater. Die ihm zwischenzeitlich in München und Stuttgart unterbreiteten Angebote musste er wegen Drehverpflichtungen immer wieder ausschlagen, bis es dann mit dem Petras-Schauspiel doch noch geklappt hat. Dass es just ein Stück über das bourgeoise Stuttgart geworden ist: Zufall. Seine Freude am Bühnenspiel schmälert das nicht im Geringsten. „Im Theater werde ich von der Sprache auf einem höheren intellektuellen Niveau gefordert als im Film“, sagt er und schlenzt, um die Dürftigkeit des Fernsehens zu beweisen, einen typischen Kommissarssatz hin: „ Wo waren Sie zwischen 16 und 16.30 Uhr?“ – und diese Polizistenfrage lässt der Schauspieler mit einer derart routinierten Teilnahmslosigkeit in die Welt fallen, dass seine Unlust nicht zu überhören ist.
Da helfen nur Literatur und Theater: „Es tut gut, sich wieder mit Sätzen zu beschäftigen, in denen Welten stecken. Sätze, die man erst mal denken und begreifen muss, bevor man sie auf die Bühne bringen kann“ – und der sprachlich ausgehungerte Klare weiß, dass er in dieser Hinsicht beim Satztüftler Walser bestens aufgehoben ist. Neulich ist ihm von der Regie wieder so eine grandiose Sentenz ins Textbuch geschrieben worden, die gar nicht aus den „Ehen in Philippsburg“ stammt, sondern aus „Meßmers Momente“. Klare zitiert sie genüsslich: „Wenn, wer Zähne hat, seine Wut spazieren führen muss als Lamm“ – und ebenso genüsslich nimmt er die Verdutztheit seines Gesprächspartners wahr, der diesen Aphorismus jetzt erst mal denkend und begreifend verdauen muss. Der Schauspieler hat das schon hinter sich und liefert mühelos eine ins Unreine formulierte Übersetzung dieses bissigen Walser-Spruchs: „Hab dich unter Kontrolle, wenn Du ausflippst. Sonst nimmt es ein böses Ende.“
Sich unter Kontrolle haben: die feinen Leute von Philippsburg haben es darin zu einer gespenstischen Meisterschaft gebracht. Nur der kopflos verliebte Dr. Benrath nicht. Klare, übernehmen Sie!