Der Stuttgarter Autor und Regisseur Joachim Lang dürfte mit seinem Hitler-Film „Führer und Verführer“ international für Aufsehen sorgen. Foto: Zeitsprung/SWR

Streng geheim hat Joachim Lang seinen Film „Führer und Verführer“ in Bratislava gedreht. Er schildert die Gefahr von Rechtsextremismus – mit einem ungewohnten Blick auf Hitler. Die internationalen Reaktionen sind euphorisch.

Das nächste Jahr wird ein großes Jahr für den Stuttgarter Autor und Regisseur Joachim Lang. Im Februar soll sein Spielfilm „Führer und Verführer“ in die Kinos kommen, mit dem der 63-Jährige auf neue Weise mit Mitteln der Filmkunst der Frage nachgeht, wie es den Tätern gelingen konnte, solch unvorstellbare Verbrechen zu begehen. Und warum die Mehrheit der Deutschen Hitler in den Krieg und in den Holocaust folgte. Um die Bevölkerung zu manipulieren, inszenierte Hitlers Propagandaminister Goebbels Lügen in neuen Dimensionen, aus heutiger Sicht kann man ihn als besonders brutalen Verbreiter von widerwärtigen Fake News bezeichnen.

 

Es ist nicht das einzige aktuelle Projekt von Joachim Lang. Im Herbst 2024 startet „John Cranko“ in den Kinos, Lang ist ebenfalls Autor und Regisseur des Films. Viele Tanzfans freuen sich auf den ersten Spielfilm, der das spannende Leben des charismatischen Choreografen erzählt. Vor 50 Jahren ist der gebürtige Südafrikaner gestorben, der seit den 60ern ein weltweites Ballettwunder schuf, von dem Stuttgart noch heute profitiert – und der im Kulturleben der Stadt noch heute allgegenwärtig ist.

Während die Dreharbeiten mit Hollywood-Star Sam Riley in der Rolle des Ballettchefs an etlichen Originalschauplätzen in Stuttgart sichtbar für viele Menschen zum Stadtgespräch wurden, haben die produzierende Firma Zeitsprung und Lang für den Hitler-Film Verschwiegenheit verfügt. In den Verträgen des 100-köpfigen Teams stand, dass keiner der Beteiligten Einzelheiten zu dem Stoff und zu der Inszenierung nach außen veröffentlichen dürfe. Man befürchtete wohl, dass es Proteste geben könnte von jenen, die Dramen ablehnen, in denen Hitler im Mittelpunkt steht, aus der Sorge heraus, das Publikum könne sich mit dem Protagonisten identifizieren. Auch wollte man Rechtspopulisten nicht auf den Plan rufen. Erst Ende dieses Jahres wollen die Produzenten in Deutschland die Öffentlichkeit über den Film informieren, der für einen internationalen Markt bestimmt ist und für großes Aufsehen sorgen dürfte.

„The Guardian“ schreibt: Langs Ansatz ist „sehr gelungen“

Joachim Lang wollte in aller Ruhe in der Slowakei, fern von der Heimat, die schlimmsten Jahre in Deutschland aufarbeiten. In gewisser Weise war er auch dazu gezwungen, denn in Deutschland hatten sich die Filmförderungen – anders als beim Spielfilm über Cranko – zurückgehalten, weil sie es als ein zu großes Wagnis ansahen, den Diktator im Spielfilm zu zeigen und die Täter in den Mittelpunkt zu stellen. Das greift nun die britische Zeitung „The Guardian“ auf, die jetzt vorab über das Filmprojekt berichtet. In dem Text kritisiert die Zeitung die deutsche Zurückhaltung in Bezug auf den Film als falsch – und lobt Langs Ansatz als „sehr gelungen“.

„Ein Film für die Gegenwart“

Für Professor Thomas Weber von der University of Aberdeen, den historischen Berater des Autors, handelt es sich dabei um „einen Film für die Gegenwart“. Er lege die Gefahren und Mechanismen der Demagogie in Krisenzeiten offen, „indem er das Handwerkszeug von Goebbels, eines der größten Volksverführers der Geschichte, entschlüsselt“. Und Joachim Lang schreibt in seiner Director’s Note: „Dieser Film ist ein Wagnis, aber ein Wagnis, das unverzichtbar ist.“

Über ein Jahr liegen die Dreharbeiten zu „Führer und Verführer“ zurück. Der Film ist fertiggestellt. In Frankreich feiert die Zeitung „Le Figaro“ am vergangenen Montag den Versuch aus Deutschland als herausragend, hinter die Kulissen der Nazi-Diktatur zu blicken, abseits des bisher Gesehenen die Kriegstreiber zu durchleuchten. „Le Figaro“ bezeichnet den Film als „großes Werk“. Es sei eine Überraschung, dass innerhalb der Kunstform Film „so etwas heute gelingen kann“.

Oft werde, so schreibt „Le Figaro“, Hitler „als Karikatur dargestellt, holzschnittartig als Schreihals, der krank im Kopf war“. Dagegen zeige Lang, warum so viele Deutsche Hitler folgten, er kläre auf und mache einsichtig. Der Stuttgarter Autor lässt Hitler und Goebbels genau die Worte sprechen, die sie selbst gesagt haben, auf diese Weise will er sie entlarven. Mit Historikern und der Dramaturgin Sandra Maria Dujmovic hat er sehr lange an dem Projekt gearbeitet, Original-Dokumente verwendet, damit die Dialoge keine dichterische Freiheit sind, sondern stimmen.

Joachim Lang zeigt die Verbrecher als „Menschen aus Fleisch und Blut“ und erklärt: „Wir haben uns daran gewöhnt, die führenden Nazis ganz anders zu sehen, in einer Art und Weise, mit der wir uns bequem von ihnen distanzieren können: als plakative Dämonen und als eindimensionale Psychopathen.“ Erzählt wird beginnend im Jahr 1938 der Weg in den Krieg und in den Massenmord bis zum Ende im Führerbunker – doch der Film zielt in die Gegenwart. Weil Rechtspopulisten immer mehr Stimmen bei Wahlen erhielten und Verbrechen des Dritten Reichs verharmlost würden, halten die Macher von „Führer und Verführer“ die Beschäftigung mit der Vergangenheit für wichtiger denn je – gerade mit Blick auf autoritäre Regime und Politiker, die mit Fake News ihre Ziele zu erreichen versuchten.

„Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen“

Mit einem Satz des Auschwitz-Überlebenden Primo Levi beginnt und endet der Film: „Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen. Das ist der Kern dessen, was wir zu sagen haben.“

Für seinen Film hat Joachim Lang für die Hauptrollen Kinostars aus Österreich und Deutschland gewonnen: Fritz Karl spielt Hitler, Robert Stadlober ist als Goebbels und Franziska Weisz als Magda Goebbels zu sehen. Geschichtsthemen liegen dem 1959 geborenen Filmemacher, der für die ARD-Produktion „George“ (mit Götz George in der Rolle seines Vaters Heinrich George) den Deutschen Fernsehpreis erhielt, schon immer am Herzen.

Rechtsstreit mit dem SWR

Seit 1986 arbeitet Lang beim SDR und späteren SWR, er hat unter anderem den „Tigerentenclub“ erfunden. Für die Arbeit an seinen Spielfilmen nimmt er sich beim Sender stets unbezahlten Urlaub. Begeisterte Kritiken gab es auch für seine Produktion „Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“. Nachdem er einer Kollegin, die eine sexuelle Belästigung eines Direktors im SWR gemeldet hatte, als Zeuge beistand, begann ein Konflikt. Joachim Lang verlor seine Leitungsfunktion beim SWR und befindet sich im Rechtsstreit mit seinem Arbeitgeber. Lang gewann den Prozess und soll nun nach den in der Vergangenheit produzierten Filmen „Cranko“ und „Führer und Verführer“ laut der rechtskräftigen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts auch weitere Filme realisieren dürfen.

Der SWR hatte ihm die Vereinbarung über die Realisierung von Filmen nach Ansicht des Gerichts rechtswidrig gekündigt. Der SWR weigert sich laut der Gewerkschaft Verdi jedoch, das Urteil umzusetzen, weswegen Lang erneut vor Gericht ziehen wird.

Sein Traum ist ein Film über Jesus von Nazareth

An weiteren großen Filmstoffen ist der Dozent an der Filmakademie Baden-Württemberg dran. Sein Traum ist es, die Geschichte von Jesus von Nazareth auf die Leinwand zu bringen. Dafür hat er bereits ein langes Gespräch mit dem früheren Papst Benedikt in Rom geführt. Der „finale Cut“ ist inzwischen bei Langs Film „Cranko“ erfolgt. Die Reaktionen von den ersten fachkundigen Zuschauern „sind von Begeisterung geprägt“, sagt Lang.

Auch bei „Führer und Verführer“ gab es eine Sichtung mit Holocaust-Überlebenden. Ihr Urteil war den Machern des neuen Hitler-Films sehr wichtig. Nach dem Abspann habe, so wird berichtet, eine Überlebende einige Minuten gar nichts gesagt und sei ergriffen sitzen geblieben. Dann habe sie sich erhoben, sei zu Joachim Lang gegangen, um ihn zu umarmen und ihm zu gratulieren: „Der Film hätte vor 20 Jahren kommen sollen“, habe sie erklärt, „dann wäre uns einiges erspart geblieben“.

Mit anderen Worten: Dann wären sehr wahrscheinlich die rechten Kräfte in Deutschland nicht wieder so stark geworden.