„Ich bin noch nie in meiner Karriere davongelaufen“, sagt Guido Buchwald, der Kickers-Sportchef. Foto: Pressefoto Baumann

Die Zerfallserscheinungen in der einst verschworenen Mannschaft setzen sich fort. Sportchef Guido Buchwald wird zur Zielscheibe der Kritik.

Stuttgart - Ralf Vollmer ist ein Blauer mit Herz und Leidenschaft. Bei Auswärtsspielen des Fußball-Drittligisten Stuttgarter Kickers sitzt der Ex-Kapitän und Ex-Manager oft im Trikot auf der Tribüne. Nach dem 0:1 gegen Borussia Dortmund II litt er Qualen: „Ich habe körperliche Schmerzen“, sagte Vollmer. Keinerlei positive Aspekte konnten aus dem ersten Spiel unter dem neuen Trainer Massimo Morales gezogen werden. Der Glaube an die Rettung schwindet. Das Erschreckende für Vollmer: „Mit der Mannschaft, die im ersten Saisondrittel mit herzerfrischendem Fußball viel Freude bereitete, hat dieses Team nichts mehr zu tun.“

 

Woran das liegt? Schon vor dem Rauswurf von Trainer Dirk Schuster lief nicht mehr alles rund. Danach schraubten sich die Kickers erst recht nach unten. Der tolle Geist einer verschworenen Gemeinschaft ging ohne den Aufstiegs-Trainer offenbar verloren. Die ohnehin limitierte Elf wirkt verunsichert, völlig ohne Selbstvertrauen – und besonders ernüchternd: Sie ließ in einem so vorentscheidenden Spiel wie gegen den BVB II die nötige Aggressivität vermissen.

Das alles gab nach der Partie auch Guido Buchwald zu denken. Kreidebleich und mit runterhängenden Mundwinkeln stand die Zielscheibe der Kritik in den Katakomben des Gazistadions. Die „Buchwald raus“-Rufe aus dem B-Block hatte der Weltmeister von 1990 noch in den Ohren. Damit konfrontiert, sagte der Sportchef im Kickers-Präsidium: „Ich habe es vernommen. Doch was sollen wir jetzt in Hektik verfallen. Nach der Saison werden wir sehen, wie es weitergeht.“ Soll heißen: Spätestens dann wird auch er seine sportfachlichen (Fehl-)Entscheidungen kritisch hinterfragen und seine Konsequenzen daraus ziehen. Doch schon jetzt hinzuwerfen ist für Buchwald kein Thema: „Ich bin noch nie in meiner Karriere davongelaufen.“

Nur noch ein Strohhalm bleibt

Vielleicht geschieht ja doch ein blaues Wunder. 18 Punkte sind noch zu vergeben. „Wir müssen irgendwie den Bock umstoßen und viermal gewinnen“, lautet die Rechnung von Stürmer Marco Grüttner. Wenn’s sportlich nicht klappen sollte, bleibt nur noch ein Strohhalm, um dem Absturz in die Regionalliga (wo es keinen Direktaufsteiger gibt) zu entgehen: der Lizenzentzug eines oder mehrerer Clubs. Kickers-Aufsichtsratschef Christian Dinkelacker hat schon mal laut gedacht: „Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und werden die Lizenz bestimmt bekommen.“ Andere Clubs gelten als Wackelkandidaten: der VfL Osnabrück, falls der Zweitliga-Aufstieg nicht gelingt, Alemannia Aachen und Kickers Offenbach. Der mit neun Millionen Euro verschuldete OFC benötigt bis Ende Mai dringend eine Geldspritze, um eine Insolvenz zu vermeiden.

Sollten alle Stricke reißen, steht für Dinkelacker dennoch fest: „Bei den Kickers würde weiter Fußball gespielt werden. Wir müssten einen Kassensturz machen und schauen, wie wir die fehlenden TV-Gelder kompensieren könnten.“ Ein Abstieg wäre ein gewaltiger Rückschlag für die wirtschaftliche Konsolidierung des Vereins und würde die sportliche Aufbauarbeit zerstören. Dass Guido Buchwald nach seinem Einstieg im Dezember 2010 auch viel Positives geleistet hat, macht den aktuellen Absturz für ihn umso bitterer.