Wenn es Nacht wird, ist der Bismarckturm fest in der Hand von Jugendlichen. Foto: Max Kovalenko

Die Anwohner am Stuttgarter Bismarckturm sorgen sich am Wochenende um ihre Sicherheit. Am Aussichtspunkt treffen die verschiedensten Gruppen aufeinander – nicht immer in friedlicher Absicht. Ein Besuch bei den Jugendlichen am Kräherwald.

Stuttgart - An den prachtvollen Häusern stehen nur die Initialen der Anwohner. Der Blick auf die Stuttgarter Innenstadt ist malerisch. Und auch die Ruhe macht die Gegend um den Bismarckturm zu einer der teureren in Stuttgart. Meistens zumindest. Freitagabends, wenn die glühend rote Sonne über dem Kräherwald untergeht, treffen sich die Jugendlichen zum sogenannten Vorglühen, bevor sie in die Clubs der Stadt weiterziehen. Vielen Anwohnern ist das ein Dorn im Auge.

„Ein Unding!“, poltert Dieter Schwarz, der in der Kräherwaldstraße wohnt. „Es ist nicht nur der Lärm, die Jugendlichen hinterlassen Glasscherben, in die Hunde reintreten können.“ Auf einem Waldweg zwischen der Kräherwaldstraße und dem Bismarckturm liegt eine Chipstüte. Unter den Parkbänken am Turm liegen Glasscherben von einer zerbrochenen Flasche.

Olli aus Stuttgart ist häufig am Bismarckturm, genießt die Abendsonne und sieht die Situation dort relativ entspannt. „Letzte Woche stand ein zerbrochenes Sektglas auf dem Geländer“, sagt er. Das sei weder für die Hunde noch für die Passanten gefährlich.

Einer der Jugendlichen, der sich Rohad nennt, schimpft: „Das sich die Leute an uns stören ist mir doch egal – die Stadt ist groß genug, und die können mit ihren Hunden auch woanders hingehen.“ Wie alt er ist, sagt er nicht. Wie das Dutzend anderer Jugendlicher ist er aber 16, 17 oder 18 Jahre alt. „Jetzt habe ich Ferien, und danach weiß ich auch nicht, was ich machen soll“, sagt er. Die Hauptschule hat er gerade hinter sich. Seit zwei Monaten beginnt er seine Freitagabende am Bismarckturm. Dort trifft er sich mit Freunden und trinkt mit ihnen, bevor die eigentlichen Partys in der Stadt starten.

Zu zweit zum Kiffen in den Wald

Auf den ersten Blick sieht Rohad mit seinem schwarzen T-Shirt, der Camouflage-Weste und der umgekehrten Baseball-Kappe wenig bedrohlich aus. Immer wieder gehen Jugendliche an diesem Abend zu zweit zum Kiffen in den Wald. Auch dabei tun sie niemandem etwas. Auch die Wodkaflasche, in der noch eine Handbreit drin ist, schadet eher den Jugendlichen als Unbeteiligten. Bedrohlich wirkt erst das, was Rohad erzählt. „Bis vor drei Wochen hingen wir hier noch in größeren Gruppen rum. Das waren 40 Deutsche, 30 Schwarze und 40 von uns Kanaken.“ Kanaken? „Das bedeutet Mensch, und so nennen wir Ausländer uns. Es geht dabei mehr so um den Stil, in dem wir uns kleiden.“

Die Jugendlichen formieren sich in Gruppen und sagen selbst, das sei ein wenig so wie in den USA in den 1980ern. „Aber nicht mit den gleichen Verpflichtungen wie in den Gangs“, erklärt Rohad, „wir sind freier.“ Handys abziehen, Alkoholexzesse und Gewalt sind trotzdem Alltag, wie Rohad erzählt. So wie vor drei Wochen. „Einer unserer Freunde hat einem Deutschen das Handy geklaut, und der hat ihn verpetzt.“ Die Polizei kontrollierte den Jugendlichen, der gerade per Blitzentlassung aus Stammheim nach Hause geschickt worden war. Er floh, versteckte sich hinter seinen Freunden, die auf die Polizisten einprügelten. „Die haben dann Verstärkung gerufen, sieben bis acht Kastenwagen“, erzählt Rohad.

Auch in der Nachbarschaft haben die Anwohner das mitbekommen. „Die Jugendlichen sind dann über die Vorgärten der Anwohner geflohen“, sagt Dieter Schwarz. Seither sei es etwas ruhiger geworden. „Heute ist kaum etwas los, aber das kann auch an den Ferien liegen.“

Stadt muss am Turm saubermachen

Olef Petersen von der Stuttgarter Polizei erklärt, dass nicht nur der Bismarckturm ein beliebter Treffpunkt von Jugendlichen ist. „Im Tal der Rosen im Höhenpark, in Untertürkheim oder am Max-Eyth-See ist genauso viel los.“ Allerdings gibt er zu, dass die Situation am Bismarckturm sich verschlimmert hat. „Mittlerweile haben wir diese Stelle explizit ins Brennpunktkonzept aufgenommen. Die Kollegen sind dort präsent.“ Spätestens seit dem Großeinsatz vor drei Wochen sind die Jugendlichen abgeschreckt und kommen nicht mehr so oft an den Wochenendabenden vorbei. Höchstens 15 sind es an diesem Freitagabend. Scherben hinterlassen sie trotzdem. „Es ist aber nicht verboten, dass sie dort sind. Für die Reinigung ist die Stadt zuständig“, sagt Polizist Petersen.

Hans-Christian Wieder, der Türmerobmann, ist für den Bismarckturm zuständig. „Eine halbe bis Dreiviertelstunde brauchen wir jeden Samstag, um den Müll wieder wegzubekommen“, sagt er. In den vergangenen Wochen sei es besser geworden. Das Stadtreinigungsamt und das Amt für Abfallwirtschaft seien involviert. „Außerdem habe ich den Polizisten klargemacht, dass das nicht mein Turm ist, sondern auch ihr Turm. Und man weiß, wie man mit seinem Eigentum umzugehen hat.“ Nicht jeder weiß das. Rohad und die anderen Jugendlichen haben zumindest einen etwas eigenen Begriff von Eigentum. „Sehen Sie mal, was ich im Kaufhof geklaut habe“, sagt er und kramt etwas aus seiner Bauchgürteltasche. Ein daumengroßer Drache, der, aufgezogen an einem kleinen Rädchen, Rückwärtssaltos macht. Er stellt ihn auf den Sockel des Turms. Während er einen Schluck aus der Flasche nimmt, sieht er ihm beim Hüpfen zu.