Ein Polizeiauto steht nach den schweren Ausschreitungen in der Nacht zum Sonntag in der Innenstadt. Foto: dpa

Hunderte junge Menschen gehen mit Steinen und Flaschen auf Polizisten los. Geschäfte beschädigt und geplündert.

Stuttgart - Stuttgart galt immer als eine der sichersten Landeshauptstädte. Mit den nächtlichen Ausschreitungen in der City wackelt dieser Ruf. Betroffene sind fassungslos.

Menschen, die mit Pflastersteinen Scheiben einwerfen, Polizisten angreifen sowie Handys und Schmuck mitgehen lassen - diese Szenen kennt man aus Stuttgart eigentlich nicht. Dass es in der Landeshauptstadt in der Nacht zum Sonntag trotzdem derartige Ausschreitungen gibt, irritiert und schockiert. Das Bild eines Randalierers der einen Polizisten mit voller Wucht anspringt und ihn so zu Fall bringt, zeigt die Hemmungslosigkeit gegenüber den Beamten.

Deren Chefs zeigen sich fassungslos angesichts der Gewalt. "Ich bin seit 30 Jahren Beamter und habe schon einiges erlebt, aber solche Szenen hat es in Stuttgart noch nie gegeben", sagt Polizeivizepräsident Thomas Berger am Sonntagnachmittag in Stuttgart.

Mit Steinen und Flaschen gegen Polizisten

Rund 280 seiner Kollegen hatten in der Nacht zum Sonntag versucht - ausgerüstet mit Schutzschilden - der Gewalt von bis zu 500 Menschen Einhalt zu gebieten. Auslöser der Randale, an der sich Jugendliche und Heranwachsende beteiligt haben, war die Kontrolle eines 17-Jährigen wegen eines Drogendelikts. Mit dem Kontrollierten solidarisierten sich laut Polizei sofort bis zu 300 Mitglieder der Partyszene, die mit Steinen und Flaschen gegen die Beamten vorgingen.

Anfänglich habe man die Situation nicht im Griff gehabt, räumt Berger ein, der den nächtlichen Einsatz leitete. Dabei hatte er bereits mit 200 Beamten vorsorglich doppelt so viele Polizisten an dem Abend eingeplant. 80 weitere Kollegen mussten aus dem Umland hinzu beordert werden.

Alle Festgenommenen sind unter 21 Jahre alt

Die erste Bilanz des Gewaltausbruchs: 24 Festnahmen, 19 verletzte Polizisten, 40 beschädigte oder geplünderte Läden und zwölf demolierte Polizeifahrzeuge. Den Festgenommenen - alle unter 21 Jahre - könnten Widerstand gegen Beamte, Körperverletzung bis hin zu schwerem Landfriedensbruch vorgeworfen werden.

Am Morgen nach den gewalttätigen Auseinandersetzungen genießen Menschen auf dem Stuttgarter Schlossplatz die Sonne, trinken ihren Kaffee oder drehen ihre Joggingrunden. Wenige Meter davon entfernt steht der immer noch fassungslose Leiter eines Handygeschäfts, Eyob Russom, vor einem Scherbenhaufen. In seinem Shop an der Haupteinkaufsmeile Königstraße liegen herausgerissene Pflastersteine, viele Handys sind verschwunden. Im Laden nimmt die Spurensicherung den Schaden unter die Lupe. Russom sagt: "Traurig, dass so etwas passiert ist." Er habe sich so etwas in Stuttgart nicht vorstellen können.

Geschäfte beschädigt und geplündert

Punktuell und wahllos sind Geschäfte beschädigt und geplündert: eine Eisdiele, die Filiale einer Fast-Food-Kette, ein Ein-Euro-Shop. Bei einem Sportschuhgeschäft verhinderte Sicherheitsglas Schlimmeres. Einen Juwelier hat es besonders getroffen: Hinter den Spanplatten vor der Auslage herrscht gähnende Leere. Der Goldschmuck ist gestohlen worden. Vor einem benachbarten Shopping-Center ist eine zwölfköpfige Truppe des Technischen Hilfswerks mit der sogenannten Eigentumssicherung beschäftigt. Die Männer befestigen zwei Spanplatten an dem zerstörten Eingang in die Mall.

Ein Passant, der in der Nacht unterwegs war, berichtet, dass es sich bei den Randalierern um sehr junge Menschen zwischen 16 und 20 Jahren gehandelt habe. Das bestätigt ein Paar aus Frankfurt: Am Samstagabend sei zu beobachten gewesen, dass sich auffällig viele junge Menschen am zentralen Schlossplatz aufhielten. Eigentlich habe die Stimmung mit Musik und Tanz noch entspannt gewirkt, sagen die Touristen. Die spätere Eskalation habe man da noch nicht ahnen können.

OB spricht von Grenzüberschreitung

Der Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) spricht von einer Grenzüberschreitung, die die schönen Sommernächte in der Stadt gefährde - da gebe es auch keine Rechtfertigung durch Alkoholkonsum, das Bedürfnis auf Youtube aufzutauchen oder durch die Corona-Beschränkungen angestaute aggressive Partylaune. "Es darf keine rechtsfreien Räume in Stuttgart geben." Seit dem früheren Oberbürgermeister Manfred Rommel (CDU) sei die Stadt von Weltoffenheit geprägt. Die Polizei sei bürgernah und deeskalierend unterwegs - von Rassismus keine Spur, betonte der Grünen-Politiker. "Da ist unsere Liberalität angegriffen worden - die sollten wir verteidigen."