Die Regierung in Pretoria hält sich bei der Bewertung des Kriegsin der Ukraine merklich zurück. Das hat historische Gründe.
Dass der russische Außenminister Sergej Lawrow am heutigen Montag Südafrika besucht, ist noch kein Skandal. Schließlich ist die Regierung in Pretoria im Ukraine-Krieg um „Neutralität“ bemüht, weil sie nur so in dem Konflikt einmal vermitteln könne. Dass Lawrow kurz vor seiner Reise in den Süden Afrikas die Rolle der Nato im Ukraine-Konflikt mit „Hitlers Endlösung der Judenfrage“ verglich, hätte Pretoria schon eher zu denken geben müssen. Dass Südafrikas Marine gleichzeitig eine militärische Übung mit der russischen (und chinesischen) Marine veranstaltet, musste die Warnlampen erst recht aufleuchten lassen. Und dass diese Übung ausgerechnet am Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine am 24. Februar stattfindet, ist dann doch zu viel des Schlechten. „Diese Obszönität ist nur schwer zu übertrumpfen“, schimpft die Zeitung „Daily Maverick“.
Und dabei war noch gar nicht von dem russischen Frachter Lady R die Rede, der Anfang Dezember im Militärhafen von Simon’s Town andockte, obwohl die USA und EU das Schiff wegen angeblicher Waffentransporte unter Sanktionen gestellt hatten. Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen wurden des Nachts zahlreiche Container aus der Lady R entladen.
Gerüchte um Waffenlieferungen
Südafrikas Regierung verweigerte tagelang jede Stellungnahme zu dem Vorgang. Erst dann gab Verteidigungsministerin Thandi Modise bekannt, dass es sich bei der Ladung des Frachters „um eine alte Bestellung von Munition“ gehandelt habe. Für die entladenen Container könnte das zutreffen – für die danach beladenen kaum. Liefert Südafrika also Waffen ans kriegführende Russland? Dass der Afrikanische Nationalkongress (ANC) eine historische Schwäche für Russland bzw. die Sowjetunion hat, ist bekannt. Schließlich unterstützte Moskau die Befreiungsbewegung jahrzehntelang in ihrem Kampf gegen das weiße Rassistenregime, während der Westen diesem viel zu lang die Stange hielt. Zahlreiche ANC-Hierarchen wurden in der Sowjetunion ausgebildet – auch nach dem Ende der Apartheid blieb das Verhältnis herzlich. Ex-Präsident Jacob Zuma und Freunde begaben sich regelmäßig zur medizinischen Behandlung nach Moskau. Und als es in Südafrika um einen eventuellen Erwerb von Atomreaktoren ging, galt Russland als bevorzugter Anbieter.
Die Außenministerin wird zurückgepfiffen
Pretoria gibt sich alle Mühe, seinen Bündnispartner nicht zu verprellen. Als US-Diplomaten nach Putins Überfall auf die Ukraine den afrikanischen Kontinent durchkreuzten, um Verbündete zu finden, holten sie sich in Südafrika einen Korb. Pretoria enthielt sich bei der Verurteilung Putins in der UN-Vollversammlung der Stimme und beteiligte sich auch nicht an Sanktionen gegen Russland. In einer spontanen moralischen Regung hatte Südafrikas Außenministerin Naledi Pandor den Überfall auf die Ukraine als „Angriff auf die Souveränität und Integrität eines unabhängigen Staates“ verurteilt. Doch die Chefdiplomatin wurde vom Präsidenten selbst zurückgepfiffen: Dabei muss ihr Cyril Ramaphosa die Bedeutung Russlands – auch für den ANC – erklärt haben. Schließlich macht die Regierungspartei gemeinsame Geschäfte mit russischen Oligarchen.
Kampf um die Weltherrschaft
Seitdem folgt Pretoria der russischen Lesart des Ukraine-„Konflikts“: Dass Putin auf die Provokation der Nato gar nicht anders reagieren konnte. Einer Umfrage zufolge kann sich der ANC dabei aber nicht auf die Bevölkerung stützen. Die meisten Südafrikaner sind offenbar der Überzeugung, dass Putins Invasion „ein Akt der Aggression“ war, der verurteilt werden müsste. Das südafrikanische Außenamt dagegen sieht in dem Krieg einen Kampf um die Weltherrschaft.