Bis zu 14 Millionen Zweiräder gibt es in Ho-Chi-Minh und sorgen dort regelmäßig für verstopfte Straßen. Foto:  

Mit einer Wirtschaftsdelegation besucht die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut Vietnam und Singapur. Dort tun sich für Unternehmen aus dem Südwesten neue Chancen auf.

Hi-Chi-Minh - Garküchen entlang der Straßen, Bäuerinnen mit kleinen Obst- und Gemüseständen, wenige Ecken weiter prachtvolle Hochglanzfassaden mit Luxusmarken wie Cartier und Armani. Der Gegensatz könnte kaum krasser sein. Vietnam verändert sich – und die Aufbruchstimmung ist förmlich zu greifen. „Vietnam ist ein Tiger mit Biss“, sagt Andreas Siegel, Deutscher Generalkonsul in Ho-Chi-Minh-Stadt, auch wenn er noch nicht ganz ausgewachsen sei.

Deutsche Unternehmen setzen auf Vietnam. Davon können sich die Teilnehmer der Delegationsreise mit Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut bei einer Führung durch die Produktion bei Pepperl & Fuchs in Ho-Chi-Minh-Stadt, dem früheren Saigon, selbst überzeugen. Die Männer und Frauen, die in dem Werk Platinen und Bänder mit Sensoren bestücken und testen, sind jung, arbeiten flexibel je nach Auftragslage, auch samstags. Arbeiten, die in Deutschland längst automatisiert wären, werden hier noch von Hand erledigt, weil die Lohnkosten so niedrig sind. Evert Helms, Generaldirektor von Pepperl & Fuchs Vietnam, freut sich über jährliche Wachstumsraten von mehr als 20 Prozent. Der Spezialist für Sensoren und Automatisierungstechnik mit Stammsitz in Mannheim produziert seit 2009 in Ho-Chi-Minh-Stadts Industriezone, die Pepperl & Fuchs ideale Produktionsbedingungen bietet: eine eigene Stromversorgung, wenn das Netz mal wieder zusammenbricht, die Nähe zu Flughafen und Hafen, und die Ausfuhr in südostasiatische Märkte ist zollfrei. Mittlerweile arbeiten hier 560 der weltweit 5700 Mitarbeiter. Und es werden noch mehr, denn man hat auf der gegenüberliegenden Straßenseite bereits ein Grundstück erworben, um die Produktionsfläche zu verdoppeln.

S-Klasse wird auch in Vietnam gebaut

„Die Behörden sind bemüht, die wirtschaftlichen Bedingungen zu verbessern“, sagt Michael Behrens, der Vorsitzende der Europäischen Kammer und Chef von Mercedes-Benz in Vietnam. Nach Sindelfingen baut Mercedes die neue S-Klasse in Vietnam und will dort am aufstrebenden Wirtschaftswachstum teilhaben. Dieses Jahr wurden etwa 4000 Fahrzeuge verkauft.

Mit Steueranreizen und möglichst einfachen Investitionsbedingungen will Vietnam für Investoren attraktiv werden. Seit der Öffnung des kommunistischen Landes in den 1990er Jahren und der schrittweisen Liberalisierung zählt Vietnam mit Wachstumsraten zwischen sechs und sieben Prozent zu den wirtschaftlichen Boom-Ländern. Mit einem Durchschnittsalter von 29 Jahren hat das 92-Millionen-Einwohner zählende Land eine der jüngsten Bevölkerungen Asiens. Motivierte, lernwillige und wissbegierige Arbeitskräfte, eine steigende Kaufkraft und die Lust zum Konsum machen es zu einem attraktiven Standort und Absatzmarkt für baden-württembergischen Firmen, die schon im Land engagiert sind oder damit liebäugeln, sagen Experten wie Marko Walde von der Außenhandelskammer Vietnam beim Austausch mit Wirtschaftsministerin Hoffmeister-Kraut. „Auch vom Freihandelsabkommen mit der EU kann Baden-Württemberg profitieren“, sagt die Ministerin. Es wurde bereits unterzeichnet und soll spätestens Anfang 2018 in Kraft treten. „Das ist ein großer Schritt nach vorn“, sagt Hoffmeister-Kraut angesichts des Marktpotenzials.

Vietnams größter europäischer Handelspartner ist Deutschland mit einem Handelsvolumen von 7,93 Milliarden Euro im vergangenen Jahr – 968 Millionen Euro entfielen davon auf den Südwesten. Das Handelsvolumen hat auch in diesem Jahr im zweistelligen Prozentbereich zugelegt.

Niedrigere Lohnkosten als in China

Wiha, ein Hersteller von Handwerkzeugen und Zangen aus Schonach im Schwarzwald, produziert schon seit zehn Jahren in Vietnam – Top-Qualität für den Profibereich, sagt der zuständige Geschäftsführer Christian Ingold. China wäre zu teuer und würde von der Mentalität nicht passen. Die Lohnkosten für eine Fachkraft sind in Vietnam nur halb so hoch wie für eine im Reich der Mitte, für einen Arbeiter liegen sie gerade mal bei einem Drittel. Das schätzen auch andere internationale Investoren, vor allem der Samsung-Konzern, der mehr als die Hälfte aller Handys in Vietnam produziert.

In vielen Gesprächen und Kooperationsbörsen versucht die Ministerin bei ihrem Besuch Chancen und Risiken auszuloten. Themen sind auch Korruption und Ausbildung, Chancen für eine Zulieferindustrie, die im Land praktisch fehlt. Der Zeitplan ist dicht gedrängt. Nicht nur produzierende Unternehmen sind mitgekommen, auch IT-Dienstleister und IT- Spezialisten, denn langfristig könnte sich Vietnam gar zum Top-Standort für IT-Outsourcing und als künftige Software-Schmiede Asiens erweisen. Maria Dietz, Gesellschafterin des Stuttgarter IT-Spezialisten GFT, will bei dieser Reise einen persönlichen Eindruck von der Qualitat der Softwareentwicklung und Infrastruktur gewinnen. „Wir prüfen, ob für uns ein Softwareentwicklungsstandort in Vietnam interessant ist“,sagt sie.

Zwölf bis 14 Millionen Zweiräder in Ho-Chi-Minh-Stadt

Bosch hat die Entscheidung schon getroffen. Der Stuttgarter Technologiekonzern ist vor fünf Jahren mit IT-Lösungen dort gestartet, mittlerweile beschäftigt Bosch 1300 Softwareentwickler, bis 2020 sollen es 2200 sein, sagt Vo Quang Hue, Bosch-Manager in Vietnam. Einige Mitarbeiter kommen auch aus dem indischen Bangalore dazu, um ihre Erfahrungen weiterzugeben, wie der Bosch-Manager sagt. Einige der mitgereisten Unternehmer liebäugeln mit dem Markt, der zwar enorme Chancen bietet, aber auch Risiken birgt und viel Nachholbedarf hat. Allen voran verstopfte Straßen und eine schlechte Infrastruktur – allein in Ho Chi Minh drängeln sich täglich zwölf bis 14 Millionen von motorisierten Zweirädern durch die Straßen und jeden Tag werden weitere 1000 neu zugelassen. Wenn ein Lkw in abgelegene Gebiete fährt, braucht er oft Tage.

In Hanoi, dem politischen Zentrum im Norden, sind Kontakte zu Staatsunternehmen wichtig. In Ho-Chi-Minh-Stadt, dem Wirtschaftszentrum im Süden, dominieren privatwirtschaftliche und ausländische Unternehmen.

Während in Vietnam – einer der zehn ASEAN-Staaten – gerade mal 300 deutsche Unternehmen vor Ort sind, sind es fünf Mal so viele in Singapur. „Das ist Asien light“, sagt Katharina Ravens, die Leiterin des dortigen German Center, das deutschen Firmen den Sprung nach Südostasien erleichtert – mit Büros und dem Zugang zu Business-Netzwerken. „Wer noch keine Erfahrung hat, gründet meist erst mal einen Vertriebsstandort in Singapur“, sagt Christian Wiese, Asien-Geschäftsführer des Ulmer Prüfmaschinenherstellers Zwick Roell. Denn für die Region brauche man einen langen Atem.

Und wie fällt ein erstes Fazit der Ministerin zu der Reise aus? „Baden-Württemberg hat eine starke Wirtschaftspräsenz in der Welt und jeder möchte unser als Partner“, sagt sie und sieht Marktpotenzial vor allem im produktiven Bereich. Und dann hat es ihr vor allem noch die Gastfreundschaft der Leute angetan.