Die fünfte Liga schweißt offenbar zusammen: Fans und Mannschaft der Stuttgarter Kickers bilden eine Einheit. Foto: Baumann/Julia Rahn

Schon dreimal hatten die Stuttgarter Kickers in dieser Oberligasaison mehr als 4000 Zuschauer in Stadion. Zu deutlich besseren sportlichen Zeiten als in Liga fünf beklagte der Verein dagegen einst das Phänomen, zwar viele Sympathien zu genießen, aber wenig Fans anzulocken. Eine Analyse.

Der legendäre Axel Dünnwald-Metzler (ADM) erzählte die Anekdote immer dann, wenn es galt, wieder einmal eine enttäuschende Zuschauerzahl der Stuttgarter Kickers zu erklären: „Mich hat mal einer gefragt, welche Marketingmaßnahmen wir mit Blick auf unser nächstes Heimspiel ergreifen wollen – nach unserem 4:1-Sieg beim FC Bayern!“ Nach diesem Sieg für die Geschichtsbücher in der Fußball-Bundesliga am 5. Oktober 1991 in München kamen eine Woche später ins damaligen Neckarstadion gerade mal 5500 Zuschauer gegen Fortuna Düsseldorf. Was der ehemalige, 2004 verstorbene Präsident der Blauen also sagen wollte: Die Kickers können tun und machen, was sie wollen, der Zustrom an Zuschauern stößt an natürliche Grenzen.

 

In dieser Oberligasaison ist das etwas anders. Beim Heimspiel an diesem Samstag (14 Uhr) gegen den FV Ravensburg könnte es – zumal in der Bundesliga nicht gespielt wird – erneut mehr als 4000 Zuschauer im Gazi-Stadion geben. Das war in der laufenden Runde schon bei den Spielen gegen den SSV Reutlingen (4150), den FSV 08 Bietigheim-Bissingen (4120) und den 1. CfR Pforzheim (4140) der Fall – und natürlich auch bei den DFB-Pokal-Highlights gegen die SpVgg Greuther Fürth (7280) und Eintracht Frankfurt (10 000).

Fan-Szene wächst

Woran die positive Resonanz liegt? Wenige können das besser einschätzen als Christian Steinle. Er ist nicht nur Aufsichtsratschef, sondern seit vielen Jahren als glühender Anhänger mit seiner Schwenkfahne im B-Block hautnah dran am Puls der Fans. „Die Kickers-Fan-Szene wächst, es bilden sich neue Gruppen. Vieles hat mit den Erfolgen und der dadurch entfachten Begeisterung zu tun, aber auch mit der Art und Weise, wie die Mannschaft im und nach dem Spiel auftritt. Wie sie die Nähe zu den Fans sucht, wie sie sich Zeit nimmt für ein Schwätzchen“, sagt Steinle und ergänzt mit einem Lächeln: „Ich sage meinen Söhnen immer, ihr müsst diese Aufstiegssaison aufsaugen wie einen Schwamm, davon werdet ihr viele Jahre zehren.“

Um dann womöglich wieder in der Regionalliga an einem kalten, verregneten Novemberabend als Tabellenzehnter gegen die TSG 1899 Hoffenheim II vor nur 2550 Zuschauer zu spielen? Das könne im Extremfall passieren, meint Steinle, doch er ist überzeugt davon, dass der Aufschwung anhält. Die Drittligazeit zwischen 2013 und 2016 macht ihm Hoffnung – als in der Hochphase unter Trainer Horst Steffen nach der Rückkehr aus dem Ausweichquartier an der Reutlinger Kreuzeiche ins modernisierte Gazi-Stadion 2014/2015 gegen den MSV Duisburg, Arminia Bielefeld und Dynamo Dresden jeweils über 8000 Zuschauer kamen.

„Aufregender Fußall“

„Das belegt, dass wir die Sympathisanten auch ins Stadion bekommen“, sagt Steinle. Davon ist auch Sportdirektor Marc Stein überzeugt: „Wir spielen aufregenden Fußball. Wir bieten den Fans Nähe, damit wir greifbar sind. Wir sind familiär, wir wollen versuchen, einfach wir selbst zu sein.“

Der ewige Kampf der Kickers um ihre Fans scheint auf einem guten Weg zu sein. Davon ist auch Ex-Kickers-Profi Ralf Vollmer überzeugt. „Die aktuellen Zahlen sind wirklich beachtlich, wir hatten dagegen sogar mal in der Bundesliga gegen Uerdingen nur 3700 Besucher“, erinnert er sich. Der ehemalige Torjäger und Sportdirektor kommt als Versicherungsexperte viel herum im Land. „Die Kickers waren immer ein Begriff in Deutschland, viele in der Region finden den Verein sehr sympathisch, nur die Leute kamen nicht in dem Ausmaß ins Stadion, wie der Club es verdient hätte.“

Vollmers Vergleich mit St. Pauli

Er hätte sich eine ähnliche Entwicklung gewünscht, wie sie der FC St. Pauli genommen hat. „Als wir dort spielten, hatten die auch nur 2500 bis 3000 Zuschauer, doch der Club hat es geschafft, aus einer Marke einen Kult zu machen“, sagt der 60-Jährige. Im Zuge der zunehmenden Ablehnung der Kommerzialisierung seien solche, etwas andere Clubs doch eine sympathische Alternative für die Fans, die Bier und Bratwurst bei Fußball pur noch mit Hartgeld zahlen wollen und nicht mit einer Arena-Card.

Kickers als Gegenpol

„Die WM in Katar hat den ganzen Trend noch verstärkt. Die Leute sind dem Big Business überdrüssig, ihnen geht es auf den Keks, wenn sie von Schlagersängerinnen bespaßt werden oder von 1000 Gewinnspielen genervt werden“, sagt Vollmer, „diese Sehnsucht nach einem Gegenpol spielt den Kickers in die Karten.“ Hinzu kommt, dass der Begriff Nähe auch auf die geografische Heimat der aktuellen Mannschaft zutrifft. „Bei uns gibt es kein Söldnertum, bei uns kommen die Spieler aus Stuttgart, Waiblingen, Backnang, Reutlingen, Göppingen oder Heidenheim“, sagt Steinle.

Wohin das alles führen soll? Zumindest wird damit gerechnet, dass die Kickers bei einem Sprung nach oben in der Regionalliga ihren aktuellen Zuschauerschnitt von knapp 3000 um bis zu 30 Prozent steigern können. Nur Namensbruder Offenbach würde in dieser Spielklasse dann noch mehr Fans zu seinen Heimspielen anlocken. Bis zur Marketingmaßnahme in Form eines 4:1 beim FC Bayern ist es aber noch ein sehr, sehr weiter Weg.