Gericht: Angeklagter pocht auf "Gewohnheitsrecht" / Versionen unterscheiden sich

Sulz/Oberndorf. Ein Parkplatz, zwei Autos, drei Stunden im Gerichtssaal: Das ist die Bilanz eines aus dem Ruder gelaufenen Streites unter Nachbarn, der Ende Juni in einem Sulzer Stadtteil passiert ist. Die Polizei war im Einsatz, der Geschädigte – ein damals 19-jähriger Syrer – landete mit Prellungen und Brustschmerzen im Krankenhaus und war danach eine Woche lang krankgeschrieben.

Der Angeklagte, ein seit Monaten arbeitsloser 49-Jähriger, soll dem Syrer zweimal mit der Faust auf die Brust geschlagen haben, ihm auf die Füße getreten und seine Flip-Flops kaputt gemacht, ihn fotografiert und als "Terrorist" beschimpft haben. Der Vorwurf lautet: Körperverletzung, Sachbeschädigung und Beleidigung. Am Anfang der Verhandlung hofft der 49-Jährige auf Freispruch – und schildert eine ganz andere Version dessen, was im Juli vor dem Mietshaus abgelaufen ist.

Auf diesem Parkplatz, wiederholt er wie ein Mantra, habe er immer schon geparkt. "Es ist so ein ›Gewohnheitsrecht‹", erklärt er. Eine "mündliche interne Vereinbarung" mit den anderen Mietern habe es vor einigen Jahren gegeben, allerdings kein Schild, keinen Hinweis und keine schriftlichen Unterlagen. Nur der Neue, der Syrer, habe sich daran nicht halten wollen und immer wieder den Parkplatz belegt.

So auch an diesem Tag im Juni. Ein Freund des 19-Jährigen war zu Besuch, und das Auto des Kumpels stand auf dem "Parkplatz des Anstoßes". "Ich habe gehupt, bis jemand kam, und gebeten, den Parkplatz zu befreien", schildert der Angeklagte. Das Absurde an der ganzen Situation: Es waren andere Parkmöglichkeiten frei gewesen. "Warum sind Sie nicht einfach drei Meter weitergefahren?" zeigt Richter Wolfgang Heuer Unverständnis. Der Angeklagte liefert prompt eine Erklärung: "Damit ich nicht mit dem Nächsten, der dort immer parkt, in Konflikt komme."

Einen Konflikt habe es dann doch noch gegeben. "Der Syrer hat mir einen Stinkefinger gezeigt und ist dann auf mich zugegangen", schildert der Angeklagte seine Version. Der 19-Jährige habe seinen Genitalbereich an der Hüfte des 49-Järhigen gerieben. "Er hat mich provoziert", sagt der Angeklagte. Mit einem "Schulterstopp" habe er den Nachbarn auf Distanz halten wollen. Mit der Faust auf die Brust allerdings habe sich der 19-Jährige selbst geschlagen, so die Schilderung des Angeklagten.

An der Geschichte hat Richter Heuer aber seine Zweifel. Er zieht eine Rechtsmedizinerin zurate. Melanie Hohner aus Tübingen geht in erster Linie auf die Untersuchungs- und Laborwerte aus dem Krankenhaus Oberndorf und dem Schwarzwald-Baar-Klinikum in Villingen-Schwenningen ein, wo der 19-Järhige nach der Auseinandersetzung untersucht wurde.

"Wessen Faust die Rötung hervorgerufen hat, kann ich nicht sagen", räumt die Gutachterin von vorneweg ein. Sie schätzt es allerdings als "völlig unplausibel" ein, dass der 19-Jährige, der grundsätzlich Probleme mit dem Herz-Kreislaufsystem hat, sich selbst geschlagen hat.

Die Auffassung teilt am Ende auch Richter Heuer. Er setzt die Strafe für den arbeitslosen 49-Jährigen auf 20 Tagessätze à zehn Euro fest. Der Angeklagte muss auch die Kosten des Verfahrens tragen. "Ich hoffe, wir sehen uns nicht mehr wieder", verabschiedet ihn Richter Heuer.