Etwas mehr Bürgerbeteiligung hätte dem Bürgerempfang gut getan. Fotos: Huber Foto: Schwarzwälder Bote

Bürgerempfang: Experte erklärt, wie schnell Bürger in Rage kommen und wie Beteiligung aussehen kann

Wie kann eine Beteiligung der Bürger in der Praxis aussehen? Antworten auf diese zentrale Frage gab Kommunikationsexperte Frank Brettschneider beim Bürgerempfang der Stadt Sulz, der beileibe etwas mehr Bürgerbeteiligung verdient gehabt hätte.

Sulz. Im Foyer der Stadthalle im Backsteinbau eröffnet das Jugend-Akkordeonorchester, unter der Leitung von Ramona Merk, den Abend mit schwungvollen Weisen. Bürgermeister Gerd Hieber begrüßt die Gäste, ganz besonders den Hauptredner des Abends Frank Brettschneider und nennt sogleich ein "gutes Beispiel" für eine gelungene Bürgerbeteiligung in Sulz: Das Stadtentwicklungskonzept, an dem sich mehr als 1000 Bürger beteiligt haben.

"Bürgerbeteiligung ist ein lebendiger Prozess, der nicht stehenbleiben sollte, sondern sich auch immer mehr weiterentwickeln muss", betont Hieber. Künftige Projekte, bei denen die Bürger verstärkt eingebunden werden sollen, sind die Entwicklung der Innenstadt und – im Falle eines Zuschlags – die Planung und Ausgestaltung der Kleinen Gartenschau.

Dass Bürgerbeteiligung entscheidende Projekte aber auch verhindern kann, zeigt Frank Brettschneider in seinem Vortrag auf. Mit "Lebendige Demokratie braucht Mitwirkung und Bürgerbeteiligung" ist sein Vortrag überschrieben.

Protest als Herausforderung

Brettschneider erklärt, dass sich in jüngster Zeit zu technischen und finanziellen Herausforderungen bei der Realisierung von Projekten eine neue Herausforderung hinzugekommen ist. Der vermehrte Protest aus der Bürgerschaft richtet sich vor allem gegen Verkehrsinfrastrukturprojekte wie neue Trassen für Straßen oder der Ausbau von Schienennetzen. Gründe sind verschiedene Nutzungsinteressen für einen begrenzten Raum. Ein Beispiel ist das Thema Windenergie. Die Klimaschützer sagen, man muss was tun in Sachen erneuerbarer Energien, die Naturschützer hingegen sehen dann den Rotmilan und die Auerhühner in Gefahr. Und schon hat man einen innerökologischen Konflikt.

Allein der Begriff "Großbauprojekt" löse bei vielen Bürgern Widerstand aus, sagt Brettschneider. Dieser assoziiere mit dem Begriff nämlich nicht nur Positives wie Arbeitsplätze, gesellschaftlicher Wohlstand oder technologischer Fortschritt, sondern vermehrt negative Punkte wie große Risiken, lange Bauzeit und hohe Kosten.

Ein weiterer Grund für Proteste ist der Ort. Menschen wollen in den Urlaub fliegen, aber dulden keinen Flughafen vor der eigenen Haustür. Die Forscher nennen das NIMBY, Not in my Backyard, oder auf Deutsch das St. Floriansprinzip. Solche Belange Einzelner werden dann von den Projektverantwortlichen abgeschwächt, indem man diese hinten anstellt. Das Allgemeinwohl ist wichtiger. Stimmt, sagt Brettschneider, aber das sogenannte Individual-Interesse muss eben auch gehört werden.

Eine Möglichkeit auf das Individual-Interesse einzugehen ist die Kompensation, betont Brettschneider. Die Bahn macht das zum Beispiel mit dem Einbau von Schallschutzfenstern, wenn sich Bürger durch Lärm belästigt fühlen. Jedoch: Wichtig sei immer die Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen.

Von projektbezogenen Protesten ist die Rede, wenn es um Kritik an einzelnen Aspekten eines Projekts geht, wie Auswirkungen auf die Natur, Kosten oder Risiken.

Acht-Punkte-Plan

Und dann gibt es da noch die Wahnehmung von Ungerechtigkeit (wenn an einem Ort mehrere Beeinträchtigungen auftreten als an einem anderen) und das Gefühl, von oben herab behandelt zu werden. Mangelnde Transparenz und die zu geringe Diskussion über Alternativen seien weitere Gründe, die zu Bürgerprotesten führen könne.

Ansatzpunkte zur Vorbeugung solcher Proteste hat Brettschneider in acht wissenschaftlich belegten Punkten zusammengefasst: 1. die frühzeitige Beteiligung, 2. eine aufgeschlossene und wertschätzende Grundhaltung, 3. die Einbeziehung von unterschiedlichen Interessen, 4. klare Rahmenbedingungen, 5. professionelle Prozessgestaltung für Fairness und Transparenz, 6. umfassende Faktenklärung, 7. verständliche Kommunikation und 8. die Beteiligungs- und Kommunikationsinstrumente nutzen.

Eine weitere Art der Bürgerbeteiligung könne das ehrenamtliche Engagement sein, sagt Brettschneider. Hier gelte es nicht, bei der Erarbeitung von Entscheidungen mitzuwirken, sondern freiwillig und ehrenamtlich Aufgaben zu übernehmen.

Doch hier wie dort seien eine frühzeitige und dauerhafte Kommunikation mit permanentem Feedback die Erfolgsfaktoren.

Sulz (jh). In der anschließenden Diskussion beschreibt Stadtrat Robert Trautwein sein Frustrationspotenzial, das entstehe, wenn sich Bürger nur für ein Thema engagieren und sich dann aus dem Beteiligungsprozess zurückziehen. Diese hätten dann aber kein Verständnis für Entscheidungen, die mehrere Projekte betreffen. Der Bürgerbeauftragte der Stadt Sulz, Ulrich Händel, wirft die Frage in den Raum: "Was wünsche ich mir von einer guten Bürgerbeteiligung in Sulz?"

Trautwein: "Ich wünsche mir, dass sie unvoreingenommen und nicht nachtragend gemacht wird und nicht beleidigend. Wenn wir offen und sachlich miteinander umgehen kommt auch was Gescheites dabei heraus."

Gert Hieber: "Für mich geht es darum, dass wir im Dreier-Konstrukt – Gemeinderat, Bürger und Verwaltung – einen Mehrwert für die Stadt erreichen. Wir dürfen aber nicht die zahlreichen engagierten Ortschaftsräte vergessen, die auch einen wichtigen Beitrag zu den Projekten leisten. Ich erhoffe mir, dass wir durch die Bürgerbeteiligung ein Plus an Lebensqualität in unserer Stadt erreichen."

Gabriele Brucker: "Ich erwarte, dass sich mehr Menschen mit der Kommune identifizieren und für die Themen interessieren."

Klaus Schätzle: "Wir sind eine Gemeinde mit 12 000 Einwohnern, jedes Jahr verlassen 600 Einwohner die Stadt und 600 kommen hinzu. Wir tauschen also in zehn Jahren die Hälfte unserer Bevölkerung aus. Wie bekommen wir also unsere Neubürger dazu, sich für ihre Gemeinde zu interressieren und zu engagieren. Es stellt sich auch die Frage: Wie gehe ich mit Mehrheitsentscheidungen und mit dem Wandel in unserer Gesellschaft um."

Frank Brettschneider ist seit April 2006 Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft an der Universität Stuttgart-Hohenheim. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Kommunikation bei Bau- und Infrastrukturprojekten, Verständlichkeitsforschung, politische Kommunikation und Kommunikationsmanagement. Der Kommunikations-Professor ist unter anderem Mitglied im wissenschaftlichen Beirat für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung der Landesregierung Baden-Württemberg sowie im Beirat Presse, Werbung und Öffentlichkeitsarbeit der Bundesgartenschau Heilbronn 2019.