Die Deutsche Bahn möchte in diesem Jahr 25 000 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einstellen. Foto: dpa/Christoph Schmidt

Überlastetes Personal, hohe Inflation und die Deutsche Bahn auf Mitarbeitersuche – die kommende Tarifrunde bei Bus- und Bahnunternehmen wird hart. Für Fahrgäste bedeutet das vor allem eins.

Die Verkehrsgewerkschaft EVG warnt „vor einem baldigen Kollaps bei Bus und Bahn“, falls nicht rasch mehr Mitarbeiter für die Branche gewonnen werden. Wenn es den Eisenbahnunternehmen in den nächsten Monaten nicht gelinge, ausreichend Personal nachzusteuern, drohe Stillstand, betonen die beiden Tarifvorstände Cosima Ingenschay und Kristian Loroch. Immer öfter fielen Züge aus, weil Stellen auch wegen schlechter Bezahlung nicht mehr besetzt seien oder Kollegen krank seien, weil „die Belastungen im Beruf mittlerweile überhandnehmen“, so Ingenschay.

Verhandlungen beginnen im Februar

Die Rahmenbedingungen will die EVG unter ihrem neuen Vorsitzenden Martin Burkert in den Tarifverhandlungen mit rund 50 Bahn- und Busunternehmen verbessern, die im Februar beginnen. Dazu soll für alle Unternehmen eine branchenweit einheitliche Forderung durchgesetzt werden. Mit attraktiver Bezahlung steige die Chance, auf dem leer gefegten Arbeitsmarkt offene Stellen wieder besetzen zu können, betont die EVG. Davon würden am Ende auch die Fahrgäste profitieren.

Alle Personaloffensiven seien „zum Scheitern verurteilt, wenn die Unternehmen nicht endlich angemessene Löhne zahlen“, kritisiert Loroch. So habe die bundeseigene Deutsche Bahn AG zwar das Ziel, 25 000 neue Mitarbeiter in diesem Jahr einzustellen, doch dazu seien die derzeitigen Rahmenbedingungen nicht geeignet. Die Fluktuation sei voriges Jahr von 6 auf 7,3 Prozent gestiegen, und es gebe Bereiche, wo 80 bis 90 Prozent der Bewerber wegen dürftiger Entlohnung wieder abspringen.

Der Krankenstand wächst

Zudem wachse der Krankenstand: 2022 sei er von 5,5 auf 7,1 Prozent gestiegen. Beim Service im Zug oder am Bahnhof, aber auch im Busbereich liege die Quote schon bei zehn Prozent und darüber, so Loroch. Die Belastung der Belegschaft macht die EVG auch an den Überstunden fest, die voriges Jahr von 6,7 auf 7,1 Millionen Stunden angewachsen sind. Zudem seien über 1,5 Millionen Stunden ausbezahlt und fast 18 Millionen Überstunden auf Langzeitkonten angespart worden. Dieses Volumen entspreche der Arbeitsleistung von 8700 Vollbeschäftigten.

Über die Höhe der Forderung und die Laufzeit des neuen Vertrags werden die Tarifkommissionen der EVG am 7. Februar entscheiden. Dazu treffen sich rund 300 Mitglieder aus ganz Deutschland in Fulda. Die erste Verhandlungsrunde soll Ende Februar starten und bis zum 24. März dauern. Man hoffe auf „vernünftige Angebote“ der Arbeitgeber, um schnell einen überzeugenden Abschluss zu erzielen, betonen Ingenschay und Loroch. Andernfalls müsse man „sehr schnell über entsprechende Konsequenzen nachdenken“. Soll heißen: Streiks.

Die Deutsche Bahn erwartet eine hohe Forderung

Es werde „um deutlich mehr Geld in dieser Runde gehen“, ergänzt Loroch. Auch der Bahn-Konzern erwartet eine „ordentlichen Forderung“, wie Personalvorstand Martin Seiler bereits erklärte: „Man muss kein großer Hellseher sein, um zu sehen, dass wir es mit einer hohen Forderung zu tun bekommen werden.“ Es gebe berechtigte Wünsche der Beschäftigten wegen gestiegener Kosten und höherer Inflation. Andererseits müsse die Bahn zukunftsfähig bleiben. Es gelte, eine Balance zwischen prozentualen Lohnerhöhungen und Einmalzahlungen wie einer Inflationsausgleichsprämie zu finden. Der Bahn-Konzern beschäftigt aktuell 222 000 Mitarbeiter in Deutschland und 338 000 weltweit.

Mit Blick auf die Rekordinflation von 7,9 Prozent im vorigen Jahr sind auch in anderen Branchen harte Tarifrunden zu erwarten. Das Leben in Deutschland hat sich zuletzt so stark verteuert wie nie seit Gründung der Bundesrepublik, vor allem die Preise für Energie und Lebensmittel schossen nach oben. Das bedeutet für Beschäftigte hohe Reallohnverluste, da es in den vergangenen Jahren meist nur moderate Einkommenserhöhungen gegeben hat.

Die EVG hatte bei der letzten Tarifrunde unter ihrem damaligen kommissarischen Vorsitzenden Klaus-Dieter Hommel auf Initiative des Verkehrsministeriums ein Bündnis mit dem angeschlagenen Bahn-Konzern und einen neuen Tarifvertrag abgeschlossen, der keine Coronaprämien und keine Lohnerhöhungen für 2021 vorsah, dafür aber die Arbeitsplätze im Staatskonzern trotz der Milliardenverluste sichern sollte. Auch für 2022 wurden nur moderate Zuschläge vereinbart, die dann die späteren Preissteigerungen nicht ansatzweise ausglichen.

Das entfachte auch unter Mitgliedern einige Unruhe. Zumal die konkurrierende Lokführergewerkschaft GDL ein solches Bündnis ablehnte und anschließend mit mehreren Bahnstreiks zwei Coronaprämien und 3,3 Prozent mehr Lohn bei der Bahn durchsetzte. Nach dem Tarifabschluss von GDL und Bahn im September 2021 erklärte wiederum die EVG das Bündnis mit dem Bund für gescheitert und kündigte an, nachträglich auch noch bessere Konditionen für ihre Mitglieder durchsetzen zu wollen.

Der Tarifvertrag der Bahn mit der GDL läuft im kommenden Herbst aus, danach endet die Friedenspflicht. GDL-Chef Claus Weselsky hat bereits angedeutet, dass ein vollständiger Inflationsausgleich das Minimalziel sein soll.