Stuttgart - Wer im Haushalt etwss übrig hat, kann dies an den Nachbarn abgeben. Oder mit Fremden in der Stadt teilen. Dieses Konzept ist an sich nichts Neues – doch in Stuttgart und Region werden es immer mehr Menschen, die ihre noch unverdorbenen Lebensmittel, von denen sie zu viel haben, an andere abgeben wollen. Dafür gibt es seit dreieinhalb Jahren die Online-Plattform Foodsharing.de.

Im Gegenzug kann jeder, der etwas zu Essen benötigt, dies aus den Fair-Teilern mit nach Hause nehmen. Wir geben einen Überblick, wo die Standorte der kostenlosen Tauschbörsen in Stuttgart sind:

„Viele sagen, dass Lebensmittelverschwendung schlimm ist. Wir tun konkret etwas dagegen“, sagt Philipp Backhaus. Mitbewohner Simon Ringel und er haben seit Januar einen Fair-Teiler in Stuttgart -Degerloch aufgestellt, und er läuft mit großem Erfolg. „Ich habe es nicht gezählt, aber pro Tag kommen bis zu fünf Personen zum Fair-Teiler“, schätzt der 31-Jährige.

Hohe Bereitschaft

In Degerloch sei die Bereitschaft, etwas Essen zu sammeln und zu verteilen, erstaunlich hoch. „Aus der gesamten Nachbarschaft kommen Leute, um den Fair-Teiler kennenzulernen oder auch etwas zu entnehmen.“ Für viele sei dies immer noch ein peinlicher Moment. „Dabei geht es nicht darum, ob jemand bedürftig ist oder nicht. Alle Gesellschaftsschichten sollen die gemeinsame Verantwortung für unser Essen übernehmen.“

Ob gut betucht, gut bürgerlich oder weniger vermögend: Die Food-Sharing-Bewegung will laut Backhaus einen gesellschaftlichen Wandel, ein Umdenken herbeiführen. Weg vom endlosen Wachstum der Wirtschaft, hin zu einer post-kapitalistischen Lebensweise. Der Essenstausch gilt eher als Anstoß oder Geste – um auf die Verschwendung und zugleich die Kluft zwischen Arm und Reich aufzuzeigen.

„Dabei sind bei uns nicht nur Hippies, sondern auch viele bürgerliche Menschen, die sich gerne für die Allgemeinheit engagieren, dabei.“ Für Degerloch heißt das konkret: Foodsaver wie Backhaus und Ringel bringen Lebensmittel, die keiner mehr mag, in den Verteiler. Diese kommen von Bäckereien, Lebensmittelläden und Privathaushalten.

Auch eine bedürftige ältere Dame aus der Nachbarschaft freue sich über das kostenlose Angebot. Für Backhaus gebe es unter den Nachbarn ein Bedürfnis nach Austausch, wie es früher öfter üblich war. Der Fair-Teiler biete erneut eine Plattform, um nachbarschaftliche. Gespräche zu ermöglichen. „Vor kurzem hat ein Nachbar zum Beispiel drei Tage alte Brötchen aus dem Fair-Teiler mitgenommen und uns dann Knödel gekocht. Die haben wir zusammen gegessen“, erzählt Backhaus.

Auflagen erfüllen

Momentan muss der Standort einige Auflagen von der Lebensmittelüberwachung erfüllen. „Seitdem der Fair-Teiler so viel Aufmerksamkeit erhält, schauen auch die Behörden, was wir machen“, erklärt der 31-Jährige. Ein täglicher Putzplan sowie Hygienevorgaben, die auch die Foodsaver einhalten müssen, hängen im Schuppen aus. „Bestimmte Lebensmittel wie rohe Eier dürfen gar nicht mehr verteilt werden, bei anderen Lebensmitteln muss die Herkunft gekennzeichnet werden.“

Es ist also viel zu beachten, wenn man etwas Gutes tun will. „An sich wollen wir aber den Menschen Verantwortung wieder zurück geben. Vertrauen statt Kontrolle ist uns wichtig, wir hoffen, dass die Behörden auch den sozial-solidarischen Aspekt der Fair-Teiler sehen.“ Bislang seien die Tauschpartner vonseiten der Lebensmittelaufsicht eher als Betrieb denn als ehrenamtlicher Tauschort eingeordnet. Die Auflagen sind entsprechend hoch - inwieweit die Vorgaben umgesetzt werden müssen, sei noch offen.

„Wir hoffen, dass es bald auch in Stuttgart-Mitte Fair-Teiler geben wird“, sagt Backhaus. Für eine reiche Stadt wie Stuttgart seien es seiner Ansicht nach bisland viel zu wenige Standorte.

Ressourcen schützen

Das ändert sich zumindest in Stuttgart-Weilimdorf. Dort gibt es seit Anfang April einen Fair-Teiler. Er steht auf dem Walz-Areal, das der eingetragene Verein Chloroplast wiederbeleben will. Die Macher wollen vor allem die Ressourcen schützen. Eine Food-Saverin des Portals habe sie auf die Idee gebracht. Und: „Ein SWR-Bericht hat mir vor kurzem mit einer Stichprobe in einem Supermarkt und der Vernichtung von dutzenden Kilo Spinat klar gemacht, dass diese massenweise Vernichtung von Lebensmitteln nicht in Ordnung ist“, sagt Andreas Zeger, der den Verein Chloroplast gegründet hat. „Wenn man das sieht, ist einfach klar, was zu tun ist. Wir müssen Essen vor der Mülltonne retten.“

Verschwendung von Essen verhindern

Zeger und seine Vereinsmitglieder wollen unter anderem Urban Gardening – also städtisches Gärtnern – voranbringen. Gemeinschaftliches Anpflanzen stärke auch das Verantwortungsgefühl gegenüber dem Essen. Dass Essen einfach in der Mülltonne landet, findet Zeger furchtbar. „Wir nutzen den Fair-Teiler auch, um unser produziertes Gemüse und Obst an die Menschen zu verteilen“, erzählt der 55-Jährige. Dies sei auch deshalb sinnvoll, da es immer weniger Läden im Stadtteil gebe.

Besonders am Wochenende schauen Bürger beim Fair-Teiler in Weilimdorf, der rund um die Uhr zugänglich ist, vorbei. „Dann haben die Leute auch einfach mehr Zeit“, erklärt Zeger. „Wir sind erstaunt, wie gut und selbstständig das Projekt läuft“, zeigt sich Zeger begeistert. Vor kurzem sind acht Kilogramm Spargel im Fair-Teiler abgeliefert worden. „Davon haben wir auch profitiert“, freut sich der Vereinsgründer von Chloroplast.

Der unbekannte Kühlschrank

An der Universität Hohenheim scheinen die Studierenden den Fair-Teiler-Kühlschrank auf dem Campus kaum zu kennen. Unscheinbar steht er in der Ecke des Büros des Allgemeinen Studierendenausschusses, kurz AStA. Eine lange Schlange von Studenten steht im Büro, um Manuskripte für die Vorlesung abzuholen. Einzig ein angebrochenes Marmeladenglas im Fair-Teiler-Kühlschrank zeugt an diesem Tag von der Tauschbereitschaft der Studierenden. Jessica Seimen, Studentin der Wirtschaftswissenschaften im zweiten Semester zum Beispiel hat von dem Fair-Teiler bislang noch nichts gehört. „Es ist aber sinnvoll, dass es so etwas gibt“, sagt die 19-Jährige.

Kommilitonin Sarah Hornberger, ebenfalls Studentin der Wirtschaftswissenschaften, findet: „In der Mensa würde der Kühlschrank viel besser auffallen.“ Die 24-Jährige hat den Fair-Teiler ebenfalls selbst noch nicht wahrgenommen.

Aline Mack, die das Referat Umwelt des AStAs an der Uni Hohenheim leitet, berichtet jedoch etwas ganz anderes: „Der Fair-Teiler wird von den Studierenden so gut aufgenommen, dass wir das Angebot in größerem Stil fahren wollen“, erzählt die Studentin. Auch ein Zugang zu dem Fair-Teiler rund um die Uhr soll bald auf dem Campus möglich sein. Besonders Studierende der Agrarwissenschaften seien tauschbereit. Pauschal könne Mack nicht sagen, wie viele Kommilitonen das Angebot nutzen – an einem üblichen Dienstagvormittag habe sie aber sechs Studierende gezählt, die den Kühlschrank aufgesucht haben.

Initiiert hat den Fair-Teiler die Hochschulgruppe Fresh. In Zusammenarbeit mit dem AStA bieten die Studierenden seit Februar den Kühlschrank auf dem Campus Vaihingen an. „Wir wollen damit das Campusleben bereichern und den Austausch untereinander fördern“, erzählt Mack. Wenn im Fachgebiet Prozessanalytik und Getreidewissenschaft zum Beispiel gebacken wird, landen die Produkte wie Brot und Brötchen nun auch nicht im Müll, sondern im Fair-Teiler.

Schuppen im Uni-Garten

An der Universität Stuttgart auf dem Campus Vaihingen steht der Fair-Teiler im Gemeinschaftsgarten. In dem Schuppen findet sich allerlei Essen wie Backwaren und Obst. Aber auch eine Ecke mit nicht essbaren Gegenständen ist in dem Fair-Teiler zu finden. So teilen die Studierenden der Uni Stuttgart dort auch Bücher, Dekoartikel oder gar Schuhe, die kostenlos abgeholt werden können. Gebrauchsgegenstände wie Aufbewahrungsboxen oder Duftöle finden sich ebenfalls in dem Schuppen.

Manch ein Studierender erlaubt sich im Schuppen einen Scherz und stellt angebrochene Bierflaschen sowie weitere offene Getränke ab – diese werden von den Abholern im Fair-Teiler allerdings links liegen gelassen.

Tiefkühltruhe im Zentrum der Stadt

In Schorndorf steht bislang der einzige Fair-Teiler in der Region Stuttgart. Er versorgt in der Schlichtener Straße 13 die Schorndorfer Bürger seit April 2015 mit Lebensmitteln aller Art. Dank eines Kühlschranks und einer Tiefkühltruhe in der Einrichtung bietet Essensretterin Andrea Kneitz auch verderbliche Waren wie Eier, Milch oder Wurst in ihrem Laden an.

Bis zu drei Personen sammeln für den Fair-Teiler und gehen beispielsweise regelmäßig auf den nahegelegenen Wochenmarkt, um dort unverkaufte Lebensmittel abzuholen. Ansonsten bringen vor allem Privathaushalte Wurzelgemüse, Salat, Brot, Konservendosen und übrig gebliebene Portionen von frischgekochten Gerichten vorbei.

Eine Übersicht aller Fair-Teiler deutschlandweit gibt es online.