Klein, oft erst auf den zweiten Blick zu sehen: Einer der QR-Codes, über den man sich der Geschichte des Engstlatter Rieds nähern kann, ist an der Hütte am Feldweg befestigt. Mehrere Hörstationen sind dort nun angelegt worden. Foto: Maier

Man muss schon ganz genau hinschauen, die Dinger sind klein, unscheinbar und mitunter fast schon versteckt. An der Bahnbrücke, an einer Scheune, an einer Sitzbank und an weiteren Stellen im Engstlatter Ried sind QR-Codes angebracht, die das Gelände und dessen grausige Geschichte buchstäblich zum Sprechen bringen. 

Balingen-Engstlatt - Sommer 1944: Die Nazis beginnen im Ried mit dem Bau des sogenannten "Wüste"-Werks 3. Es war Teil des Unternehmens, mit dem die Nationalsozialisten in der Endphase des Zweiten Weltkriegs an mehreren Standorten im Zollernalbkreis fast schon verzweifelt versuchten, aus dem hiesigen Schiefergestein Öl zu gewinnen. Tausende KZ-Häftlinge, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene mussten diese Sklavenarbeit verrichten, viele von ihnen kamen dadurch zu Tode.

Gräuel verblassen

Wo in Engstlatt heute saftige Wiesen liegen, Bäume und Felder blühen, befand sich vor 75 Jahren eine rund 20 Hektar große Anlage zur Gewinnung und Aufbereitung des Schieferöls, samt Schieferbruch und Meilerfeld. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Gelände rekultiviert, die Erinnerung an die Gräuel verblasste, viele wollten sich auch nicht daran erinnern. Das änderte sich erst durch das Engagement des Arbeitskreises Wüste, der das gleichnamige Unternehmen sowie die Zeit des Nationalsozialismus in der Region zurück ins Bewusstsein holte.

Unter der Federführung von Karl Kleinbach, der unweit des Rieds wohnt, haben der AK Wüste und der Verein Gedenkstätten KZ Bisingen für das Ried eine neue Form, einen neuen Zugang zur lokalen Erinnerung erarbeitet. An den Hörstationen erzählt das Ried, erzählen die Zwangsarbeiter, erzählen die Engstlatter von der Geschichte und den Geschichten, die sich dort abgespielt haben. Pünktlich zum Tag des Denkmals an diesem Sonntag, 12. September, sind die Hörstationen fertig geworden.

Impulse zum Nachdenken

Gewonnen haben die Verantwortlichen für dieses Projekt, das Kleinbach, Ines Mayer (Bisingen) und Michael Walther (AK Wüste) als Experiment bezeichnen, die Unterstützung bekannter Persönlichkeiten. Quasi die Einführung ins Gelände spricht an der Bahnbrücke Bernhard Hurm, Schauspieler am Theaters Lindenhof. Oben auf der Dehnhalde ist die Stimme Anne Herrbergs zu hören, Auslandskorrespondentin des Deutschlandradios, deren Mutter früher als Lehrerin in Engstlatt tätig war. Die Autorin Esther Kinsky wiederum an der Hütte am Feldweg. Und der aus Engstlatt stammende Schauspieler Sascha Geršak trägt an mehreren Stellen im Ried Ausschnitte aus Interviews vor, die ehemalige Häftlinge, aber auch ein früherer Wachmann gegeben haben und die im KZ-Museum hinterlegt sind.

Wie haben die Täter und die Häftlinge, die Engstlatter Frauen und Kinder bei der Feldarbeit oben am Hang auf das Gelände geblickt? Die Hörstationen sollen, betonen Karl Kleinbach, Mayer und Walther, nicht das Grauen inszenieren, sondern Impulse zum Nachdenken geben. Wie blickt man in das Gelände mit den Stimmen der Abwesenden im Ohr? Was kommt einem dabei in den Sinn?

Das Projekt will dazu anregen, das Ried zu erkunden, sich mit dessen Geschichte auseinanderzusetzen, mit einem neuen Zugang. Nicht dass man sich erinnert, sei dabei die Frage – sondern wie man dies tue. Dabei wird immer deutlicher, dass gegenwärtigen Formen des Gedenkens für ein vertieftes Geschichtsbewusstsein erweitert werden müssen: nachdenken, weiterdenken gewissermaßen im Vorübergehen.

Und einen Anstoß geben, über die grausige Geschichte zu sprechen. Viele Engstlatter hätten das zeitlich sehr begrenzte Geschehen im Ried lange Zeit verdrängt, sagt Kleinbach. Das gelte heute seiner Wahrnehmung nach nicht mehr – viele Menschen seien heute dazu bereit, das Ried-Grauen zu thematisieren. Und ihre eigenen Erinnerungen daran hervorzuholen.

Smartphone – und los

Unterstützt werden die Hörstationen durch die Förderstiftung Archäologie Baden-Württemberg und den Zollernalbkreis. Und in Engstlatt durch den Ortschaftsrat. Ortsvorsteher Klaus Jetter sagt, es sei wichtig, an die Geschehnisse im Ried zu erinnern, dort, wo die Geschichte stattgefunden habe.

Was man dafür braucht? Nicht viel: ein wenig Freizeit, Lust auf einen Spaziergang oder eine Radtour. Und ein Smartphone. Dann kann die Erinnerung beginnen.

Weitere Informationen:

Der Arbeitskreis Wüste und der Verein Gedenkstätten Bisingen freuen sich über Rückmeldungen zum Hörstationenweg – am besten per E-Mail an info@akwueste.de und museum@bisingen.de.