Protestiert wurde schon zur zweiten Verhandlungsrunde in Ludwigsburg – nun geht es mit den ersten Warnstreiks richtig los. Foto: Matthias Schiermeyer

In der Metall- und Elektroindustrie rollt die erste Warnstreikwelle. Dennoch sind sich IG Metall und der Arbeitgeberverband in den Verhandlungen näher, als es den Anschein hat. Vier Thesen, wie es mit der Tarifrunde weitergeht.

Die Metalltarifrunde erreicht den ersten Höhepunkt: Die IG Metall dringt auf eine kurze, aber machtvolle Warnstreikphase. Zum Auftakt am Dienstag legen die Beschäftigten bundesweit in mehr als 100 Betrieben die Arbeit nieder, im Südwesten zum Beispiel bei Porsche in Zuffenhausen oder bei Bosch in Reutlingen. Es zeichnet sich ab, wie die Verhandlungen verlaufen könnten. Dazu vier Prognosen.

 

1 Der Abschluss kommt in der vierten Verhandlungsrunde An diesem Donnerstag treffen sich die Unterhändler von IG Metall und Südwestmetall in Böblingen zur dritten Runde – ein ca. zweistündiges Arbeitstreffen, mehr nicht. In der Folge wird die IG Metall ihre Mobilisierung weiter hochfahren. Dann aber gilt es: Einen Tarifabschluss für die vierte Runde vorherzusagen, ist zwar weit aus dem Fenster gelehnt. Doch drängen beide Tarifparteien glaubwürdig zur Eile. „Wir haben auch ein Interesse, zügig zum Ergebnis zu kommen“, sagt die Tarifvorständin der Gewerkschaft, Nadine Boguslawski, unserer Zeitung. Wann und wo das mögliche Finale stattfindet, ist unklar – auch ob der Pilotabschluss in Bayern, Nordrhein-Westfalen oder entgegen bisherigen Annahmen doch in Baden-Württemberg erfolgt.

Hoffnung macht auch die Reaktion der IG Metall auf die erste Arbeitgeberofferte – anders als früher wird dieses trotz niedriger Zahlen nicht vom Tisch gewischt: „Positiv ist, dass wir bereits in der zweiten Verhandlungsrunde ein Angebot bekommen haben, auch wenn es natürlich noch viel zu niedrig ist“, sagt Boguslawski unserer Zeitung. „Im Gesamtpaket ist es ein verhandlungsfähiges Angebot, mit allen Elementen, an denen wir jetzt weiterarbeiten – das finde ich eher erstaunlich.“

Offen bekennen zudem einflussreiche betriebliche Funktionäre der Gewerkschaft, dass die seit Jahresbeginn diskutierten und im Juni offiziell beschlossenen sieben Prozent heute nicht mehr auf die Agenda gesetzt würden. Die Situation hat sich derart verschärft, dass Betriebsratsvorsitzende gerade in der Automobilindustrie längst angefangen haben, die Erwartungshaltungen in den eigenen Reihen zu reduzieren.

2 Beim Entgelt legen die Arbeitgeber noch deutlich nach Bisher wollen die Arbeitgeber 3,6 Prozent mehr Geld zahlen: ab Juli 2025 eine Entgelterhöhung von 1,7 Prozent und ab Juli 2026 von 1,9 Prozent. Was dieses Angebot für die 27-monatige Laufzeit bis Ende 2026 an Lohnsteigerung bedeutet, wollen beide Seiten nicht öffentlich kommunizieren – es dürfte auf einen Wert zwischen 1,6 und 1,7 Prozent hinauslaufen. Wenn man dann noch berücksichtigt, dass es in diesem Jahr noch eine Inflationsausgleichsprämie von 1500 Euro gegeben hat, die 2025 wegfällt, und dass die erste Entgeltstufe nach neun Nullmonaten einsetzt, dann geht das Angebot allein für 2025 schon in Richtung Nullrunde.

„Zu spät, zu lang, zu wenig“, lautet die formelhafte Antwort der IG Metall. Nun wird die Gewerkschaft alles daran setzen, die drei Parameter Entgelthöhe, Einsetzen der ersten Stufe und Laufzeit zu verbessern. Insofern haben die Arbeitgeber sehr wohl im Kalkül, bei den drei Faktoren noch nachzulegen. Dabei machen sie aber Abweichungsmöglichkeiten zur Bedingung, indem nach ihren Vorstellungen zum Beispiel die „automatische Differenzierung“ fest im Tarifvertrag verankert werden soll. Das heißt: Betriebe, die unterhalb einer Nettoumsatzrendite von 2,3 Prozent agieren, sollen kürzen dürfen.

3 Bei der tariflichen Freistellungszeitwerden die Ansprüche ausgeweitet Derzeit diskutiert eine gemeinsame Arbeitsgruppe insbesondere über die tarifliche Freistellungszeit. Seit 2019 erhalten die Beschäftigten das tarifliche Zusatzgeld (T-Zug), 27,5 Prozent des durchschnittlichen Monatsentgelts. Dazu kommt ein Zusatzbetrag von 18,5 Prozent des Facharbeitereckentgelts (T-Zug B). Wer in Schicht arbeitet, Kinder unter acht Jahren daheim betreut oder Angehörige pflegt, kann den T-Zug in freie Zeit umwandeln und so acht zusätzliche Tage im Jahr frei nehmen. Die IG Metall will den Kreis der Betroffenen ausweiten: Die Altersgrenze der Kinder soll angehoben werden, ein Beschäftigter mit betreuungsbedürftigen Angehörigen soll öfter freie Tage nehmen dürfen. Die Teilzeit soll profitieren. „Wenn Arbeitszeitvolumen entfällt, muss dies anderweitig ausgeglichen werden“, mahnt Südwestmetall-Chefunterhändler Harald Marquardt.

Allzu gern hätten die Arbeitgeber ein „einseitiges Anordnungsrecht“. Denn in der Krise hat sich der T-Zug als hilfreiches Instrument entpuppt, weil mit Zustimmung des Betriebsrats ganze Belegschaften acht Tage in die Freizeit geschickt werden konnten, um eine geringe Auslastung zu überbrücken.

Den Wunsch der IG Metall, den ehrenamtlichen Einsatz für die Demokratie als weitere Säule bei der Freistellungszeit zu berücksichtigen, sehen die Arbeitgeber skeptisch. Denn die Betriebe sollen nicht immer mehr Kosten für gesellschaftliche Aufgaben tragen. Nachgedacht wird nun etwa über Freistellungsmöglichkeiten ähnlich den ehrenamtlichen Tätigkeiten für THW oder Feuerwehr, die seit Langem Praxis sind.

4 Die Azubi-Vergütung steigt deutlich stärker als das allgemeine Entgeltplus Diese Prognose fällt relativ leicht, denn die Arbeitgeber zeigen sich schon bereit, „über eine überproportionale Anhebung der Auszubildenden-Vergütungen zu sprechen“. Auf Zahlen mag man sich aber nicht festlegen, zumal der Maßstab noch unklar ist.

Die IG Metall strebt nach einem einheitlich hohen „Attraktivitäts-Turbo“ von 170 Euro für alle Azubis – dies entspricht nach ihren Angaben im ersten Ausbildungsjahr je nach Tarifgebiet einer Steigerung zwischen zwölf und 14 Prozent, wobei dieser Wert bis zum vierten Ausbildungsjahr abnimmt.

Die Arbeitgeber rechnen sogar mit bis zu 15 Prozent und im Mittel mit knapp 14 Prozent, das Doppelte der reinen Entgeltforderung. So viel wollen sie bisher nicht geben. Doch ist ihnen das Signal wichtig, dass sie das Grundprinzip der Forderung anerkennen und an der Stelle keine Zuspitzung suchen.