Fässer mit Wasserstoffperoxid, wie sie die Sauerlandgruppe verwendete. Foto: Hollemann

Vor zehn Jahren: Fahnder nehmen Sauerlandgruppe hoch. Sprengstoff in Garage in Wittlensweiler deponiert.

Stuttgart/Freudenstadt - Ein blutiges Fanal war geplant: Zeitgleich sollten in Kaufhäusern, Bars und Restaurants in Berlin, Düsseldorf, Köln, München oder Stuttgart Sprengsätze explodieren. Flohen die Menschen dann, wollten der Ulmer Fritz Gelowicz, der Saarländer Daniel Schneider und der Hesse Adem Yilmaz Autobomben sprengen. Mitten unter den Fliehenden und den ihnen zur Hilfe eilenden Erstrettern. Am 11. September 2007 – so der Plan der Islamisten – sollten die Bomben detonieren. Auf den Tag sechs Jahre nach den Anschlägen in den USA. Doch die Terroristen wurden sieben Tage vorher in Oberschledorn im Sauerland festgenommen.

Auf die Schliche waren die Fahnder der Sauerlandgruppe durch eine Information der Amerikaner gekommen. Deren Geheimdienst NSA hatte in Pakistan ein E-Mail-Konto geknackt. "Den Kindern geht es gut. Wir werden ein großes Fest haben!", lautete eine Nachricht im Entwurfsordner eines Anführers der usbekischen Terrororganisation Islamische Jihad Union (IJU). Die Spuren führten nach Stuttgart und Ulm.

So lief im Oktober 2006 ein gigantischer Fahndungsapparat an: im Saarland, in Hessen und in Baden-Württemberg, wo wegen der beiden Ulmer Gelowicz und Attila Selek, eines weiteren Mitglieds der Gruppe, der Schwerpunkt der Ermittlungen lag – koordiniert vom Bundeskriminalamt.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz sekundierte. Pannen inklusive: Limousinen mit Kölner Kennzeichen parkten im Böfinger Weg in Ulm, wo Gelowicz mit seiner Frau wohnte. Der lieferte sich Verfolgungsfahrten mit seinen Bewachern. Einmal gelang es ihm, den GPS-Sender des Verfassungsschutzes heimlich an ein anderes Auto zu kleben. Die Observationsteams folgten dem Falschen bis nach München. Ein anderes Mal legte sich Selek auf die Haube eines Verfassungsschutzwagens und forderte, "gerne den Chef zu sprechen". Den Ermittlungen drohte ein Desaster, die Strategie wurde geändert.

Baden-Württembergs Landeskriminalamt übernahm am 5. Januar 2007 die Observationen – nach "einer Telefonkonferenz zur nachtschlafenden Zeit", erinnert sich Kriminaldirektor Thomas Georgi, seinerzeit im LKA zuständig für den Kampf gegen islamistischen Terror.

Zuerst misslingt das Sprengstoffkochen

Derweil speicherte die Ulmer Gruppe Nachrichten im Entwurfsordner von Mail-Konten, auf die alle Mitglieder Zugriff hatten. So entstehen – anders als beim Versenden von E-Mails – keine Protokolle. Gelowicz besuchte in kurzer Zeit 216-mal 68 verschiedene Internetcafés. Ein Alptraum für die Kriminalen. "Wir haben während der Ermittlungen in Baden-Württemberg 130 Beamte eingesetzt und 70 000 Überstunden geleistet. Das LKA investierte 750 000 Euro, um neue, digitale Überwachungstechnik anzuschaffen", sagt Georgi.

Zum Durchbruch führte das zunächst nicht. Auf den Fluren des LKA, aber auch im Innenministerium machte sich Frust breit: Seit 79 Tagen oberservierten die Fahnder das Terrorquartett – ohne Beweise für dessen Pläne zu finden. "Da wurde die Luft dünn und der Ton rau", erinnert sich ein Beteiligter.

Am 25. März 2007 war es Gelowicz, der den Ermittlern den Beweis für die Anschlagspläne lieferte: Polizisten des auf Observation spezialisierten Mobilen Einsatzkommandos beobachteten, wie der Ulmer ein Internetcafé besuchte. Die NSA durchstöberte derweil in Pakistan Mail-Konten, in denen die deutschen Islamisten und ihre Verbindungsleute Nachrichten füreinander speicherten. Die Amerikaner lieferten den Ermittlern in Deutschland den Beweis dafür, dass Rädelsführer Gelowicz alias Abdul Malik zur selben Zeit auf dasselbe Mail-Konto in Pakistan wie seine Anstifter zugriff. "Jetzt konnten wir Gelowicz die Vorbereitung eines Anschlags nachweisen", sagt Georgi.

Gelowicz hatte – als Student unter falschem Namen – im Schwarzwald eine Garage angemietet. In Wittlensweiler nahe Freudenstadt lagerten er und Yilmaz zwölf Fässer mit 35-prozentigem Wasserstoffperoxid in einer Garage ein, einer Chemikalie, die jeder kaufen kann, solange die Konzentration unter 50 Prozent beträgt. Mit dem Mittel werden Haare gebleicht – oder Sprengstoff gekocht. Erhöht man die Konzentration bis auf 65 oder 70 Prozent und mischt Stärke dazu, dann erhält man eine explosive Masse. Gelowicz und Yilmaz kauften die Chemikalie in Hodenhagen bei Hannover und lagerten sie im Wittlensweiler Immenweg schräg gegenüber dem Kindergarten ein: zwölf Kanister, 730 Kilogramm Wasserstoffperoxid.

In der Nacht zum 31. Juli schlichen Polizisten des LKA mit zwölf Kanistern durch das 2000-Seelen-Dorf. Den Etiketten nach mit 35-prozentigem Wasserstoffperoxid. In Wahrheit war die Chemikalie in diesen Fässern nur zu drei Prozent konzentriert, daraus entsteht kein Sprengstoff. Der Austausch der Kanister blieb unbemerkt.

Erst Ende August, als Gelowicz, Schneider und Yilmaz in ein Ferienhaus im sauerländischen Oberschledorn zogen, kamen ihnen Zweifel: Zwar stank die Brühe wie die, die sie in Pakistan zusammengebraut hatten. Sie hatte aber eine andere Konsistenz. Das könnte, überlegten die drei, daran liegen, dass der Stahlanteil der Töpfe im Terrorcamp höher gewesen sei als in den nun verwendeten. Ein deutsches Qualitätsprodukt müsse deshalb her. Gelowicz fuhr eigens nach Dortmund, um Töpfe des schwäbischen Herstellers WMF zu erstehen. Selek war bereits vor Wochen in die Türkei gereist, um dort Zünder für die Sprengsätze zu besorgen. Zurück kam er nicht: Er hatte inzwischen Zweifel an den Anschlagsplänen.

"Die Deutschen kriegen einen auf die Fresse"

In Oberschledorn kam das Trio derweil in Zeitnot. Aus Pakistan wurde drängend gefragt, "wann die Party nun steigt?". "Die Sache muss in fünfzehn Tagen" erledigt sein. Das Trio arbeitete fieberhaft. Ermittler hörten mit, als die Männer am 4. September 2007 kurz vor 14 Uhr beteten. Dem Gesetz folgend schalteten sie die Abhörtechnik aus, weil in Deutschland private oder religiöse Gespräche nicht mitgeschnitten werden dürfen. Als um 14.29 Uhr Bundespolizisten der GSG 9 das Ferienhaus stürmten, wussten sie nicht, wo genau sich jeder einzelne Terrorist aufhielt. Sie überraschten Gelowicz und Yilmaz beim Sprengstoffkochen. Schneider floh, entriss einem überraschten Kriminalbeamten am Ortsrand die Pistole. Im Gerangel löste sich ein Schuss, der Saarländer wurde überwältigt.

"Die Deutschen kriegen einen auf die Fresse. Wenn wir das machen, dann kotzen sich die Deutschen noch mehr an, Bruder. Dann geht’s ab, Bruder! Die Welt wird brennen. Wenn wir es am 11. kriegen, genau um diese Uhrzeit, Bruder, die flippen, die flippen doppelt so. Wir führen einen Krieg, wo du nicht verlieren kannst, Bruder. Verstehscht, was ich mein?", hatte Yilmaz im Sommer Gelowicz eingeschworen.