Trost vom Sieger: Jahn Jesus Lara Perez (Rhein Fire/oben) kümmert sich um den tief enttäuschten Chad-Adri Walrond (Stuttgart Surge). Foto: Baumann/Julia Rahn

Die Footballer von Stuttgart Surge haben zwar das Halbfinale der Play-offs gegen Rhein Fire unglücklich verloren, nicht aber ihren Ehrgeiz: Das neue Ziel lautet, 2025 Meister der ELF zu werden.

Am späten Sonntagabend, als das Drama im Dauerregen ausführlichst besprochen war und sich die Mannschaft im VIP-Raum des Gazi-Stadions von Sponsoren, Freunden und Mitarbeitern verabschiedet hatte, machte sich Suni Musa auf in eine Bar im Heusteigviertel. Der Geschäftsführer von Stuttgart Surge brauchte Zeit für sich alleine, um verarbeiten zu können, was im denkwürdigen Play-off-Halbfinale der European League of Football (ELF) gegen Rhein Fire passiert war. Und was nicht. „Wir hatten es in der eigenen Hand, erneut ins Finale einzuziehen“, sagte Suni Musa, „ich musste mich ein bisschen selbst bemitleiden.“

Am Tag danach ist der Kopf dann wieder klar gewesen. Trotz aller Enttäuschung über die 23:29-Niederlage nach Verlängerung ging der Blick von Suni Musa und seinem Cheftrainer nach vorne. „So auszuscheiden tut sehr, sehr weh, und es wird auch noch lange schmerzen“, erklärte Jordan Neuman, „zugleich haben wir gezeigt, dass wir über das Mindset verfügen, den Titel zu holen. Es gibt für uns in der nächsten Saison kein anderes Ziel – das ist hundertprozentig sicher.“

Stuttgart Surge leistet sich zu viele grobe Schnitzer

Nahe dran war Stuttgart Surge schon in diesem Jahr. In der Hauptrunde gab es nur eine Niederlage, und im Halbfinale sah das Team beim Stand von 23:13 vier Minuten vor dem Ende aus wie der sichere Sieger. Bis ausgerechnet der Spieler zum Pechvogel wurde, der das Team zwei Jahre lang herausragend geführt hatte. Zwei Pässe von Quarterback Reilly Hennessey wurden abgefangen: einer kurz vor Ende durch Omari Williams, einer in der Verlängerung durch Till Janssen, der als wichtigster Spieler der Partie ausgezeichnet wurde. Den ersten Ballverlust nutzten die Gäste Sekunden vor dem Ablaufen der Uhr zum 23:23-Ausgleich, den zweiten zum finalen Touchdown. Auf die Frage, was seinem Team gefehlt habe, antwortete Neuman: „Wir haben zu viele Fehler gemacht, und dabei ging es nicht nur um Kleinigkeiten.“

Einen Vorwurf machte Reilly Hennessey trotzdem niemand. Der Coach meinte, dass die beiden Szenen „absolut untypisch“ für den Quarterback gewesen seien. Diese These wird durch die Statistik gestützt: In der Hauptrunde waren Reilly Hennessey in zwölf Spielen lediglich fünf Interceptions unterlaufen. Auch deshalb hob Suni Musa hervor, wie „hochprofessionell, ultra clever und entscheidungssicher“ der US-Amerikaner zwei Jahre lang gespielt habe: „Letztlich hat er das Momentum aus der Hand gegeben. Dieser Abschluss tut mir unendlich leid für ihn.“

Das letzte Spiel von Reilly Hennessey

Reilly Hennessey (28), der seine Karriere eigentlich schon vor einem Jahr beenden wollte, dann aber doch noch einmal nach Stuttgart zurückkehrte, hat am Sonntag das Surge-Trikot zum letzten Mal getragen – umso bitterer war das Aus für ihn persönlich. Zumal es der Offensive in der gesamten zweiten Hälfte nicht gelungen war, die vielen Chancen, die ihnen die aufopferungsvoll kämpfende Abwehr verschafft hatte, zu nutzen – unter anderem verbuchte die Stuttgarter Verteidigung zwei Quarterback-Sacks sowie weitere sieben Tackles mit einem Raumverlust für Rhein Fire. Doch der Surge-Angriff kam im dritten und vierten Viertel nur noch auf drei Zähler, der Touchdown, der die Partie entschieden hätte, wollte einfach nicht gelingen. „Wir müssen jetzt analysieren, was uns gefehlt hat – Qualität war es sicherlich nicht“, meinte Suni Musa, „letztlich ging es um Nuancen, vielleicht um etwas mehr Schlitzohrigkeit und den einen oder anderen psychologischen Aspekt.“

Jordan Neuman sieht das ganz ähnlich, und trotzdem muss zuerst die wichtigste Position neu besetzt werden: Einen oder zwei Quarterbacks, die in der ELF spielen, könnte sich der Surge-Trainer als Anführer seines Teams vorstellen. Wenn das nicht klappt? „Dann gibt es in den USA genügend Kandidaten“, sagte Neuman, „die Schwierigkeit wird sein, den zu finden, der eine ähnlich hohe Qualität hat wie Reilly Hennessey und auch charakterlich zu uns passt.“

Den Kader noch ein bisschen stärker machen

Die Gespräche mit dem derzeitigen Team werden noch diese Woche anlaufen, das Ziel hat Geschäftsführer Musa klar definiert: „Wir haben sehr viele junge Spieler, ein Großteil von ihnen kommt aus der Region. Wir setzen auf Kontinuität. Ich gehe davon aus, dass wir mindestens 80 Prozent von ihnen in Stuttgart wiedersehen werden.“ Damit wäre auch Chefcoach Neuman zufrieden. „Diese Jungs haben enorm hart gearbeitet, stets an sich geglaubt und gezeigt, dass sie in der Lage sind, die Meisterschaft zu gewinnen – wir haben es lediglich verpasst, den Sieg gegen Rhein Fire nach Hause zu bringen“, sagte er, „nun geht es darum, den Kader an der einen oder anderen Stelle noch ein bisschen stärker zu machen.“

Damit Suni Musa am Ende der nächsten Saison nicht wieder alleine in einer Bar sitzen muss. Sondern gemeinsam mit dem Team eine große Fete feiern kann.