Diakoniepfarrerin Karin Ott (hinten rechts) bringt zum Auftakt das Brot, das geteilt wird. Foto: Peter Petsch

Für Hungrige ist die Stuttgarter Vesperkirche seit Sonntag wieder eine beliebte Anlaufstelle. Warmes Essen, Beratung, medizinische Betreuung und Kultur gibt es dort in den kommenden sieben Wochen fast zum Nulltarif.

Für Hungrige ist die Stuttgarter Vesperkirche seit Sonntag wieder eine beliebte Anlaufstelle. Warmes Essen, Beratung, medizinische Betreuung und Kultur gibt es dort in den kommenden sieben Wochen fast zum Nulltarif.

Stuttgart - In der Leonhardskirche hat sich eine lange Schlange gebildet. Dicht gedrängt stehen Menschen unterschiedlichen Alters, manche mit Hunden oder Kindern an der Hand. Sie alle verbindet nur eines: Der Hunger. Ehrenamtliche Helfer haben zum 20. Mal die Pforten der Stuttgarter Vesperkirche geöffnet, um Bedürftigen ein Obdach und ein warmes Mittagessen zu gewährleisten.

Über 800 Helfer sind nun sieben Wochen lang im Einsatz. Oft kann man die Ehrenamtlichen nicht von den Gästen unterscheiden. Viele Bedürftige packen selbst mit an, geben Essen aus, putzen, machen sich nützlich. Bei Bedarf beraten die Ehrenamtlichen ihre Gäste und regen zum Gespräch an. „Das ist eine Gemeinschaft von Menschen mit unterschiedlichem sozialem Hintergrund“, sagt die Leiterin der Vesperkirche, Diakoniepfarrerin Karin Ott. Nicht nur der Körper, sondern auch die Seele werde hier gestärkt. Sonntags findet vor der Essensausgabe ein Gottesdienst statt. Ott: „Die Menschen finden Halt im Glauben.“

Daneben gibt es praktische Hilfe: Ein Fahrrad-Service, medizinische Betreuung für die Tiere und einen Frisör. „Zum ersten Mal ist an drei Nachmittagen auch eine Zahnärztin in der Vesperkirche, die Patienten ausführlich kostenlos untersucht“, sagt Karin Ott.

An den Tischen sitzen nun diejenigen, die früh dran waren. Sie haben einen gefüllten Teller vor sich, heute gibt es Schweinebraten mit Nudeln und Salat. Vor der Kirche warten schon die Nächsten. Einige trinken Bier. „Der Alkohol ist ein Problem“, sagt Karin Ott, „dadurch kommt es zu Schlägereien.“ Gemessen an der Besucherzahl komme dies jedoch relativ selten vor.

Jährlich 250.000 Euro an Spendengeldern nötig

Rund 600 Mahlzeiten und knapp 500 Vesperbeutel geben die Helfer täglich an Bedürftige aus. Ein warmes Mittagessen kostet 1,20 Euro, Getränke, Vesperbeutel und Kuchen sind umsonst. Um dieses Angebot zu ermöglichen, benötigen die Mitarbeiter im Jahr rund 250.000 Euro an Spendengeldern. „Für dieses Jahr haben wir etwa die Hälfte des Geldes zusammen“, sagt Karin Ott.

Man könne aber auch anders helfen. Durch einen Besuch in der Vesperkirche, zum Beispiel. „An kaum einem anderen Ort können Arm und Reich heute noch so in Kontakt treten und ins Gespräch kommen“, sagt die Diakoniepfarrerin, „besser gestellte Menschen müssen lernen, ihre Vorurteile zu überwinden.“ Für Ott ist es skandalös, dass in der heutigen Gesellschaft hungernde Menschen leben.

Begegnungen sind aber auch bei Konzerten und Vorträgen, bei der Veranstaltungsreihe „Kultur in der Vesperkirche“, möglich. Unter anderem treten Mitglieder der Stuttgarter Staatsoper oder die Band „Fool’s Garden“ in der Leonhardskirche auf. „Die Menschen sollen nicht nur satt und sauber sein, sie haben auch ein Recht auf Kultur, denn nicht nur ein gefüllter Magen macht glücklich“, so Ott.

Die Stuttgarter Vesperkirche steht täglich von 9 bis 16.15 Uhr allen offen. Mittlerweile gibt es in Baden-Württemberg rund 26 Einrichtungen dieser Art, die von Jahr zu Jahr ausgebaut werden. „Da viele Alleinerziehender hier herkommen, diskutieren wir gerade die Frage der Kinderbetreuung“, sagt die Diakoniepfarrerin, „doch eigentlich müssen wir überlegen, was man tun muss, damit man die Vesperkirche nicht mehr braucht.“ Die vielen hungrigen Menschen bei der Essensausgabe machen deutlich, dass der Weg bis dahin noch lang ist.