Die gesamte Szenerie ist am Filmset nun auf gigantischen Monitoren sichtbar: Ein Tuskan Raider in der 2. Staffel der Serie „The Mandalorian“ Foto: imago images/Cinema Publishers Collection

„Star Wars“, „Star Trek“: Wenn Experten über digitale Bildwelten reden, geht es immer auch um die Zukunft der realen Welt. Neue Erkenntnisse hat aktuell die Stuttgarter Fachkonferenz FMX gebracht.

Stuttgart - Was hat virtuelle Filmproduktion mit dem Lebensalltag zu tun? Wann kommt die lange angekündigte „Augmented Reality“? Und was soll aus dem guten alten Kino werden? Antworten auf diese und weitere Fragen hat die Stuttgarter Fachkonferenz FMX gegeben, die auch als reine Online-Ausgabe mit starken Beiträgen aufwarten konnte.

 

1. Marken von gestern gestalten die Zukunft

Star Wars“ und „Star Trek“: Marken der späten 60er und späten 70er Jahre sind nach wie vor führend im Bewegtbild-Entertainment, nicht im Kino, wo der Sternenkrieg einst begann, sondern in Serien, der einstigen Startbahn der Enterprise. Insofern sind sie Symbole des Wandels – und der Ideenlosigkeit der Filmindustrie in Hollywood.

George Lucas hat das Effekt-Studios Industrial Light and Magic (ILM) 1975 für „Star Wars“ (1977) gegründet. Bei dieser FMX erklären zwölf (!) Spezialisten von ILM, wie die virtuelle Produktion der „Star Wars“-Serie „The Mandalorian“ funktioniert: Oft ist die gesamte Kulisse am Set auf Monitoren zu sehen und wandert mit dem Blick der Kamera, manchmal wird ein realer Orte mittels Monitoren etwa zum Raumschiffschrottplatz. Da könne niemand mehr sagen, „was real ist und was nicht“, erklärt der deutsche ILM-Mitarbeiter Enrico Damm.

Die Stuttgarter Studios Pixomondo und Mackevision, längst auf Augenhöhe mit ILM, haben die 3. Staffel der Serie „Star Trek: Discovery“ mitgestaltet: Aliens, Raumschiffe bis hin zum fotorealistischen Dreck auf der Oberfläche. Emanuel Fuchs von Mackevision bemüht gar die Theorie der relativistischen Längenkontraktion: Im FMX-Studio an der Ludwigsburger Filmakademie erklärt er, wie man ein Schiff in den Hangar im Innern eines anderen bekommt, obwohl es eigentlich gar nicht hineinpasst.

2. Kulissen für die Welt von morgen

Bei all dem geht es nicht nur um Fantasiewelten. Drei Fachleute erklären bei der FMX, wie sie für den Western „Neues aus der Welt“ texanische Städte des Jahres 1970 digital nachgebaut haben: das kolonial geprägte San Antonio, die Boomtown Dallas, das Holzhüttendorf Red River – akkurat nach historischen Stadtplänen und Bildern. Für David Finchers „Mank“ wurde für eine einzige Autofahrt der gesamte Wilshire Boulevard des Jahres 1934 wieder zum Leben erweckt, der von Downtown Los Angeles bis zum Pazifikstrand führt: Gary Oldman saß in einem stehenden Wagen, die Kulisse fuhr auf Monitoren daran vorbei.

Es dürfte nur ein Frage der Zeit sein, bis es solche Orte für alle gibt. Wenn die Menschheit fürs Klima ihre Reisegewohnheiten anpasst, könnte sie zumindest zwischen Monitoren nach Venedig, zum Mont St. Michel oder nach Stonehenge reisen, im kleinen Kreis, ohne Touristen und Abschrankungen – und ohne lästige VR-Brille.

3. Die Vorstufe: digitale Ergänzungen

Im Otto-Dix-Haus auf der Bodensee-Halbinsel Höri kann man schon lange auf einem Tablet Gemälde des Künstlers einfügen, wo an der Wand nur leere Rahmen sind. „Augmented Reality“ (AR) heißt die Technik, die schon lange Alltag sein müsste. Doch Smartphones verfügen nicht über genügend Rechenleistung, um komplexe Inhalte zu generieren, und die Positionierung dieser Inhalte im Raum ist ohne Rahmen schwierig.

Alex Jenkins, unter anderem beteiligt an dem AR-Waldrundgang „The Gruffalo Spotter“, glaubt, die höhere Datenrate des neuen Mobilfunkstandard 5G werde das Problem lösen. Die Rechenleistung könnte dann in einer Cloud stattfinden, Inhalte in Echtzeit aufs Telefon heruntergeladen werden. Jenkins’ FMX-Beispiel: Am Changdeokgung-Palast in Seoul, Teil des Unesco Welterbes, führt ein Haechi, ein koreanisches Mythenwesen, zielsicher übers Gelände, seine Laufwege sind via GPS abgesteckt. Virtuelle Portale und Türen geben Einblicke in frühere Pracht, das virtuelle Königspaar lädt zu Selfies ein. Sollte Jenkins Recht behalten, dürften die digitalen Ergänzungen bald sprießen. Telefone könnten dann auch Spazierwege illustrieren – oder Gelegenheits-Zuschauern im Stadion helfen, Fußballer zu identifizieren.

4. Den eigenen Sinnen ist nicht mehr zu trauen

Digitale Menschen gibt es schon seit einiger Zeit, in „Star Wars“-Filmen war die verstorbene Carrie Fisher in jung und in alt zu sehen. Nun sind künstliche Intelligenzen in der Lage, menschliche Stimmen perfekt zu imitieren: Bei der FMX zeigt ein Entwickler einen kurzen Redeausschnitt des früheren US-Präsidenten Barack Obama, dann spricht er in ein Mikrofon und klingt exakt wie dieser – mit allen Nuancen.

Wie das wird, wenn wir uns eines Tages als digitale Abbilder in virtuellen Realitäten (VR) treffen? Darüber diskutieren die VR-Entwicklerin Kathleen Cohen und Amy Jupiter, die Attraktionen für Vergnügungsparks baut. Jupiter: „Alle Menschen haben ihre heiligen Orte, Wälder und Tempel, jedes virtuelle Design muss das Ziel haben, ähnliche emotionale Bindungen zu ermöglichen.“ Cohen: „Da müssen Architekten mit an den Tisch. Und wer sitzt neben den Entwicklern künstlicher Intelligenzen? Psychologen, Anthropologen? In-Vitro-Eltern wollen einen musikalischen, sportlichen Akademiker. Wo bleiben da die Soft Skills, der Wunsch, das Kind möge ein guter Mensch sein?“ Jupiter: „Wie bringen wir jungen Menschen bei, soziale Kreaturen zu sein?“

5. Das Pop-up-Kino von morgen

Was der Effekt-Pionier Doug Trumbull bei der FMX erzählt hat, ist größtenteils bekannt – bekommt im Licht der Kinokrise aber neues Gewicht. Er hat als VFX-Supervisor Stanley Kubricks Meisterwerk „2001 – Odyssee im Weltraum“ mit erschaffen und beklagt, dass die frühere Suche nach dem größtmöglichen Kinoerlebnis – Cinerama, 70 Millimeter – großer Ambitionslosigkeit gewichen ist. „Die Bildfrequenz wurde 1927 von 16 auf 24 Bilder pro Sekunde erhöht, um die Tonspur fassen zu können – das ist bis heute der Standard“, sagt er. „24 Bilder sind aber nicht genug, schnelle Action wird da oft unscharf und verschwimmt.“

Trumbull forscht seit 50 Jahren am perfekten Kinoerlebnis und hat nun eine Lösung parat, die perfekt in die Zeit passt: Ein mobiler, runder Container namens Magi Pod soll 40 Zuschauern vor stark gebogener Leinwand ein ungekanntes immersives Erlebnis bieten mit 3D-Projektion, 4K-Auflösung und 120 Bildern pro Sekunde. Das dürfte für Messen, Museen und historische Stätten interessant sein und könnte dem kriselnden Kino den Nimbus des besonderen Erlebnisses zurückbringen. Und nicht nur das: Unabhängig von völlig entgleisten Mietpreisen wäre mobiles Kino künftig als Pop-up immer dort möglich, wo sich gerade temporär Leerflächen anbieten.