Es ist eine tragische Familiengeschichte, die nun ein glückliches Ende findet. Nach vielen Jahrzehnten der Ungewissheit lernte Franz Kromer endlich seine beiden Halbbrüder aus Australien kennen. Das Treffen fand dort statt, wo sich einst die Wege trennten.
Drei Männer im gestandenen Alter treffen auf dem Hof der Familie Götz an der Römerstraße schräg gegenüber des Behlaer Rathauses aufeinander. Frank und George Pszczonka aus Australien sind kurz zuvor mit ihren Begleiterinnen vom Flughafen Zürich eingetroffen, Franz Kromer kommt mit Tochter und Enkel aus Döggingen. Erste Worte in Deutsch und Englisch werden gewechselt, die Begrüßung ist herzlich und aufgeregt, es werden Bilder geknipst.
Es ist ein ganz besonderes Treffen. Franz Kromer ist der Halbbruder von Frank und George Pszczonka. Die drei Männer treffen sich zum ersten Mal, nachdem sie erst vor wenigen Wochen voneinander erfahren haben. Ein emotionaler Moment für alle, wenn man nach so vielen Jahren plötzlich Brüder hat, beschreibt Franz Kromer den Moment. Bilder und Erinnerungen werden ausgetauscht, die eine bewegende Geschichte erzählen.
Ihr gemeinsamer Vater Franciszek Pszczonka war Ende 1939 im Alter von 16 oder 17 Jahren in Polen gefangen genommen worden. In Deutschland musste er Zwangsarbeit leisten, wurde auf der Baar auf Höfen eingesetzt. 1946, nach dem Krieg, arbeitet er im Milchviehbetrieb in Behla weiter, dort, wo jetzt das Treffen stattfand. Hier lernte er eine junge Frau namens Matilda kennen und verliebte sich in sie. 1949 reiste er über ein Umsiedlungslager im italienischen Bagnoli nach Australien – viele ehemalige Zwangsarbeiter versuchten damals einen Neuanfang in Amerika, Kanada und Australien. Ziel war es, dass Matilda später nachkommt. Dass sie zu diesem Zeitpunkt schwanger war, davon wusste Franziszek nichts.
Er schickte ihr Geld für die Reise, doch soweit kam es nie. Ein Grund dafür war auch, dass der Ehemann ihrer Schwester Emma gestorben war und die beiden Mädchen den Hof in Behla bewirtschaften mussten, wo sie zusammen mit dem jungen Franz lebten. So nannte Mathilda ihren Sohn. Das Gebäude steht heute nicht mehr. Irgendwann hatte Matilda Franziszek doch erzählt, dass er einen Sohn hat. In einem Brief sagte sie ihm letztlich auch, dass sie nicht nach Australien nachkommt.
Kontakt zum Sohn
Nach sieben langen Jahren des Wartens auf seine große Liebe, heiratete Franziszek schließlich Katherina, die Mutter von Frank und George. Auch Matilda heiratete einen Einheimischen. Franz wurde als kleiner Junge erzählt, dass sein Vater tot sei. 1974 besuchte Franciszek Pszczonka die Cousins seiner ungarisch-australischen Frau in Ulm. Zusammen mit einem polnischen Freund, vermutlich ebenfalls ein ehemaliger Zwangsarbeiter, fuhren sie auch nach Behla, um Matilda zu besuchen. Sie soll Franciszek gebeten haben, keinen Kontakt zu seinem Sohn aufzunehmen, da dies alles durcheinander bringen würde. Doch der polnische Freund soll ihn gedrängt haben, es doch zu tun. Also fuhren die Beiden nach Döggingen, wo Franz an der Tankstelle und als Mechaniker arbeitete. Und da geschah Unglaubliches.
Franz erkennt seinen Vater
Franz Kromer bediente die fremden Kunden, tankte deren Wagen auf. „Wir haben uns dann in die Augen geschaut, dann habe ich sofort gesagt: ‚Du bist mein Vater!’“, erinnert er sich noch genau an diesen magischen Moment. Er war sich ganz sicher, ohne zu zögern, entgegen seinem Wissen vom Tod seines Vaters. Und dann? „Sind wir uns in die Arme gefallen und es liefen Tränen“, erzählt er weiter.
1994 besuchte Franciszek seinen Sohn erneut. Sie verbrachten drei Wochen zusammen und tauschten viele Erinnerungen aus. Die Vater-Sohn-Beziehung wurde jedoch stets durch Franciszeks australische Frau Katherina erschwert, die nichts mit Franz oder seiner Mutter zu tun haben wollte. Die Kommunikation musste immer heimlich über ein Familienmitglied stattfinden, das Briefe von Franz empfing und deren Inhalt dann weitergab. Auch beim Schreiben von Briefen an Franz half sie.
Ein Jahr später starb Franciszek. Katherina informierte Franz Kromer mit der Bitte, die Familie in Australien nie wieder zu kontaktieren. Alle Briefe und Fotos vernichtete sie. Ihre australischen Söhne Frank und George hatten keine Informationen zu ihrem Halbbruder in Deutschland.
Erst kurz vor Katherinas Tod hatten sie überhaupt von ihm erfahren. Mehr als ein Jahrzehnt verstrich, ehe Frank und seine Partnerin ernsthaft beschlossen, den Halbbruder zu suchen. Mit Erfolg. In einem ersten Telefonat zwischen Franz in Deutschland und Frank in Australien hat Franz seinen Halbbruder gefragt: „Warum hast du so lange gebraucht, um mich zu finden?“ Jetzt versteht er es.
Verlorene Zeit nachholen
Frank Pszczonka ist entschlossen, die verlorene Zeit nachzuholen. Bereits beim ersten Treffen begannen die Halbbrüder damit im Hinterhof von Familie Götz. Bertold Götz hatte die Zusammenkunft bemerkt und die Gruppe spontan zu einem kleinen Umtrunk eingeladen. Auch seine Familie ist Teil der Geschichte. Bis nach dem Krieg hat sein Großvater den Hof geführt, später sein Vater und schließlich er selbst.
Einige Jahre lebte und arbeitet auch Franciszek Pszczonka hier, ist Teil der Familie geworden. Die Halbbrüder haben derweil zahlreiche Gemeinsamkeiten herausgefunden: ihr Haaransatz, ihre Lieblingssüßigkeiten und Kuchen, ihre Karriere und ihre Liebe zu Autos. Ein paar Tage sind die Australier noch in Deutschland zu Gast, ehe sie weiterreisen. Noch im September ist jedoch ein erneuter Besuch auf der Baar geplant.
Die Suche auf der Baar
Unbekanntes Kapitel
Im Alter von 67 Jahren hatte sich Frank Pszczonka auf die Suche nach seinem Halbbruder gemacht, um nach bislang unbekannten Kapiteln im Leben seines Vaters Franciszek, seinem bis dato unbekannten Halbbruder und nach Antworten auf viele Fragen zu suchen. Das war Ende Juni dieses Jahres. Mehrere Tage verbrachte er zur Spurensuche in der Region. Er machte seine Geschichte öffentlich. Kurz danach meldete sich Franz Kromer mit der Lösung des Rätsels. Zu diesem Zeitpunkt war Frank Pszczonka aber schon wieder in Australien.