Suzana Lipovac hat vor 30 Jahren mit einem Hilfstransport auf den Balkan begonnen. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Die Kinderberg-Chefin Suzana Lipovac versucht, Frauen in der Ferne vor der männlichen Gewalt zu retten. Mit den Gender-Diskussionen hierzulande kann sie wohl auch deswegen wenig anfangen.

Stuttgart - Schon wieder ein Krieg, schon wieder eine Flüchtlingswelle: „Mir tut es so Leid, dass wir uns um den Frieden und die Freiheit so wenig gekümmert haben“, sagt Suzana Lipovac, die Gründerin der Stuttgarter Hilfsorganisation Kinderberg International. 1992 hat sie ihren ersten Hilfsgütertransport, damals ins bosnische Kriegsgebiet, organisiert – so wie heute andere Stuttgarter die Ukrainer in ihrem Elend unterstützen wollen. „Da sehen wir mal, wie wenig wir in den 30 Jahren gelernt haben.“ All die Krisen hätten sich noch verstärkt. Doch gebe noch immer kein Frühwarnsystem, was zu tun ist, wenn so etwas eintritt – „nur die Spontan-Aktionen“.

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Es ist eine bittere Bilanz, obwohl die in Stuttgart geborene Tochter bosnischer Kroaten selbst schon so oft helfen konnte: Frauen und Kindern vom Balkan und aus Afghanistan vor allem.

„Für mich ist alles in Ordnung in Deutschland“

Gerade weil sie schon so viel Unterdrückung von Frauen erlebt hat, sieht Suzana Lipovac den Internationalen Frauentag aus einen ganz speziellen Blickwinkel: „Aufgrund dessen, wie ich seit 30 Jahren arbeite, bin ich jeden Tag froh, eine Frau in Deutschland zu sein – dankbar, dass ich hier in Frieden und Freiheit lebe“, sagt sie. „Ich beklage mich über gar nichts – für mich ist alles in Ordnung in Deutschland.“

Angesichts des Leids von Afghaninnen empfinde sie Kritik an den Ungerechtigkeiten hierzulande als „zu kleinteilig“. Man möge sie konservativ schimpfen, aber das Gendern nerve sie sogar – „ich brauche es nicht“. Besser gehe es ihr nur, wenn sie Frauen helfen kann, denen aufgrund ihres Geschlechts Gewalt angetan wurde. Die 54-Jährige schildert ein Begebenheit aus dem nordöstlichen Feisabad, wo ein Richter eine Frau zu 100 Stockschlägen verurteilt hatte, weil sie unverheiratet schwanger geworden war und ihr Kind abgeben wollte, weil sie es nicht ernähren konnte.

„Nach dem 39. Schlag hat er aufgehört – vermutlich aus Angst, die Frau totzuschlagen.“ Das Kinderberg-Team sei vom Gericht gerufen worden, um die Wunden zu verbinden. „Wenn diese Frau aus dem Gefängnis herauskommt und bei uns im Haus landet, dann bin ich froh.“

Überlebensstrategien an die Afghaninnen weitervermittelt

Fraglos ist die Bundesverdienstkreuzträgerin Lipovac für Gleichstellung – schon weil sie sich vor allem in den zwei Jahrzehnten ihrer Afghanistan-Tätigkeit so oft gegen Männer durchsetzen musste. „Als Frau wurde ich von den Taliban nie als Feind betrachtet – und dass ich nicht als das schwächere Geschlecht angesehen werde, dafür habe ich gesorgt“, sagt sie. Die dort angewandte Überlebensstrategien versuche sie heute an die Frauen in Afghanistan weiterzugeben. Je mehr Frauen sie am Hindukusch in Gesundheitsberufen und in der Hilfsgüterverteilung ausbilde, desto stärker werde dies in der Gesellschaft akzeptiert.

Immer wieder war sie dort. Mittlerweile hält sie via Internet Kontakt zu ihren Kräften. Seit 2002 macht sie Basisgesundheitsversorgung am Hindukusch – schwerpunktmäßig im Einsatz gegen die hohe Kindersterblichkeit und die Sterblichkeit von Frauen nach der Entbindung. Selbst Taliban-Kommandeure sind schon in ihre Station gekommen – um schwer kranke Töchter behandeln zu lassen. Ihren furchtsamen Angestellten hat sie da gesagt: „Du brauchst vor keinem Mann Angst zu haben, solange er Hilfe braucht und du sie ihm gibst.“

Blick in die Zukunft nach dem Ukraine-Krieg

Weil in der Ukraine und den Nachbarstaaten schon so viel an humanitärer Hilfe geleistet wird, sieht Lipovac gerade dort für sich kein Betätigungsfeld. Doch die Entwicklungshelferin denkt schon weit voraus – in die Zeit nach dem Krieg. Dann ergeben sich vielleicht Aufgaben in der Integration von Flüchtlingen hierzulande oder bei der Rückkehrhilfe – je nachdem, in welchem Zustand Wladimir Putin die Ukraine hinterlässt. Möglich, dass dann auch mal wieder staatliche Gelder fließen. Momentan kann Kinderberg seine Arbeit nur von privaten Spenden finanzieren – nicht einfach für so eine kleine Organisation. Entwicklungshilfe ist eben immer auch eine Frage der Ressourcen.