Gebannt folgen die Zuhörer Walle Sayers Lesung aus "Mitbringsel". Foto: Vollmer Foto: Schwarzwälder Bote

Lesung: Erzählminiaturen: Walle Sayer trägt Texte im Atelier der Paul-Kälberer-Stiftung vor

Sulz-Glatt. Etliches Publikum lockte Walle Sayer, Meister der Prosalyrik, am Sonntag in das Atelier der Paul-Kälberer-Stiftung. Die Werke des mit zahlreichen Preisen belohnten sympathischen Schriftstellers aus Horb-Dettingen, bekannt für seine Erzählminiaturen und Prosagedichte, schätzen Literaturfreunde weit über die Region hinaus. Walle Sayer und seinen unverkennbaren Ton aus nächster Nähe zu hören, das wollten sie sich nicht entgehen lassen.

Reinhold Kälberer, ein Sohn des Glatter Malers Paul Kälberer, freute sich bei der Begrüßung über das große Interesse. Er ist mit Sayer seit Jahren in regem Gedankenaustausch. "Walle, du bist jetzt Opa, bald wirst du 60 Jahre. Dein Schaffen reflektiert auch deine Vita". Das Publikum forderte er auf, mit Walle Sayer durch dessen "literarischen Schrebergarten", in dem er sprachliche Stilblüten hege und pflege, zu gehen und im Anschluss an die Lesung aus seinem neuesten Band ›Mitbringsel‹ ein ›Mitnimmsel‹ zu machen." Für dieses Werk erhielt Sayer vor einem Jahr den Gerlinger Lyrikpreis.

Einige Verse daraus sind bereits in "Sinn und Form", der Zeitschrift für Literatur und Kultur der Akademie der Künste Berlin erschienen. Gebannt ließen die Zuhörer poetische Bilder von ganz Alltäglichem, Kleinem oder längst Vergessenem in Wortaufzählungen oder Wortreihen auf sich wirken. Die Texte schaffen bei aller sprachlichen Reduktion erstaunlich klare Bilder. Er öffnete Fenster, machte Dinge sichtbar und sorgte ab und an in Gedankensprüngen oder Widersprüchen für doppelbödige Irritation.

Sayer liebt das Spiel mit der Sprache und ist einer, der genau hinschaut. Die Fülle und Vielfalt seiner Wahrnehmungen bringt er lebendig, spannend oder mit einem Augenzwinkern zu Papier: "Ein Vierling – Punktrichter werden von einem Mückensirren abgelenkt. Der Klippenspringer steht an einer Bordsteinkante. Der Simultandolmetscher schlägt im Wörterbuch nach. Ein Tagdieb verschenkt seine Beute". Oder: "Die Unterschrift auf der Generalvollmacht – auf dieser Schlangenlinie unterschrieben. Die Kinderschrift eines Achtzigjährigen. Namenszittern, bevor alles verweht wird. Luftbläschen aus einem Fahrradschlauch. Weinranken an der abgestützten Hauswand. Am Feldrain ein verlorener Handschuh".

Sayer erklärte bei manchen Versen, wie sie zustande gekommen sind. Das Gedicht "Die Fernsehecke" beschreibt Situationen im Altersheim, in dem sein Vater zum Schluss lebte. Zwischendurch zitierte er ironische Sätze über gute oder schlechte Lyrik von Schriftstellern wie Martin Walser oder Günter Bruno Fuchs.