Am Ziel: In Santiago bekam Beate Mäusle ihre "Compostela" – die Pilgerurkunde. Foto: Mäusle

In ihrem Buch "Tot sein kann ich morgen noch" erzählt Beate Mäusle aus Sulz am Eck, wie sie nach Brustkrebsdiagnose, Operation und Chemotherapie auf dem portugiesischen Jakobsweg wieder zu sich fand. Das E-Book ist seit Kurzem über die gängigen Plattformen erhältlich.  

Wildberg-Sulz - 80 Tage Urlaub. Das sind 16 Wochen bezahlte Freizeit. Klingt das nicht himmlisch? "Ich hätte gerne darauf verzichtet", sagt Beate Mäusle, denn sie hat einen hohen Preis dafür bezahlt. 2015, die rauschende Party zu ihrem 50. Geburtstag noch in bester Erinnerung, erhält die Sulzerin die niederschmetternde Diagnose: Brustkrebs. Natürlich kein Null-acht-fünfzehn-Feld-Wald-und-Wiesen-Tumor, nein, ein besonders aggressiver Vertreter seiner Zunft hat sich in ihrem Körper eingenistet. Es folgt die Standard-Prozedur: Operation, Chemotherapie – letztere mit all den hässlichen Begleiterscheinungen. Schmerzen, Übelkeit, der Verlust von Haar, Zehennägeln, Geruchs- und Geschmacksinn, Erschöpfung und Hoffnungslosigkeit zermürben sie, bremsen die beruflich so geforderte wie erfolgreiche Ehefrau und Mutter aus, setzen sie 14 Monate lang außer Gefecht. Als sie schließlich an ihren Arbeitsplatz in Stuttgart zurückkehrt, haben sich 80 Urlaubstage angesammelt.

Drei Projekte auf der "Löffelliste"

Beate Mäusle beschließt, etwas daraus zu machen. Sie erstellt eine Bucket-List, benannt nach der amerikanischen Redewendung "to kick the bucket", ein Slang-Ausdruck für "sterben". Und weil man das am besten mit "den Löffel abgeben" ins Deutsche übersetzen kann, nennt sie ihre Aufstellung von Dingen, die sie unbedingt tun möchte, ihre "Löffelliste". Schließlich kristallisieren sich drei Projekte heraus: ein Italienischkurs in Venedig, eine Ayurveda-Kur in Indien und eine 280-Kilometer-Wanderung auf dem portugiesischen Jakobsweg, dem Camino Portuges, von Porto nach Santiago de Compostela.

"Zur rechten Zeit"

"Jede dieser Reisen kam genau zur rechten Zeit", sagt Beate Mäusle im Rückblick. Jede habe auf ihre Art zu ihrer Gesundung beigetragen. Der Sprachkurs förderte ihre kognitiven Fähigkeiten, die die Chemotherapie fast ausgelöscht hatte, wieder zu Tage, und wo könnte man das Wiedererwachen von Geschmacks- und Geruchssinn besser feiern als in Italien mit all seinen Genüssen? Mit Pasta, Risotto, Sugo, Gelato und Dolci?

Ebenso die Ayurveda-Kur im südindischen Kerala, mit einem sehr beeindruckenden Arzt und fürsorglichem Pflegepersonal, mit Yoga und Meditation, individueller Diät, Ölgüssen, Kräuterstempel- und Fußmassagen (letztere heißen nicht so, weil die Füße massiert werden, sondern weil die Masseurinnen die Prozedur mit ihren Füßen ausführen) sowie – als einzigem Wermutstropfen – der täglichen Einnahme einer nicht unbeträchtlichen Menge von Ghee, indischem Butterschmalz. Nach diesen zwei Wochen habe sie sich endlich wirklich entgiftet gefühlt, ihr Fatigue-Syndrom, Müdigkeit in Folge der Chemotherapie, sei verschwunden, erzählt Beate Mäusle.

Allein auf dem Camino Portuges

Am eindrücklichsten aber gerät ihre zweiwöchige Wanderung auf dem Camino Portuges im Herbst 2019. Den Sprachkurs hat sie mit einer Freundin absolviert, nach Indien ist sie mit ihrem Mann gereist, ihre Pilgerreise tritt die Rekonvaleszentin indes ganz alleine an. Dass unmittelbar vor ihrer Abreise ihr Vater stirbt, verleiht dem Unterfangen noch eine zusätzliche Dimension.

Wenn man jeden Tag rund 20 Kilometer zu Fuß geht, hat man viel Zeit zum Nachdenken. "Als ich krank zu Hause war, habe ich angefangen auszumisten", erklärt Beate Mäusle, "mal nur eine Schublade, mal einen Schrank, mal ein Zimmer." Auf dem Camino geht das Entrümpeln weiter – diesmal allerdings auf geistig-emotionaler Ebene: "Ich habe gelernt loszulassen." Sie befreit sich auf dem Weg von Porto nach Santiago de Compostela von weit zurückliegenden Kränkungen und überholten Glaubenssätzen, von Erwartungen – manch eigenen und solchen, die andere an sie stellen – und ungesunden Bekanntschaften. Sie lässt all den seelischen Ballast am Wegesrand zurück.

Die spirituelle Komponente ist wichtig

Und sie kann ganz anders um ihren Vater trauern, als es zu Hause im Alltag möglich gewesen wäre. Die spirituelle Komponente ihrer Wanderung ist ihr wichtig. "Es musste schon ein Pilgerweg sein, ein beliebiger Fernwanderweg hätte wohl nicht den gleichen Effekt gehabt", sagt Beate Mäusle mit Überzeugung.

Damit Freunde und Familie stets über den Fortschritt ihrer "Wallfahrt" informiert sind und sich vor allem keine Sorgen um ihr Wohlergehen machen, schreibt Beate Mäusle unterwegs einen Blog, lädt Fotos ins Internet, schildert ihre Begegnungen mit besserwisserischen Landsleuten und angriffslustigen Straßenkötern, mit inspirierenden Ex-Priestern, australischen Senioren und all denen, die man auf dem portugiesischen Jakobsweg halt so trifft. Sie schreibt über kleine, beflügelnde Aufmerksamkeiten, bescheidene Freuden, kurzzeitige Enttäuschungen. Übernachtungen in Nobelherbergen und Absteigen. Wie es ist, alles was man braucht in einem acht Kilogramm schweren Rucksack auf dem Rücken zu tragen. Wie wenig man eigentlich braucht. Warum der Camino nicht will, dass man ein Taxi nimmt und wie er sich rächt, wenn man es doch tut.

Aus dem Blog wird ein Buch

Viele, die ihren Blog lesen, empfehlen ihr, ein Buch daraus zu machen. Beate Mäusle hat schon immer gern geschrieben, und so macht sie sich zu Hause in Sulz am Eck an die Arbeit. Überarbeitet und ergänzt ihre Aufzeichnungen, bewertet Erfahrungen, formuliert Erkenntnisse. Mit dem Ergebnis ist sie mehr als zufrieden: "Das ist das Buch, das ich selbst gerne gelesen hätte", strahlt sie. Eine Agentur stellt den Kontakt zum Berliner Parlez-Verlag her, der ihr Werk tatsächlich veröffentlichen will – zunächst als E-Book. Seit wenigen Wochen steht es auf den gängigen Plattformen zum Download bereit.

Bald gedruckt?

Vorangegangen ist eine mühsame Lektorats- und Korrekturphase. "Als ich das Manuskript das erste Mal zurück bekommen habe, war da alles rot", erinnert sich Beate Mäusle an den ersten Schreck. Für sie ist das aber auch ein Gütesiegel, denn ein Buch mit einem Verlag zu veröffentlichen hat für sie dann doch noch eine ganz andere Qualität als es ohne Feedback ins Netz zu stellen oder über einen Self-Publishing-Anbieter drucken zu lassen. Und die Mühen haben sich gelohnt – mittlerweile will der Parlez-Verlag "Tot sein kann ich morgen noch" auch gedruckt in die Buchhandlungen bringen.

Beate Mäusle hat die drei Punkte auf ihrer Löffelliste abgehakt. Allerdings sind ein paar neue dazu gekommen. Sie würde gerne in einem thailändischen Kloster meditieren. Und noch ein Buch schreiben.