Schwere Vorwürfe gegen einen 71-Jährigen: Er soll eine 28-Jährige belästigt haben. Foto: Racle Fotodesign /stock.adobe.com

71-Jähriger muss sich vor Gericht verantworten. "Ich bin nicht wie dieser Weinstein."

Sulz/Oberndorf - Sie brauchte Geld, er war einsam – das Ergebnis einer laut Amtsgerichtsdirektor Wolfgang Heuer "unheilbringenden Beziehung" zwischen einer 28-Jährigen und einem 71-Jährigen war letztlich eine Anklage wegen sexueller Belästigung.

Es ist eine Geschichte, wie sie tragischer kaum sein könnte. Ein einsamer 71-Jähriger findet Trost in der Freundschaft mit einer 28-Jährigen. Doch dabei bleibt es nicht: Der ältere Mann, der sich vor Gericht als "jugendlicher Typ" bezeichnet, hegte wohl tiefer gehende Gefühle.

Vor dem Oberndorfer Amtsgericht wurde ihm nun vorgeworfen, der jungen Frau im Dezember 2017 die Hand auf den Oberschenkel gelegt zu haben. Zudem soll er sich im Frühjahr 2018 auf die 28-Jährige geworfen und ihren Kopf festgehalten haben, um sie zu küssen. Harte Anschuldigungen, die der 71-Jährige entschieden von sich wies. Seine Aussage deckte Details zu einer Art "Beziehung" auf, in der beide Parteien große Fehler begangen hatten.

"Sie hat mich ausgenutzt"

Er habe die junge Frau, die aus dem Raum Sulz kommt, vom Sehen gekannt, als er sie darum gebeten habe, bei ihm aushilfsweise zu arbeiten, sagte der 71-Jährige aus. Bald schon habe man sich, auch durch ihre anderen Arbeitsverhältnisse in der Umgebung, fast täglich gesehen und sei auch einige Male zusammen essen gegangen. "Dann hat sie mir erzählt, dass sie ihren Geldbeutel verloren hat. Da fing die Scheiße an", schilderte der Angeklagte. Immer wieder sei die junge Frau zu ihm gekommen und habe ihn um Geld gebeten.

Zu diesem Zeitpunkt habe man schon ein "enges freundschaftliches Verhältnis" gehabt, jedoch kein intimes, betonte der 71-Jährige. "Ich war einsam", gab er zu. Zu seinen Kindern habe er keinen Kontakt mehr. "Sie war für mich wie eine Stiefenkelin."

Regelmäßig habe er ihr mit großen Summen ausgeholfen, ihr sogar ein Auto gekauft. Er habe sie über Wasser halten wollen. Einmal habe sie ihm sogar erzählt, sie sei vergewaltigt worden. Emotionalen Druck baute sie zudem offenbar durch Drohungen, sie würde sonst anschaffen oder von einer Brücke springen, auf. In dieser Situation habe er ihr beruhigend die Hand auf den Oberschenkel gelegt und gesagt, es könne nun nur noch bergauf gehen.

Immer sei jedoch klar gewesen, dass es sich bei dem Geld um Leihgaben gehandelt habe, betonte er. Trotzdem hatte sich der Mann nur einen Bruchteil der insgesamt geliehenen 17 000 Euro quittieren lassen. Um ihr Geld zu geben, habe er sogar selbst Schulden gemacht, sagte der 71-Jährige. Heute wisse er: "Sie hat mich ausgenutzt und kam immer nur, wenn sie Geld brauchte".

Trotz seiner Beteuerungen, dass es nicht so sei, muss der Angeklagte Gefühle für die junge Frau entwickelt haben, wie sich im Laufe des Verfahrens herausstellte. Schließlich gab er zu: "Ja, ich fühle mich noch zu Jüngeren hingezogen". Trotzdem habe es nie mehr als einen Wangenkuss gegeben. "Ich bin nicht wie dieser Weinstein", sagte er.

Der 71-Jährige hat der 28-Jährigen jedoch offenbar nachgestellt. Zumindest hatte man schon einmal wegen Stalkings gegen ihn ermittelt, wie ein Zeuge der Polizei aussagte. Die 28-Jährige hatte damals behauptet, der Angeklagte habe ihr an den Hintern gefasst und sie kontrolliert, als er von ihrer neuen Beziehung erfuhr. Verzweiflungstaten wie der Diebstahl ihres Kennzeichens waren offenbar dazu gedacht, "die Beziehung mit aller Gewalt aufrechtzuerhalten".

Wahrheit liegt in der Mitte

Anschließend war die Geschädigte als Zeugin geladen. Die 28-Jährige wollte ihre Anschrift nicht vor dem Angeklagten preisgeben. Sie schilderte, dass man sich angefreundet habe, nachdem der 71-Jährige überall aufgetaucht war, wo sie gearbeitet hatte. Auch sei man essen gegangen – jedoch alles ganz freundschaftlich. Mit den Vorfällen begonnen habe es erst Ende 2017. Zahlungen habe sie von dem 71-Jährigen nie erhalten.

"Ich war immer für ihn da. Er hat sich bei mir ausgeheult und hin und wieder etwas bezahlt." Der 71-Jährige habe über Aktienverluste viel Geld verloren und große Probleme gehabt. Anfangs habe er ihr nur die Hand auf den Schenkel gelegt, später Geld für Sex angeboten. Immer wieder hätte sie ihn zurechtgewiesen. Und dann sei es mit dem Stalking losgegangen.

Dass sie von den Gefühlen des Mannes nichts gewusst haben will, kaufte Amtsgerichtsdirektor Wolfgang Heuer ihr nicht ab. "Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte", meinte er und stellte das Verfahren ein. Es sei eine traurige Geschichte über jemanden, der den Boden der Realität verloren habe, und jemanden, der dies wohl ausgenutzt habe.