Unentschuldigtes Fehlen und geänderte Aussage bremsen Prozess wegen Körperverletzung aus.
Sulz - Verkehrte Welt am Amtsgericht Oberndorf: Statt den Angeklagten kam der wichtigste Zeuge der Staatsanwaltschaft ins Schwitzen, nachdem der Richter eine Ermittlung wegen Falschaussage in Aussicht gestellt hatte.
Als die Staatsanwaltschaft die Anklage verlas, deutete noch alles auf einen unkomplizierten Fall hin. Den beiden Beschuldigten, Vater und Sohn, wurde schwere Körperverletzung vorgeworfen. Zusätzlich wurde der Sohn wegen Bedrohung angeklagt. Zugetragen hat sich der Fall in der Silvesternacht 2020/21. Bei einer privaten Party in Sulz kam es zu einem Streit zwischen dem nun angeklagten Gastgeber und einem anwesenden Bekannten. Der Grund war wohl Eifersucht, da der Gastgeber mit der ehemaligen Freundin des Bekannten eine Beziehung begonnen hatte.
Als sich der Streit auf die Straße verlagerte, nahm laut Anklage der Gastgeber seinen Bekannten in den Schwitzkasten und prügelte auf diesen gemeinsam mit seinem Sohn ein. Selbst als der Geschädigte bereits auf dem Boden lag, sollen beide noch auf ihn eingeschlagen haben. Auch soll der Sohn gedroht haben: "Ich knall dich ab."
Der Angeklagte selbst stritt diese Vorwürfe ab. Vielmehr sei es sein Sohn gewesen, der von dem Bekannten in den Schwitzkasten genommen worden sei. Er habe nur seinen Sohn weggezogen.
Mangelhafte Ausrüstung
Den Tatvorwurf zu beweisen, erwies sich nun als überraschend schwierig. Zunächst wurde ein Polizeianwärter in den Zeugenstand gerufen, der in der betreffenden Silvesternacht zum Tatort geeilt war. Er konnte bezeugen, dass der Geschädigte leichte Verletzungen, eine Schürfwunde und eine aufgeplatzte Unterlippe von der Auseinandersetzung davongetragen hatte. Ebenfalls berichtete er von leichten Verletzungen an den Händen des Angeklagten und des Geschädigten, die er mit einer Kamera dokumentiert hatte.
Allerdings erwiesen sich die Aufnahmen als wertlos. "Habt ihr keinen gescheiten Foto?", fragte der Vorsitzende Richter Wolfgang Heuer den Polizeianwärter.
Als eigentlich wichtigster Zeuge der Anklage wurde ein Anwohner vernommen, vor dessen Haus sich die Auseinandersetzung zugetragen hatte. Dieser hatte noch am Tatort gegenüber dem Polizeianwärter berichtet, dass die beiden Angeklagten auf den am Boden liegenden Geschädigten eingeschlagen hätten. Diese Aussage hatte er zwei Wochen später auf der Polizeiwache zu Protokoll gegeben.
Doch statt diese Angaben nun erneut vor Gericht zu bestätigen, relativierte der Zeuge seine Aussage: "Die Schläge habe ich nicht gesehen, es war Nacht, ich weiß nicht, ob zwei oder drei auf dem Boden lagen." Er begründete seinen Sinneswandel damit, dass er vor dem Prozess die Ereignisse noch einmal habe Revue passieren lassen und niemanden zu Unrecht belasten wolle. "Es ist ein Unterschied, ob ich es gesehen oder vermutet habe", so der Zeuge.
Angst gehabt?
Beim Richter weckte diese Erklärung Zweifel, schließlich habe der Zeuge bis zur Protokollierung seiner Aussage am 13. Januar fast zwei Wochen Zeit gehabt, genau darüber nachzudenken, was er gesehen habe.
So fragte Heuer dann auch direkt: "Haben sie Angst, hier etwas zu sagen?" Der Richter verwies auf die Vorstrafen des Angeklagten und fragte, ob der Zeuge die Aussage aus Angst geändert habe, "weil man angesprochen wurde, jetzt nichts Falsches zu sagen". Es sei richtig gewesen, die Polizei zu rufen, lobte Heuer, es gehöre aber auch zur Bürgerpflicht, das Verfahren ordentlich zu Ende zu bringen.
Doch der Zeuge blieb bei seiner Aussage, auch nachdem ihm die möglichen rechtlichen Konsequenzen vor Augen geführt wurden: "Wenn die Staatsanwaltschaft den Eindruck hat, dass sie nicht die Wahrheit sagen, ist sie dazu gezwungen, wegen Falschaussage zu ermitteln", ermahnte der Richter.
Schließlich wurde sogar der Polizeibeamte, der die Aussage protokolliert hatte, aus seinem Urlaub in den Zeugenstand bestellt, um sicherzugehen, dass er dem Zeugen die Aussage nicht in den Mund gelegt hatte. Doch auch davon ließ sich der Zeuge nicht umstimmen, weshalb Heuer ein Verfahren "wegen des Verdachts der Falschaussage" anordnete. Dabei schien der Richter selbst bestürzt zu sein über die überraschende Wendung: "Das hatte ich so nicht erwartet."
Doch der Anwohner erwies sich nicht als einziger problematischer Zeuge. Denn sowohl der Geschädigte als auch die Frau, um die sich der Streit gedreht hatte, waren nicht zum Prozess erschienen. Deshalb ordnete Heuer die Vorführung des Geschädigten zum nächsten Prozesstermin an und verhängte ein Ordnungsgeld in Höhe von 200 Euro. Auch die Zeugin muss nun mit einem Ordnungsgeld rechnen, wenn sie zum nächsten Termin nicht erscheint.