Robert Robinson in „Black Breath“ von Marco Goecke. Foto: Stuttgarter Ballett

Er hat den Krabat getanzt und sah ziemlich gut aus in Marco Goeckes jüngstem Stück „Black Breath“. Der britische Tänzer Robert Robinson ist erst 20 Jahre alt und hat schon Großes erreicht. Nun geht er mit einem Tanzprojekt raus in die Off-Szene.

Stuttgart - Ein Jahr erst? Robert Robinson hat seine Karriere als Gruppentänzer beim Stuttgarter Ballett eben erst begonnen. Und doch fühlt es sich an, als gehöre der junge, hochgewachsene Brite schon viel länger dazu. Ob es daran liegt, dass er das hat, was John Cranko einst lapidar als „it“ bezeichnete, das gewisse Etwas, das einer Bühnenpräsenz eine besondere Aura gibt und Blicke bannen kann? Bestimmt auch daran, dass Robert Robinson häufig zu sehen war: In Marco Goeckes jüngstem Stuttgarter Werk „Black Breath“ wirkte er mit, auch die Hauptrolle von „Krabat“ hat er getanzt.

Der 20-Jährige ist selbst erstaunt über diesen Weg. „Ja, das war ein tolles Jahr. Ich hätte nie gedacht, dass ich so schnell und so oft auf der Bühne sein würde“, sagt er. Wenn er dann erzählt, wie sich jeden Morgen vor dem Schwarzen Brett der Kompanie beim Blick auf Besetzungslisten und Probenpläne Schicksale entscheiden, ahnt man, dass einem ein hellwacher, feinfühliger Charakter gegenübersitzt. „Alle suchen ihren Namen und es ist ein harter Moment, wenn er nicht da ist“, sagt Robinson, wissend, dass das eigene Glück immer einen Preis hat.

Genug zu tanzen hatte der Brite in der aktuellen Saison mit Sicherheit. Aber er wirkt wie einer, dem auch jenseits des Ballettsaals nicht langweilig werden würde. Offen für alles, daher von einnehmender Nervosität in der Grundstimmung: Robert Robinson ist ein Künstler, der vibriert vor Neugierde, der ausprobieren will – sich, seine Kunst, ihre Dialogfähigkeit mit der Gegenwart, mit anderen Künsten. Mit seinem Kollegen Alexander Mc Gowan hat er AOF erfunden, einen You-Tube-Channel, der unter dem Titel AcademyOfFresh mit verschiedenen Tanzstilen experimentieren will.

„Als Künstler will ich viel geben – nicht nur hier drin, sondern auch draußen“

Dieser Neugierde ist nun auch „Slam“ zu verdanken, ein Zusammenspiel mit Lichtkünstlern und Architekten, für das sich Robert Robinson mit einem Kollegen, dem Choreografen Louis Stiens, aus dem geschützten Raum des Stuttgarter Balletts in die Off-Szene hinauswagt. Am Samstag ist Premiere im Projektraum Lotte, einem einstigen Blumengeschäft in der Willy-Brandt-Straße. „Der Raum liegt auf meinem Weg und ich habe mit Louis Stiens im Vorbeilaufen darüber gesprochen, wie interessant ich es fände, hier etwas zu machen – ohne den Apparat und die Sicherheit des Stuttgarter Balletts“, sagt Robert Robinson. „Hier sind wir immer so nah dran am Ballett, dass wir anderes aus dem Blick verlieren. Nun will ich eine neue Ebene ausprobieren. Als Künstler will ich viel geben – nicht nur hier drin, sondern auch draußen.“

Mit der Grenze zwischen Drinnen und Draußen spielt auch „Slam“. An das Zuschlagen einer Tür erinnert der Titel der kurzen, von Louis Stiens choreografierten Tanzintervention, die die Zuschauer nur von außen durchs Schaufenster miterleben können. In einem minimalistischen Setting soll der Tanz unmittelbare Gefühle einbringen, beschreibt Robinson. „Dieser Raum mit dem Publikum davor fühlt sich für mich an wie eine Gefängniszelle. Auch in unserem Leben geht es darum, mit Einschränkungen klarzukommen. Jeder hat sein persönliches Gefängnis, in das er sich eingesperrt fühlt“, sagt Robinson und freut sich auf ein neues, unbekanntes Publikum.

Ob auch Robert Robinson ein inneres Gefängnis hat? Vielleicht die persönliche Sicht auf den eigenen Körper, den er gerne kräftiger hätte, muskulöser, näher an einer klassischen Linie, die staunen macht. „Ich arbeite jeden Tag daran, besser und besser zu werden. Ich nehme jeden Morgen als neue Chance“, sagt er und weiß doch auch, dass Kunst eine subjektive Sache ist. Denn wer den jungen Tänzer in der Rolle des Krabat erleben durfte, der sah ein perfektes Zusammenspiel von Intention und Umsetzung.

„Auch ich musste als Ballettschüler früh ohne Eltern auskommen“

Willig folgt man Robinsons Krabat bei der Entwicklung vom verlorenen Waisenjungen zum jungen Mann, der erkennt, dass nicht alles so ist, wie es scheint. „Diese Rolle war für mich auf eine bestimmte Art leicht, da ich selbst wie Krabat fühle“, sagt er. „Auch ich musste als Ballettschüler früh ohne Eltern auskommen und wäre während der Ausbildung ohne Freunde verloren gewesen; auch ich muss jeden Tag stärker werden, auch ich stelle meinen Weg in Frage.“ Das alles, meint Robinson, mache ihn zur Person, die er heute sei. Zu einem Tänzer jedenfalls, der in seiner Zerbrechlichkeit anrührend wirkt. Zu einem Künstler, der sich mitteilen will „Ich möchte dem Publikum etwas geben. Es wäre furchtbar, wenn jemand nach Hause geht und vergisst, was er gesehen hat.“

Die Auftritte Robinsons vergessen? Tatsächlich nicht so leicht. In „Black Breath“ eignete er sich die vibrierenden Bewegungen Goeckes mit großer Intensität an. Schwierig sei dieses Vokabular nur umzusetzen, sagt der Tänzer, „wenn man es zugleich gut und so machen will, dass es anders aussieht als bei den anderen“. Es ganz anders machen als erwartet: Dieser Wunsch brachte den britischen Ballettschüler von Birmingham nicht wie viele andere nach London, sondern nach Stuttgart, wo er drei Jahre lang die John-Cranko-Schule besuchte.

Wer Robert Robinson tanzen sieht, sieht, dass da einer an seinen Träumen arbeitet. „Meine Kollegen sagen, ich sei zu ehrgeizig. Aber wieso sollte ich realistisch sein, wenn das bisher alles wahr wurde“, sagt der Tänzer, der sich noch wie heute als Neunjährigen im Auto sitzen sieht. Jeden Samstag fuhren ihn seine Eltern von der Isle of Wight nach London zum Extra-Unterricht in die Royal Ballet-School, drei Stunden hin, drei Stunden zurück. „Ich bin wahnsinnig glücklich, in Stuttgart angekommen zu sein und das Verständnis eines Intendanten zu haben, der junge Tänzer wie mich dabei unterstützt, sich auszuprobieren.“

„Slam“ hat an diesem Samstag um 21 Uhr Premiere im Projektraum Lotte.de (Willy-Brandt-Straße 18) und ist am Sonntag um 18 und 21 Uhr zu erleben. Weitere Vorstellungen gibt es bis zum 8. Juli.