Tadej Pogacar stürmt bei den Bergetappen der Tour de France im Gelben Trikot gnadenlos vorneweg, da kann nur noch Jonas Vingegaard im Bergtrikot mithalten. Foto: AFP/Marco Bertorello

Die Rekordfahrten von Tadej Pogacar und Jonas Vingegaard bei den Bergetappen der Tour erschrecken die Anti-Doping-Aktivisten und erinnern sie an schlimme Zeiten. Laut Mario Thevis, Direktor des Kölner Dopingkontrolllabors, gibt es mehr Mittel auf dem Dopingmarkt denn je.

Die Bergrekorde purzeln nur so bei dieser Tour de France. An drei großen Anstiegen pulverisierte der Radsport-Superstar Tadej Pogacar bei der Frankreich-Rundfahrt die Bestmarken der Vorgängergenerationen. Am Galibier war er schneller als Nairo Quintana 2019, am Pla d’Adet übertraf er den seit 1993 bestehenden Rekord des Polen Zenon Jaskula. Und am Sonntag war er auf dem Plateau de Beille ganze drei Minuten und 44 Sekunden schneller als Marco Pantani bei seinem Double aus Siegen bei dem Giro d’Italia und der Tour 1998. Zudem stellte der Slowene mit seinem Rivalen Jonas Vingegaard einen Rekord auf der steilen Rampe von San Luca auf. Und Vingegaard lieferte im Zentralmassiv am Col de Pertus einen eigenen Rekord, bei seiner furiosen Aufholjagd auf Pogacar.

 

Die Rekordflut, die auf den Bergetappen der nächsten Tage ihre Fortsetzung finden könnte, erschreckt die Kritiker. Der französische Anti-Doping-Aktivist Antoine Vayer, der als Trainer des bei der Tour 1998 im Doping versunkenen Teams Festina eine eigene Vergangenheit im System hat und schon die Generation um Lance Armstrong unter Mutantenverdacht stellte, sieht auch die Leistungen der aktuellen Elite als „monströs“ an. „Unglaublich! Pantanis Mutantenrekord um 3 Minuten und 44 Sekunden übertroffen!“, schrieb er auf X nach Pogacars Parforceritt auf das Plateau de Beille. Die 16 Kilometer mit durchschnittlich acht Prozent Steigung schaffte der Slowene in nur 39:46 Minuten – dank durchschnittlich 24 km/h, nach fünf Stunden im Sattel.

Mit Sorgen betrachten auch die professionellen Anti-Doping-Jäger diese Entwicklung. Mario Thevis, Direktor des Kölner Dopingkontrolllabors, will nicht gleich Doping zur alleinigen Ursache erklären. Er mahnt zur Vorsicht: „Man muss natürlich andere Faktoren für die besseren Leistungen in Betracht ziehen“, sagt er gegenüber dieser Redaktion und weist dabei auf die Entwicklung des Materials, Fortschritte in der Trainingsmethodik und in der Ernährung hin. Diese führt auch Pogacar dieser Tage zur Erklärung seiner Rekorde an und weist den Dopingverdacht genauso von sich wie Vingegaard. Thevis gibt jedoch gleichzeitig zu bedenken: „Klammert man diese Faktoren aus, dann muss man auch feststellen, dass die Möglichkeiten der Leistungsbeeinflussung durch nicht erlaubte Mittel und Methoden umfangreicher geworden sind.“

Laut Thevis gibt es mehr Mittel auf dem Dopingmarkt denn je. Sie sind auch nicht immer ganz leicht nachzuweisen. Ein Beispiel dafür ist AICAR. Das ist eine körpereigene Substanz, die für eine höhere Energiebereitstellung im Körper sorgt. Damit steigt die Ausdauerleistung. Im klinischen Alltag wird sie unter anderem bei bestimmten Formen von Leukämie und Diabetes eingesetzt.

„Die Herausforderung ist, dass AICAR als körpereigene Substanz vorkommt. Eine Unterscheidung zwischen diesem natürlich produzierten AICAR und dem synthetisch hergestellten und verabreichten AICAR in Dopingkontrollproben ist anspruchsvoll. Es bedarf eines Hinweises, wie beispielsweise erhöhte AICAR-Konzentration im Urin oder auffällige Markerwerte, um mit einer Isotopenverhältnis-Massenspektrometrie-Analyse die tatsächliche Herkunft des vorliegenden AICARs zu bestimmen“, erklärt Thevis.

Im Radsport tauchte AICAR erstmals 2009 auf

Das heißt: Damit ein positiver Test glückt, müssen gleich zwei Verfahren angewendet werden. Erst wird die Konzentration von AICAR überhaupt gemessen. Und nur wenn diese einen bestimmten Wert übersteigt, wird das zweite, aufwendigere Testverfahren in Auftrag gegeben. Den Auftrag erteilen dann Sportverbände und Anti-Doping-Agenturen. Laut Thevis wurde das bisher nur etwa zehnmal durchgeführt.

Im Radsport tauchte AICAR erstmals 2009 auf. Damals wurden leere AICAR-Verpackungen im Tour-de-France-Teamhotel von Astana gefunden. Der kasachische Rennstall gewann mit Alberto Contador in jenem Jahr die Frankreich-Rundfahrt.

Neues Mittel ohne Rezept im Internet erhältlich

Ein weiteres Mittel, das Ausdauerleistungen steigert, ist erst seit kürzerer Zeit auf dem Markt. Offiziell wird es vor allem in der Anti-Aging-Industrie sowie zum Abbau von Fettleibigkeit genutzt. Man kann es mittlerweile aber ganz ohne Rezept in Internetshops in Dosierungen zwischen 10 und 40 Milligramm erwerben. Thevis und seine Kollegen haben auch einen Nachweistest dafür entwickelt, im Einsatz war der Test laut Thevis bisher aber nicht. Den Namen des Präparats möchte er zur Verhinderung von Missbrauch auch nicht veröffentlicht sehen.

Es ist jedoch davon auszugehen, dass Sportmedizinern, die im Graubereich der Leistungssteigerung arbeiten, das Mittel bekannt ist. Für die Glaubwürdigkeit der unglaublichen Leistungen von Pogacar und Vingegaard wäre auch ein Einsatz dieses Tests notwendig.