Ulrich Tukur als Erwin Rommel: Offenbar herrscht... Foto: dapd

Ein Fernsehfilm des SWR mit Ulrich Tukur kratzt am Mythos vom "Wüstenfuchs" Erwin Rommel.

Stuttgart - Welche Rolle hat Generalfeldmarschall Erwin Rommel in der Endphase Hitler-Deutschlands gespielt? Diese Frage, die am Mythos vom "Wüstenfuchs" kratzt, möchte ein Fernsehfilm mit Ulrich Tukur beantworten. Ein Besuch am Drehort auf der Schwäbischen Alb.

Die Nazi-Garderobe wirkt: Uniformierte mit kniehohen Stiefeln, Ledermänteln, Hakenkreuzen, Seitenscheiteln und ausrasierten Nacken erzeugen unweigerlich ein mulmiges Gefühl. Bis einer ein Smartphone herauszieht - willkommen zurück in der Gegenwart. Es ist Drehpause am Set von "Rommel", einem großen Fernsehfilm über den mythisch verehrten General. Weltkrieger stehen auf einer Wiese nahe Römerstein auf der Schwäbischen Alb, nicht weit von Herrlingen, dem letzten Wohnort des gebürtigen Heidenheimers Rommel.

Einer ragt heraus, nicht durch Körpergröße, sondern durch bloße Präsenz: Ulrich Tukur. Er ist schon oft in diese Zeit zurückgereist. Den Theologen und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer, den die Nazis noch 1945 ermordeten, hat Tukur 2000 gespielt; 2002 in "Der Stellvertreter" einen SS-Mann, der in tiefe Zweifel stürzt, als er Zeuge einer Vergasung wird. Sein Filmdebüt gab Tukur als Willi Graf, ein sich gegen das Regime auflehnender Student in Michael Verhovens "Die weiße Rose" (1983).

In Paris im Koma

Bald sind die Militärs am Set wieder im Einsatz, fahren als kleiner Konvoi im Frühjahr 1944 Richtung Atlantikwall. Rommel alias Tukur auf dem Beifahrersitz einer Horch-Limousine. Britische Jagdflieger erspähen die Kolonne und eröffnen das Feuer, ein Panzerwagen gerät in Brand. Der nahe Wald rettet die Deutschen - diesmal.

Die Fahrzeuge sind echt, die Explosionen links und rechts des Weges auch, die Flugzeuge werden später digital einmontiert. Den Blickwinkel der Piloten stellt eine Helicam her, ein ferngesteuerter Modellhubschrauber, der eine Kamera trägt. Die Illusion funktioniert, wie die Bilder zeigen: Rasant nähert sich das Flugobjekt dem Konvoi, der Pyrotechniker zündet die in Reihe geschalteten Brandsätze, die Fahrzeuge werden in dichten Rauch gehüllt. Das Timing muss exakt stimmen bei so einer Einstellung von weniger als einer Minute, die Vorbereitung kann Stunden dauern.

Bereits im Kasten ist die Szene, in der ein neuerlicher Fliegerbeschuss am 17. Juli 1944 Rommel schwer verwundet. Er liegt noch in Paris im Koma, als hochrangige Offizierskollegen am 20. Juli ihr Attentat auf Hitler verüben, scheitern und im Berliner Bendlerblock hingerichtet werden. Wo Rommel gestanden hätte, wie sein Verhältnis zum Widerstand war, ist zumindest ungewiss - und das zentrale Thema des Films über die letzten sieben Monate im Leben des Offiziers bis zum erzwungenen Suizid am 14. Oktober 1944. Panzerschlachten in der nordafrikanischen Wüste wird es also nicht geben.

"Ich möchte das Verhalten von Menschen nachvollziehbar machen, deswegen interessieren mich Rommels letzte Monate, in denen er sich entscheiden muss", sagt Drehbuchautor und Regisseur Niki Stein, der unter anderem das Scientology-Drama "Bis nichts mehr bleibt" gedreht hat. "Rommel ist gerade wegen seiner Zerrissenheit und Widersprüchlichkeit historisch so interessant." Dem Drehbuch vorangestellt ist der Gedanke der Philosophin Hannah Arendt, der Mensch sei auch für seinen Gehorsam verantwortlich. "Das hat sie im Zusammenhang mit dem Eichmann-Prozess formuliert", sagt Stein. "Mein Vater war sechs Jahre Soldat, und natürlich haben wir ihn gefragt: Wie konntet ihr das machen? Nun fragen wir Rommel: Warum hast du so spät begriffen, dass du dem Teufel dienst?"

Tukur findet speziellen Zugang

Um soldatische Moral geht es also, und verbürgt ist immerhin dies: Rommel widersetzte sich Hitlers Haltebefehl und brach den Afrika-Feldzug ab, um seine Männer zu schonen. Später sah er den Zusammenbruch kommen und hatte als Einziger im Generalstab den Mut, Hitler darauf anzusprechen. "Rommel hätte das Zeug dazu gehabt, einen Unterschied zu machen, doch er war zu zögerlich", sagt Ulrich Tukur. "Er hatte diesen Hamlet'schen Grundgestus, das macht ihn zur anrührenden, traurigen, tragischen Figur wie aus einem Shakespeare-Drama."

Tukur hat einen sehr speziellen Zugang gefunden: "Die Figur hat sich mir über die besondere Musikalität des Dialekts erschlossen", sagt er. "Ich stamme aus schwäbischem Elternhaus, in meiner Familie gab es Militärs, die Schwäbisch sprachen. Schon als Zehnjähriger habe ich Militärromane gelesen und das Ideal vom noblen Soldaten kennengelernt. Das lässt sich natürlich nicht einlösen in einem Krieg, der Millionen Menschenleben kostet, Rommel ist in dieser Hinsicht an der Wirklichkeit gescheitert. Ich verstehe aber die Sehnsucht."

Neun Tage, etwa ein Drittel des Drehs, verbringt die Crew in Baden-Württemberg, der SWR ist Koproduzent, und die hiesige MFG-Filmförderung hat 400.000 Euro zum Budget von sechs Millionen Euro beigesteuert. Vorher wurde bereits im französischen La Roche-Guyon nahe Paris gedreht, damals tatsächlich Rommels Hauptsitz, sowie in Calais. Später geht es nach Bayern zu Hitlers Domizil am Obersalzberg. "Wir haben rund 15 Minuten direkte Auseinandersetzung zwischen Rommel und Hitler", sagt Produzent Nico Hofmann von der federführenden Firma Teamworx. "Der Film setzt ein, als die militärischen Fehlschläge heftiger werden und Rommel erkennt, dass es dem Ende zugeht. Rommel bekommt menschenverachtende Befehle, die er in keiner Weise mit seinem Moralbild in Einklang bringen kann, und beginnt die Machenschaften Hitlers zu hinterfragen."

Mythen sind meistens stärker als Filme

Fünf Jahre hat Hofmann mit Stein und Historikern am Stoff gearbeitet. Kritik, etwa seitens der Familie Rommel oder aus dem Stuttgarter Haus der Geschichte, hält er für ungerechtfertigt: "Wir haben alles einfließen lassen, was wir an neuester historischer Erkenntnis haben, unsere Quellen sind alle belegbar. So ein Film muss am Ende vor einer Weltöffentlichkeit bestehen." Was passiert, wenn Zweifel an der historischen Genauigkeit bleiben, haben die heftigen Diskussionen um Oscar Roehlers "Jud Süß" (2010) gezeigt. Befürchtungen der Familie Rommel habe er in einem persönlichen Gespräch ausräumen können, sagt Hofmann; den Historikerstreit lässt er seinen Experten führen, den Mannheimer Professor Peter Steinbach. Eine "Kontroverse der zankenden Zunft" sei das, sagt dieser lächelnd: "Historiker sollten lernen, die Chancen wahrzunehmen, die solche Filme bieten: Danach fängt unsere Arbeit wieder an. Eine fußnotengerechte Verfilmung geht nicht, ein Drehbuchautor muss verdichten. Der Film versucht, die Entscheidungssituation des oszillierenden Rommel sichtbar zu machen. Das ist historisch akzeptabel, dafür stehe ich ein." Zugleich warnt Steinbach vor zweifelhaften Quellen: "Ein großes Problem der Widerstandsgeschichte ist, dass wir es permanent mit bewusst erzeugten Überlieferungen zu tun haben."

Dass so ein Film, der automatisch an die große Leinwand denken lässt, nicht fürs Kino produziert wird, liegt am Geld: "Kino braucht noch mehr große optische Momente. Wir bemühen uns, mit dem jetzt verfügbaren TV-Budget cineastisch umzugehen, weil wir diese Zeit sehr genau abbilden wollen." Dafür, bemerkt Hofmann, refinanzierten sich deutsche Fernsehfilme, speziell solche aus dem Hause Teamworx, mittlerweile gut auf dem Weltmarkt: "Gerade haben wir ,Hindenburg' in über 80 Länder verkauft, auch ,Stauffenberg', ,Dresden' und ,Die Flucht' gingen um die Welt", sagt Hofmann. "Und bei ,Rommel' bin ich ebenfalls zuversichtlich."

Ulrich Tukur nimmt schon jetzt eine positive Erfahrung mit: "Vor 20 Jahren hätten wir das in Frankreich nicht drehen können, heute geht das. Der Schatten des Dritten Reiches hebt sich allmählich, das wirkt befreiend und ermöglicht es uns, Dinge aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten - auch jenseits der politischen Korrektheit."

Wie tief die Person Erwin Rommel wirklich ausgeleuchtet wird, bleibt abzuwarten. Anlass zur Sorge besteht eher nicht: Mythen sind meistens stärker als Filme.