Das Hallenbad in Feuerbach wird ab Januar 2016 für elf Millionen Euro saniert. Die Forderung war auch im Bürgerhaushalt erhoben worden. Foto: Bäderbetriebe Stuttgart

Seit 2011 gibt es in Stuttgart den Bürgerhaushalt. Der Begriff erweckt den Eindruck, Bürger könnten tatsächlich über die 2,5 Milliarden Euro bestimmen, die jährlich im Ergebnis- und Finanzhaushalt bewegt werden. Das ist nicht der Fall. Aber für gut organisierte Interessengruppen gibt es Spielraum.

Stuttgart - Der Bürgerhaushalt erfährt in der Landeshauptstadt nach der politischen Sommerpause seine dritte Auflage. Spätestens am 22. Oktober müssen sich die Fraktionen des Gemeinderats bei der Haushaltsaussprache positionieren. Die Wunschliste umfasst 130 Punkte. Das Zepter führen hier weiter der Gemeinderat und Finanzbürgermeister Michael Föll (CDU).

Wer genügend Stimmen zusammenbringt, kann über den Bürgerhaushalt seine Wünsche platzieren. So zeigte 2011 der Einsatz für das Sillenbucher Freibad Wirkung. Das kleinste Bad Stuttgarts wurde durch rege Vereins- und Stadtteilarbeit in der Prioritätenliste des Bürgerhaushalts nach oben gespült und im Doppelhaushalt 2012/2013 berücksichtigt. Für 1,71 Millionen Euro wurde das Bädle grundlegend saniert und erhielt ein separates Kinderplanschbecken.

Den Mechanismus, durch viele Klicks (www.stuttgart.de/buergerhaushalt) die eigenen Wünsche in die Debatte zu bringen, haben in diesem Jahr vor allem große Schulen und erneut Sportvereine perfekt genutzt. Unter den ersten zehn der 130 mit der höchsten Punktzahl bewerteten Vorschläge besetzen Schulen gleich vier Plätze. „Man kann davon ausgehen, dass die Chancen auf Umsetzung größer sind, wenn die Themen unter den ersten zehn rangieren, der politische Druck wird dann größer“, sagt Bernhard Schwaderer, Leiter der Haushaltsabteilung in der Stadtkämmerei.

Schulen und Sportvereine stehen auf der Liste ganz vorne

Zähle man alle Wünsche zusammen, komme schnell ein dreistelliger Millionenbetrag zusammen. Zwar wird jeder Wunsch von einer Fachabteilung im Rathaus wenn möglich auch finanziell bewertet. Ohne Voruntersuchung ist das aber oft nicht möglich.

„Für unsere Stadt gut“, diese Rubrik klickten bei der Forderung nach neuen Physik- und Chemieräumen im Königin-Charlotte-Gymnasium 4863 Bürger. Das reichte zum Spitzenplatz. Die Forderung der Schüler und Eltern ist allerdings nicht ganz neu. Hochbauamt und Schulverwaltungsamt haben in dem Gymnasium bereits einen ersten Bauabschnitt zur Sanierung und Umstrukturierung der naturwissenschaftlichen Räume entwickelt. „Die Verwaltung wird die notwendigen investiven Mittel zum Doppelhaushalt 2016/2017 anmelden“, heißt es daher in der obligatorischen Stellungnahme. War der Einsatz also unnötig? „Oftmals nimmt der Bürger Beschlüsse nicht wahr, weil er noch nichts sieht“, sagt Schwaderer. Andererseits dauert es oft Jahre, bis bekannte Missstände durch einen Investitionsposten im Doppelhaushalt abgestellt werden.

Beschlossen ist für das Königin-Charlotte-Gymnasium noch nichts. Denn einen Finanzbedarf anzumelden bedeutet noch nicht, das der Posten in den Haushalt findet. Erst muss er die interne Ämter- und Bürgermeisterrunde im Rathaus überleben, dann auch vom Gemeinderat befürwortet werden. Der Merkposten, den das Gymnasium für allen Beteiligten im Bürgerhaushalt notiert hat, ist jedenfalls unübersehbar. Das gilt auch für weitere Themen ganz oben auf der Liste.

Auf Platz zwei steht die Sanierung des Hallenbades in Bad Cannstatt. Eigentlich ist dessen Schließung absehbar, denn Verwaltung und Gemeinderat haben sich längst zum Bau eines neuen Sportbades an der Mercedesstraße im Neckarpark entschlossen. Neben einem 50-Meter-Sportbecken wird es in der Halle auch ein kleineres Becken geben, welches das marode Hallenbad ersetzt. „Den Wunsch nach der Sanierung des alten Hallenbades muss der Gemeinderat in der Gesamtabwägung werten“, formuliert Schwaderer diplomatisch. Die Forderung scheint aussichtslos.

Forderung nach neuen Stellen wird strikt abgelehnt

Ähnlich gering sind die Erfolgsaussichten für jene, die 1778 Stimmen für einen kompletten Neubau des Geschwister-Scholl-Gymnasiums in Sillenbuch mobilisieren konnten. Der wurde von der Verwaltung längst ad acta gelegt. „Auf Grund eines fehlenden Grundstücks für eine Auslagerung der Schule während eines Neubaus sowie den zu erwartenden hohen Interimskosten kann nur die Planung einer Generalsanierung des Bestandsgebäudes mit einer Erweiterung weiterverfolgt werden“, heißt es in der Stellungnahme. Durch ist auch die Forderung nach dem Neubau einer Mensa die Schulen in Plieningen (Platz 3). Sie wird kommen, allerdings geht er Streit noch um die richtige Lage auf dem Gelände des Paracelsus-Gymnasiums.

Auf strikte Ablehnung der Verwaltung trifft die Forderung nach gleich 22 neuen Stellen für die Jugendfarmen und Abenteuerspeilplätze. Sie seien für weitere Entwicklungsschritte „ausreichend ausgestattet“. Ob der Gemeinderat das am 22. Oktober auch so sieht? „Er muss dem Bürger rückkoppeln, dass er es ernst meint mit dem Bürgerhaushalt“, sagt Schwaderer, „also das eine oder anderer aufgreifen“.