Wölfe erkennt man an den kleinen, dreieckigen Ohren und der geraden Linie, die der Rücken beschreibt. Foto: dpa

Naturschützer und Schäfer werfen der Landesregierung Trägheit vor. Zu spät und zu geizig seien die Regelungen in einem jetzt veröffentlichten Leitfaden zu dem Rudeltier.

Naturschützer und Schäfer werfen der Landesregierung Trägheit vor. Zu spät und zu geizig seien die Regelungen in einem jetzt veröffentlichten Leitfaden zu dem Rudeltier.

Stuttgart - Ein Wolf beginnt zu heulen, ein zweiter stimmt mit ein. Der schaurig-schöne Gesang kommt aus einem Handy-Lautsprecher. Man kann sich den Klingelton auf der Internetseite des Naturschutzbunds, kurz Nabu, gegen eine Spende herunterladen. In freier Natur sind Wölfe in Baden-Württemberg nicht zu hören. Noch nicht – denn glaubt man den Experten des Nabu, dann steht die Rückkehr des Wolfs in den Südwesten unmittelbar bevor. „Es könnte jede Nacht geschehen“, sagt Michael Glock, der Fachbeauftragte der Naturschützer für den Wolf.

In den Vogesen im benachbarten Frankreich und in der Schweiz ist das Raubtier wieder heimisch geworden. Männliche Wölfe können auf der Suche nach einem neuen Revier pro Nacht 40 Kilometer und mehr zurücklegen. Flüsse und Autobahnen sind keine Hindernisse für die Tiere.

Dem hat nun auch die Landesregierung Rechnung getragen und einen Leitfaden für den Umgang mit dem Wolf herausgegeben. Das Dokument soll Landwirten, Naturschützern und Behörden zeigen, was zu tun ist, wenn tatsächlich ein Wolf im Land auftauchen sollte. Für Menschen sind die Tiere in der Regel nicht gefährlich, aber sollte das Raubtier seinen Hunger an Schafen oder anderen Nutztieren stillen, gibt es einen Fonds von 10.000 Euro, aus dem die Viehhalter entschädigt werden können.

„Falls der Wolf zurückkommt, ist Baden-Württemberg gut vorbereitet“, sagte Landwirtschaftsminister Alexander Bonde kürzlich bei der Vorstellung des Leitfadens.

Doch nicht alle sind von der Arbeit des Ministeriums so überzeugt wie dessen Chef. Bei den Naturschutz- und Tierzuchtverbänden für Schafe und Damhirsche ist man irritiert, dass der Leitfaden erst jetzt veröffentlicht wurde. „Er hätte schon längst herausgegeben werden können“, sagt Michael Glock. „Träge“, so nennt er das Verhalten des Landwirtschaftsministeriums, wenn es um den Wolf geht. Große Teile des Leitfadens waren schon unter der alten Landesregierung erarbeitet worden.

Und das Papier wurde seitdem aus Sicht der Naturschützer nicht besser: „Damals wollte das Land noch 80 Prozent der Entschädigungen refinanzieren, die über den von den Naturschutzverbänden getragenen Fonds ausbezahlt werden sollen. Die grün-rote Regierung hat diesen Anteil auf 70 Prozent gedrückt“, sagt Michael Glock. „Ein bisschen mehr Großzügigkeit hätte hier nicht geschadet.“

Tiefes Misstrauen bei Tierhaltern

Ähnlich ist auch die Kritik der Halter von Schafen, Ziegen und Damhirschen. Sie sind nicht damit einverstanden, dass Schäden für gerissene Tiere nur auf freiwilliger Basis durch einen privaten Fonds ersetzt werden sollen. Sie fordern, dass sich die Landesregierung verpflichtet, für Schäden durch den Wolf aufzukommen, wie es beispielsweise in Sachsen, der Schweiz und Italien bereits der Fall ist. „Wir brauchen Rechtssicherheit. Im Piemont ist der Wolf inzwischen von allen Seiten akzeptiert, weil entsprechende Entschädigungen vom Staat gezahlt werden“, sagt Helmut Trumpf, der Vorsitzende des Verbands für landwirtschaftliche nutztierartige Haltung von Wild in Baden-Württemberg.

Doch beim Landwirtschaftsministerium will man davon nichts wissen. „Das EU- und Bundesrecht gibt vor, der Wolf ist zu schützen und Schäden sind hinzunehmen“, heißt es beim zuständigen Referat für Biotop und Artenschutz. Referatsleiter Wolfgang Kaiser hält die Forderungen der Nutztierhalter für überzogen und befürchtet zudem einen Dammbruch. Ständig würden Landwirte Forderungen an das Ministerium stellen. „Wenn ein Blitz in eine Kuh fährt, können wir auch keine Entschädigung zahlen“, sagt Kaiser.

Und das Landwirtschaftsministerium will mit einem zweiten Leitfaden nachlegen. Darin soll erarbeitet werden, was zu tun ist, wenn sich statt einzelner Tiere ganze Wolfsfamilien in Baden-Württemberg ansiedeln. Es wird dabei vor allem um Präventionsmaßnahmen gehen, also wie Nutztierhalter ihre Tiere besser schützen können. „Dann kann man über eine weitergehende Unterstützung nachdenken“, sagt Kaiser.

Doch das Misstrauen bei den Tierhaltern sitzt tief. „Auf uns wird ein enormer Arbeitsaufwand zukommen“, sagt Alfons Gimber, der Vorsitzende des Landesschafzuchtverbands Baden-Württemberg. Elektrozäune und Herdenschutzhunde seien besonders für kleinere Betriebe kaum erschwinglich.

Wird das Land für die Kosten aufkommen? „Wir hoffen, dass wir nicht im Stich gelassen werden“, sagt Gimber. Jetzt schon sei die Schafzucht in Deutschland kaum noch einträglich, sagt der 53-jährige Tierwirtschaftsmeister aus Lobenfeld (Rhein-Neckar-Kreis).

Gebirgige Landschaft erschwert Aufstellen von Zäunen

Zudem ist noch nicht klar, ob Zäune und Hunde für den Schwarzwald geeignet sind. In der Lausitz, der Region in Deutschland mit den meisten Wölfen, haben sie sich bisher bewährt. Obwohl dort inzwischen vierzehn Wolfsrudel leben, sinkt die Zahl der Übergriffe auf Nutztiere beständig. Doch im Osten leben die Wölfe hauptsächlich im Flachland, und die meisten Schafe werden traditionell in Gehegen gehalten.

In Baden-Württemberg dagegen ist die Koppelhaltung nicht der Regelfall und die gebirgige Landschaft erschwert das Aufstellen von Zäunen. Geeignete Schutzmaßnahmen könnten also weitaus teurer kommen.

Immerhin, 60 Prozent der Kosten für Schutzmaßnahmen werden derzeit in Sachsen aus EU-Mitteln bezahlt. Der Freistaat hat sich außerdem seit 2008 verpflichtet, Schäden durch den Wolf zu übernehmen. Sogar dann, wenn zweifelhaft ist, ob der Übeltäter nicht doch ein verwilderter Hund war. Das ist oft nur schwer nachzuweisen.

„Es geht bei der Entschädigung hauptsächlich darum, die Akzeptanz für den Wolf zu steigern“, sagt André Klingenberger, der sich in Sachsen um Schutzmaßnahmen gegen Wolfsattacken kümmert.

Ein Ziel, das die Naturschützer des Nabu in Baden-Württemberg erreichen wollen, bevor das erste Wolfsgeheul im Schwarzwald zu hören ist.