Unter Yuval Weinbergs Leitung hat das SWR-Vokalensemble die Garage 229 im Stuttgarter Osten als neuen Konzertort ausprobiert. Die Programmfolge bestimmten das Publikum und der Zufall.
Ein Konzert? Im Innenhof der Haußmannstraße 229 tief im Stuttgarter Osten blinken Schriftzüge von Esso und Mobil, hier steht ein glanzpolierter Sportwagen, dort eine Vespa. Fehlen nur eine Hebebühne, Werkzeuge und ein bisschen Schmuddel – fertig wäre eine Autowerkstatt. Die war hier tatsächlich mal. Jetzt aber gibt’s Events. Ausstellungen. Und warum nicht auch mal ein Konzert?
Neben den Stuhlreihen ist ein Bartresen mit der Aufschrift „Garage“, das Publikum bedient sich, man staunt, man redet. Plötzlich eilt ein schwarz gekleideter junger Mann nach vorne, hebt den Arm – und „Willkommen!“ tönt es aus knapp 30 Kehlen rund um die Zuschauerinnen und Zuschauer.
Das Publikum ist sofort dabei, und das muss es auch sein, denn am Freitagabend ist es Teil der Veranstaltung. Beim neuen Konzertformat „Ein Spiel“ des SWR-Vokalensembles bestimmen Besucherinnen und Besucher durch das Drehen an einem Glücksrad die Reihenfolge der Stücke. Die Symbole darauf findet man auch auf sprechend illustrierten Spielkarten, die unter den Stühlen liegen. Eine Wolke auf dem Glücksrad: Das Programm, sagt die entsprechende Karte, soll mit Edvard Griegs „I himmelen“ beginnen – hochemotional gesungen, jede Strophe mit anderer Klanglichkeit und Dynamik.
Die Reihenfolge der Stücke bestimmt ein Glücksrad
Die Akustik ist so gut, dass man sich fragt, ob die Werkstatt in der 1930er Jahren womöglich für singende Monteure konzipiert wurde. Auch Zeitgenössisches funktioniert – das Publikum „erdreht“ sich sogar zwei Uraufführungen. Fredrik Zellers „Aussicht für alle“ bringt auf hintersinnig-witzige Weise „Alle meine Entchen“ mit späten Versen Hölderlins zusammen, und „On the Ning Nang Nong“ von Claudia Jane Scroccaro blickt augenzwinkernd hinter die Fassade eines lustigen Abzählreims.
Volksmusik-Nahes von Ligeti ist zu hören, außerdem Josef Rheinbergers „Abendlied“, vierstimmige Gesänge von Haydn und Mendelssohns lustige „Musikantenprügelei“ für Männerchor – hier zu erleben als sehr direkte Pöbelei zwischen Tenören und Bässen. Yuval Weinberg führt seinen Chor zu sauberer Intonation, viel Ausdruck und zu präzisem rhythmischem Gegeneinander beim vertrackten zwölfstimmigen Vogelgezwitscher („In the Woods“) des Norwegers Pelle Gudmundsen-Holmgren, das an Janequins Renaissance-Chanson „Le chant des oiseaux“ erinnert. Am Ende will keiner nach Hause gehen. Lieber noch ein bisschen Kraftstoff nachfüllen. Die Bar ist geöffnet.