Kunst schmückt Kongresshalle: Plastik vor der Filharmonie in Filderstadt. Foto: Leif Piechowski

Die Region Stuttgart verfügt über hochmoderne Tagungs- und Kongresszentren. In der Regel sind sie auch gut ausgelastet. Dennoch führt die Region bundesweit als Kongressstandort noch ein Schattendasein. Das wollen die Betreiber der Hallen ändern, indem sie jetzt gemeinsam für sich werben.

Die Region Stuttgart verfügt über hochmoderne Tagungs- und Kongresszentren. In der Regel sind sie auch gut ausgelastet. Dennoch führt die Region bundesweit als Kongressstandort noch ein Schattendasein. Das wollen die Betreiber der Hallen ändern, indem sie jetzt gemeinsam für sich werben.

Stuttgart - Als Messestandort hat Stuttgart bundesweit einen Namen – die Messe am Flughafen landet in Rankings unter den ersten zehn, nach Hallenkapazität ebenso wie nach Publikumsgunst. Doch als Kongressregion hat sich Stuttgart bisher nicht hervorgetan. „Eigentlich seltsam“, sagt Jens Mohrmann, Direktor und Geschäftsführer der Schwabenlandhalle Fellbach. „Es finden internationale Tagungen bei uns statt, wir haben viele Mittelständler, Unis, eine bedeutende Forschung – und wir haben gute Kongresszentren.“ Warum hat es die Region dann noch nicht unter die ersten zehn Tagungszentren geschafft?

Allianz der führenden Hallen

Die führenden Häuser in und um Stuttgart wollen den Schalter nun umlegen und investieren in das Stuttgart Convention Bureau (SCB), eine Abteilung der Stuttgart-Marketing/Regio Stuttgart. Die beiden wichtigsten Häuser – die Liederhalle und das ICS (Internationales Congresszentrum Stuttgart) in der Messe – verstehen sich als Partner des Convention Bureau. Elf weitere Häuser in den Nachbarkreisen, die in der obersten Liga spielen, haben sich zur Regio-Kongress-Allianz zusammengeschlossen. Das sind aus der Region das Congress-Center Böblingen/Sindelfingen, das Neckar-Forum Esslingen, die Filharmonie Filderstadt, das Forum am Schlosspark Ludwigsburg, das K3N in Nürtingen, die Filderhalle Leinfelden-Echterdingen, die Schwabenlandhalle Fellbach, die Stadthalle Leonberg und das Bürgerzentrum Waiblingen, zudem außerhalb der Region das CCS Schwäbisch Gmünd und die Stadthalle Reutlingen.

Aufgabe des Convention Bureau ist, Interessenten die am besten passende Tagungsstätte zu vermitteln und Alternativen zu bieten, wenn ein Haus zum Wunschtermin ausgebucht ist. Inzwischen kooperieren die Häuser auch untereinander.. Thomas Löffler, Geschäftsführer der Filharmonie in Filderstadt, etwa erzählt, er habe selbst der Liederhalle, quasi dem Leuchtturm unter den Hallen, schon einen namhaften Kongress vermitteln können.

Standortvorteil Filder

Die Filharmonie gehört zu den gut gebuchten Kongresszentren der Region. Die Filder, so Löffler, hätten einen hohen Standortvorteil. Die Stadt Filderstadt hat jetzt rund 600.000 Euro investiert, um die Filharmonie um den Regenbogensaal zu erweitern. „Vorher mussten wir Interessenten dramatisch absagen, das war kontraproduktiv“, sagt Löffler. Er habe nun das Angebotsspektrum erweitern können. „Früher hat ein Saal gereicht und fertig.“ Dann sei nebst dem Saal noch Fläche für eine begleitende Ausstellung gefragt worden. Inzwischen benötigen die meisten Kunden weitere Räume für Arbeitsgruppen und Workshops. „Mit dem Regenbogensaal haben wir unsere Flexibilität zurück“, sagt Löffler. Schon sein erster Vertragspartner habe den Saal nächstes Jahr schon 80-mal gebucht.

Erweiterung zwingend

In der Nachbarstadt Leinfelden-Echterdingen wird ebenfalls kräftig draufgesattelt. Derzeit läuft der Architektenwettbewerb für einen multifunktionalen Anbau mit 750 Quadratmetern. 2016 soll er in Betrieb gehen und noch mehr Buchungen möglich machen. „Wir haben eine sehr große Nachfrage, die wir nur nicht immer bedienen können“, sagt Geschäftsführer Nils Jacoby. Wenn die kleineren Seminarräume schon vergeben sind, reicht die übrige Fläche anderen Interessenten nicht mehr aus.

Kongresse brauchen Hotels

Auch auf den Fildern herrscht Übereinstimmung, dass der Kongressstandort Stuttgart bundesweit noch zu wenig Beachtung findet. Thomas Löffler: „Wir kommen nur knapp an die ersten zehn. Dabei haben wir viele Premiumhallen in guter Lage.“ Enorm wichtig für gute Buchungszahlen seien genügend Hotelkapazitäten. Die gebe es auf den Fildern. Doch die Tagungshäuser sehen die großen Hotels mit gemischten Gefühlen: Einige, wie das NH-Hotel in Filderstadt oder das Parkhotel in Echterdingen, hätten eigene Tagungskapazitäten – „mehr als viele Hallen“, sagt Löffler.

Claudia Döttinger, Marketing-Manager beim ICS, hält es für überfällig, dass die Region Stuttgart auch als touristische Destination bekannt wird. „Unser Image ist geprägt vom Industriestandort und der Automobilbranche, wir dürfen aber die touristische Komponente nicht vernachlässigen“, ist sie überzeugt. Welche Stadt habe schon Weinreben bis in die Innenstadt zu bieten? Oper und Ballett seien Pfunde, mit denen man wuchern könne: Dann könnte die Region bundesweit leicht unter die ersten fünf oder sechs Kongressstandorte vorpreschen.

Top-Technik ist Pflicht

Was die neue Allianz der Häuser angeht, sieht Thomas Löffler die Mitglieder „alle auf demselben Niveau“. Man stimme sich ab über den gemeinsamen Auftritt, tausche Gerätschaften wie Beamer aus und leite Kunden weiter. „Natürlich muss man auch laufend investieren.“ So seien jetzt alle Beamer gegen HD-Beamer ausgetauscht worden, Flip-Charts und Overhead-Projektoren wurden an Schulen verschenkt. Zu den Standards gehöre auch, „dass 400 Leute gleichzeitig ins Internet können, auch mit ihren Smartphones.“

Wettbewerb bleibt bestehen

Jens Mohrmann aus Fellbach sieht das SCB als geeignetes Instrument, „den Kongressstandort national zu positionieren“. Die Schwabenlandhalle wurde 2006 um einen Neubau mit einem multifunktionalen Raum erweitert. Mohrmann wertet die Nähe zu Stuttgart und den Stadtbahn-Halt vor der Tür als Vorteil für sein Haus. „Jede Halle hat ihre Besonderheiten, es ist ein Miteinander, aber wir bleiben im Wettbewerb“, so Mohrmann.

Kundenbindung ist das Ziel

Norbert Hartmann, Leiter des Kultur- und Kongresszentrums Liederhalle, sieht die Region mit der Kongress-Allianz sehr gut aufgestellt. „Trotz des ICS haben wir mehr Geschäft denn je.“ Auch die Qualität der Häuser sei gut. „Unsere wirtschaftlich sehr starke Region ist noch nicht so bekannt, wie sie sein sollte.“ Hartmann setzt deshalb auch auf „Kundenbindung und Zufriedenheit“. Er verweist Interessenten deshalb auch an kleinere Häuser wie den Kursaal Bad Cannstatt oder das Haus der Wirtschaft – wenn es passt. Die Frage, ob die Region noch Bedarf an neuen Tagungsstätten hat, will Hartmann nicht mit Ja oder Nein beantworten. „Der Bedarf ist ein Spiegel der Wirtschaft.“ Im Krisenjahr 2009 seien selbst im Oktober und November, zur besten Zeit, noch Säle frei gewesen. Jetzt liegt die Auslastung in den Spitzenzeiten bei bis zu 100 Prozent. und wer zu den Spitzenzeiten – Mitte Januar bis Mitte Mai und September bis Weihnachten – einen Saal will, muss bei Hartmann zwei bis drei Jahre warten, bis wieder etwas frei ist.

Fünf Kriterien für Bewertung

Für die Bewertung einer Halle gibt es fünf objektive Kriterien: die Lage, die Infrastruktur, den Service (der Kümmerer), das Catering und die technische Ausstattung. Uneinheitlich ist dagegen nach wie vor der Maßstab für die Auslastung. Einige Häuser, so Monika Riexinger, Geschäftsführerin von Esslingen live mit dem Neckar-Forum, legten 365 Tage zugrunde. Andere setzten dagegen willkürlich eine bestimmte Zahl belegbarer Tage fest und kämen dadurch auf einen ganz anderen Prozentsatz.

Bessere Vergleichbarkeit

Riexinger ist Vorstandsmitglied des Europäischen Verbands der Veranstaltungs-Centren (EVVC). „Der Verband will nun Grundlagen für Kennzahlen schaffen“. Man brauche ein einheitliches Berechnungsmuster. Bisher komme jemand, der beispielsweise 120 Tage gebucht ist, auf tolle 80 Prozent Auslastung, wenn er 140 Belegungstage zugrunde lege. Wenn er dagegen 365 Tage als Basis nehme, liege die Auslastung nur bei 33 Prozent.